Lewis Hamilton im Gespräch: „Es wird eine Saison, in der wir viel lernen müssen“

Sie sind der Mann nach Michael Schumacher bei Mercedes und zweifeln schon jetzt daran, im kommenden Jahr Rennen zu gewinnen. Warum wechseln Sie trotzdem, spielt Geld eine Rolle? Nein, in dieser Hinsicht hätte es kaum einen Unterschied gemacht, wo ich künftig fahre. Es wäre natürlich einfacher gewesen, bei McLaren zu bleiben. Ich weiß, dass sie dort im kommenden Jahr ein großartiges Auto haben, mit dem man wahrscheinlich um die Weltmeisterschaft kämpfen kann. Aber ich finde es spannend, ein anderes Team in genau so eine Situation zu bringen. Michael (Schumacher) ist das mit Ferrari gelungen, seitdem wird er als der größte Fahrer in der Geschichte der Formel 1 angesehen. Wenn ich mit McLaren weitere Titel gewonnen hätte, sicher, das wäre ganz gut gewesen. Aber es wäre viel besser, wenn mir dies in einem Mercedes gelänge. Derzeit steht Mercedes in der Formel 1 allerdings für Durchschnitt, Sie könnten jahrelang im Nirgendwo kreisen. Was ist mit dem Risiko für Ihre Karriere, blenden Sie das einfach aus? Ich glaube nicht, dass ich ein großes Risiko eingehe. Vielleicht haben wir schon nächstes Jahr ein gutes Auto und können mithalten, das wäre phantastisch. Ehrlich gesagt, rechne ich jedoch eher damit, dass es eine Saison wird, in der wir viel lernen müssen. Ich muss die Leute in der Fabrik und im Team kennenlernen, muss sehen, was sie besser machen, als ich erwartet hatte, und was ihnen noch nicht so gut gelingt. Wissen Sie, es ist ziemlich leicht, die Leute um dich herum nach unten zu ziehen. Aber als Fahrer musst du immer positiv denken, du musst die anderen mitziehen, auch wenn die Dinge nicht so laufen, wie du es dir vorstellst. Darauf bin ich vorbereitet. Mit Ihrem neuen Teamkollegen Nico Rosberg verbindet Sie so etwas wie eine Freundschaft. Kann sie unter Teamkollegen weiter bestehen? Die Frage gab es schon mal, als wir dreizehn waren. Nico war damals im Kart der Beste, er hat alles gewonnen. Das war ein Ansporn für mich. Schon bei meinem ersten Rennen in Italien haben wir gegeneinander gekämpft, das hat sich danach fortgesetzt. Ich glaube, dass unser Verhältnis dadurch gestärkt wurde. Wir waren im gleichen Team, wir sind gegeneinander gefahren, und wir blieben Freunde. Wir hatten eine richtig gute Zeit. Trotzdem erzeugt so eine Konstellation natürlich Spannung. Ich weiß nicht, ob wir so etwas wie beste Freunde sein können, der eine will schließlich den anderen besiegen. Es wird darauf ankommen, dass wir uns gegenseitig respektieren, und das ist definitiv der Fall. Sie fahren Rennen, seitdem Sie acht Jahre alt sind. Was bedeutet Ihnen das dort draußen auf der Strecke? Das ist mein Leben, es ist zu einem Teil meiner DNA geworden. Ich liebe diese schnellen Autos, ich liebe diese Kämpfe gegen die anderen. Schon als Baby hatte ich ein Lenkrad in der Hand, als ich fünf Jahre alt war, bin ich zum ersten Mal richtig gefahren. Wir waren in Spanien im Urlaub, dort gab es einen Vergnügungspark mit einem Autoscooter. Die hatten alles, was es in der Formel 1 gab für kleine Kinder: einen McLaren, einen Ferrari, den gelben Lotus von Ayrton Senna - für mich war das so etwas wie ein Paradies. Ich bin jeden Tag dorthin gegangen und gefahren, von morgens bis abends, ich konnte einfach nicht anders. Danach habe ich richtig angefangen mit diesem Sport. Als ich 2008 in die Formel 1 kam, habe ich mich dann selbst überrascht. Ich wusste, dass ich schnell bin, aber ich dachte nicht, dass ich so gut bin. Heute sind Sie einer der besten Rennfahrer der Welt. Was ist so faszinierend an der Geschwindigkeit? Das, was mich am meisten begeistert, ist die Beschleunigung. Wenn du das Gaspedal runterdrückst, wenn du in den Sitz gepresst wirst und die Zeit stillzustehen scheint, weil du dich nur auf den Moment konzentrierst und auf alles, was du machst. Es geht nur um eines: Du musst dieses Biest kontrollieren. So ein Rennwagen hat so viel Kraft, so viel Abtrieb. Es gibt kaum Worte für das, was du im Cockpit erlebst. Wahrscheinlich ist das so, als würdest du auf einem wilden Bullen reiten, der dich so schnell wie möglich wieder loswerden will. Ein wilder Bulle - manche würden Ihre Fahrweise vielleicht genauso bezeichnen, weil Sie manchmal ungestüm und unüberlegt wirken. Sehen Sie das auch so? Ich fühle mich nicht so, als hätte ich ein Kopfproblem. Sicher, es gab Rennen, nach denen ich gedacht habe: Das hättest du besser nicht gemacht! Du hättest ihn einfach vorbeilassen sollen, du wusstest, dass er schneller ist! Aber in der Hitze des Gefechts triffst du nicht immer die richtige Entscheidung. Außerdem: Ich verliere nicht gerne. Und ich bin nur ein Mensch - und kein Supermann mit übermenschlichen Fähigkeiten. Ich mache Fehler wie alle anderen auch. Ist Ihr extrovertiertes Auftreten ein Fehler, offenbar wollen Sie der erste Popstar der Formel 1 werden? Die Leute erzählen diesen Blödsinn, und warum? Meine Freundin (Sängerin Nicole Scherzinger) wohnt in Hollywood, sie ist dort ein Star, durch sie bin ich mit dieser Welt verbunden. Wenn sie zu einer Show geht, komme ich mit und unterstütze sie. Ist sie zu einer Preisverleihung eingeladen, komme ich auch mit. Das bedeutet jedoch nicht, dass ich ein Teil von Hollywood bin. Ich bin Rennfahrer. Eine hübsche Freundin, schnelle Autos, Flüge um die Welt, schöne Hotels - sind Sie zufrieden mit Ihrem Leben? Ich bin so dankbar für mein Leben. Es hätte in die komplett andere Richtung gehen können. Ich weiß nicht, wo ich gelandet wäre, wenn ich nicht mit dem Rennfahren begonnen hätte. Es geht so schnell, und du verlierst dich. Nun versuche ich jeden Moment zu genießen, das ist doch klar. Mein Leben ist intensiv, es gibt so viele Eindrücke, die es zu verarbeiten gilt, und sicher ist es auch stressig. Manchmal würde ich gern ein bisschen mehr Zeit mit Freunden und meiner Familie verbringen. Das klingt, als würden Sie etwas vermissen? Natürlich vermisse ich etwas. Wenn ich im Flieger sitze, schaue ich oft irgendwelche Filme an, dann siehst du ganz normale Menschen, die ganz normale Dinge tun. Sie wohnen in der gleichen Stadt, arbeiten, gehen Bowlen, hängen zusammen rum, treffen sich abends zum Essen, nichts Außergewöhnliches. Aber sie besitzen ein persönliches Umfeld, sie haben ein funktionierendes Sozialleben, sie sind richtig glücklich. Das hatte ich auch, als ich aufgewachsen bin und noch zu Hause gewohnt habe. Doch wenn du immer von einem Ort zum anderen fliegst, dann geht das nicht mehr. Ich bin jetzt seit Monaten irgendwo in der Welt unterwegs, da kannst du nicht immer zur richtigen Zeit mit deinen Freunden sprechen, sie haben etwas zu tun, ich habe etwas zu tun - und das bedeutet auf eine Art einen Verlust. Ich habe einen Film gesehen, in dem ein Liebespaar zusammen wohnt und alles teilt, die Tage und die Momente. Ich führe eine Fernbeziehung, das ist manchmal hart, es ist eine Herausforderung für uns.