Georges Simenon gehört zu den Grossen – und ins 21. Jahrhundert

Wenn so etwas für einen der meistgelesenen Romanciers der Welt überhaupt möglich ist, dann feiert Georges Simenon in Zürich gerade ein Revival. An der ETH ist ihm eine Vorlesungsreihe gewidmet, sein Werk erscheint in Kürze bei einem neu gegründeten Zürcher Verlag.

Manuel Müller
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Georges Simenon gehört nicht nur zu den meistgelesenen Romanciers der Welt, sondern auch zu dem meistverfilmten Autoren französischer Sprache. Hier ein Szenebild aus «Mit den Waffen einer Frau» mit Brigitte Bardot und Franco Interlenghi. (Bild: Walter Limot / Akg-images)

Georges Simenon gehört nicht nur zu den meistgelesenen Romanciers der Welt, sondern auch zu dem meistverfilmten Autoren französischer Sprache. Hier ein Szenebild aus «Mit den Waffen einer Frau» mit Brigitte Bardot und Franco Interlenghi. (Bild: Walter Limot / Akg-images)

Über Georges Simenon zu schreiben, ist nicht einfach. Das weiss wahrscheinlich niemand besser als sein Biograf Pierre Assouline. Simenons Produktivität ist legendär: Fast monatlich publizierte er ein Buch. Allein seine Hauptfigur Maigret verwickelte er in 75 kuriose und vertrackte, rastlose und atmosphärische Fälle. Da wird bereits die blosse Lektüre des Gesamtwerks zur Herausforderung.

Diese Mühe hat sich Pierre Assouline nach eigenen Angaben – die von einem Schmunzeln begleitet und von Detailkenntnis untermauert werden – nicht einmal, sondern ganze zweimal gemacht. Damit erntete er selbst beim Sohn, John Simenon, und weiteren Simenon-Kennern, wie sie jüngst auf Einladung des künftigen Verlegers Daniel Kampa bei einem Mittagessen mit Medienvertretern versammelt waren, Staunen und Anerkennung.

Die Liebhaber unter sich

In den letzten Jahren sorgte die verlegerische Situation Simenons mehrmals für Überraschungen. 2016 wurde nach vierzig Jahren, über 220 Bänden und 6 Millionen verkauften Büchern die Zusammenarbeit mit Diogenes beendet. Zuvor schienen der belgische Autor und der Zürcher Verlag unzertrennlich, einen deutschen Simenon-Band konnte man sich fast nicht anders denken als mit dem Schriftzug des Hauses.

2017 folgte eine weitere Überraschung: Nicht etwa ein Schwergewicht der Branche, auch kein altehrwürdiger Verlag und ebenso wenig eine Genre-Edition würden Simenons Werk künftig verlegen. Die Rechte gingen an einen Zürcher Simenon-Liebhaber: Daniel Kampa. Nach fast zwanzig Jahre bei Diogenes, wo er die Simenon-Ausgabe mitbetreute, gründete Kampa in Zürich kürzlich den nach ihm benannten «Kampa-Verlag».

Ein grosser, international bedeutsamer und sich gut verkaufender Autor – einen besseren Start kann man einem jungen Verleger kaum wünschen. Doch Georges Simenons Werk ist fast uferlos, wie ein Blick in die Regale der Zentralbibliothek zeigt. Wer dem pfeifenrauchenden Pariser Kommissars Maigret begegnen will und ihn nicht schon zu Hause hat, muss ins Kellergeschoss hinab. Dort wird man der Textmenge gewahr: Band reiht sich an Buch reiht sich an Band, schier endlos können einen die Kolonnen dünken. Für die Taschenbuchausgabe arbeitet Kampa daher mit dem Verlag Hoffmann und Campe zusammen, wo er zuletzt als Programmleiter wirkte.

Die bestätigten Legenden

Pierre Assouline hält zurzeit eine Vorlesungsreihe über Georges Simenon an der ETH Zürich. Assoulines Leidenschaft für den Maigret-Autor tritt nicht erst beim Vortrag zutage (der vor vollen Rängen stattfindet). Bereits beim Mittagessen spricht einer, der selbst vorzüglich zu erzählen weiss und mit Maigret nicht nur Nostalgie verbindet: Hier schöpft ein tief recherchierender, rundum bewanderter Leser aus dem Vollen, ein Biograf, der (manche) Legenden um seinen Autor entkräften und viele bestätigen kann: Nein, das Schreiben auf einem öffentlichen Platz fand nie statt; ja, Simenon, war ein Marketing-Genie.

Assouline ist auch Kritiker – und als solcher überzeugt, dass man Simenon zu den Grossen des zwanzigsten Jahrhunderts zählen muss. Nicht nur, weil er zu den meistgelesenen Romanciers weltweit und den meistverfilmten Autoren Frankreichs gehört. Auch und vor allem wegen seines schnörkellosen Stils und seines kaum übertroffenen Händchens für Atmosphäre (im wahrsten Sinne des Wortes – denn das Wetter spielt bei Simenon stets mit). Assouline betont Simenons Wirkungsmacht, er spricht von Simenons »Erben» – und zählt dazu nicht nur Manuel Vázquez Montalbán oder Andrea Camilleri. Auch den Nobelpreisträger Patrick Modiano rechnet er in den Wirkungskreis seines Autors.

Simenon – et plus

Wie wird man einem solch uferlosen Werk als neuer Verlag gerecht? Und wie verhindert man, dass es gleich das ganze Programm vereinnahmt? Daniel Kampa ist sich des Risikos einer Simenon-Ausgabe bewusst: «Simenons Werk ist nicht, was sich viele Verleger wünschen: wenige Bücher, die sich sehr gut verkaufen. Viele hätten gesagt: ‹Ja, toll – Simenon. Aber das ist uns zu viel Arbeit.› Doch es gibt Erzählungen, die schon lange fehlten, und einiges, das nie auf Deutsch erschien, wie etwa frühe Vor-Maigret-Erzählungen. Käme heute ein Simenon-Werk als Manuskript: Ich muss sagen, es ist noch immer besser als das meiste, was man sichtet.»

Solcher Enthusiasmus ist für den Sohn John Simenon entscheidend. Er möchte das Werk seines Vaters in den Händen von begeisterten Leuten sehen – das sei für ihn, unabhängig von Land oder Verlag, das Wichtigste. Daniel Kampa räumt ein, dass die Liebhaber Simenons die Bücher ihres Autors bereits im Regal stehen haben: «Wir wollen also ab kommendem Herbst mit jedem Programm Neues vorlegen – und versehen die Bücher mit Nachworten der internationalen Simenon-Gemeinde.» Rüdiger Safranski schreibt für den Gegenwert einer Gesamtausgabe, Clemens Meyer habe sich einen Titel ausgesucht, ebenso Julian Barnes und Friedrich Ani.

Doch der Kampa-Verlag soll kein Simenon-Verlag werden, daneben sind Neuheiten und Übersetzungen anderer geplant wie etwa «The Postman Always Rings Twice» in einer Neuübersetzung von Alex Capus. Sicher ist damit, dass es mehr als genug gibt – Arbeit für den Verlag bis zum Herbst, danach für das Publikum Lektüre.

Pierre Assoulines Vorlesung zu Georges Simenon findet jeweils am Mittwoch von 17 Uhr 15 bis 19 Uhr im ETH-Hauptgebäude, Raum E 33.1, statt.