Sachsens Verfassungsschutzchef rechnet damit, dass die Einführung einer Impfpflicht in Deutschland die Radikalisierung von Impfgegnern noch weiter verstärken würde. Die derzeit politisch diskutierte Impfpflicht werde als „Rechtfertigungsnarrativ“ für verleumderische und Gewalt-befürwortende Äußerungen instrumentalisiert, sagte Verfassungsschutz-Präsident Dirk-Martin Christian gegenüber WELT. Es sei „erschreckend, wie viele Menschen Mobilisierungsaufrufen Folge leisten“, so Christian.
Seine Behörde beobachte derzeit einen deutlichen Anstieg der Gewalt bei Anti-Corona-Protesten. Demnach sei davon auszugehen, dass „körperliche Angriffe gegen Personen sowie Einrichtungen, die im Kontext mit den staatlichen Anti-Corona-Maßnahmen“ stünden, auch weiter spürbar zunehmen dürften. Mit großer Sorge beobachte man dabei die Radikalisierung möglicher Einzeltäter im Internet. „Akteure der Protestszene bewegen sich bereits seit Monaten überwiegend in geschlossenen virtuellen Kreisen“, sagte Christian weiter. Ein Ende der Gewaltspirale sei derzeit nicht absehbar.
Nach Drohungen gegen Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) beim Messengerdienst Telegram durchsuchte die Polizei diesen Mittwoch mehrere Objekte. Äußerungen einzelner Mitglieder der Gruppen würden den Verdacht nahe legen, dass sie im Besitz von Waffen seien, teilte die Polizei mit. Bei dem Messenger-Dienst waren Morddrohungen gegen Kretschmer im Kontext einer Impfpflicht aufgetaucht.
Der sächsische Verfassungsschutz beobachtet zudem, „dass sich die bisher in der virtuellen Welt anzutreffende verbale Radikalisierung zusehends zu einer Aktionsorientierung in der Realwelt entwickelt“. Ein Beispiel dafür sei auch der mit Fackeln gesäumte Protestzug vor das private Wohnhaus der sächsischen Sozialministerin Petra Köpping vor einer Woche in „SA-Manier“, wie Christian sagte. Zudem kam es in den vergangenen Wochen in Sachsen zu mehreren Attacken auf Impf- und Testzentren und massiven Verleumdungen und Bedrohungen von Amts- und Mandatsträgern.
Christian sagte weiter, es sei festzustellen, „dass die Teilnehmer aus dem sogenannten bürgerlichen Spektrum keine Tendenzen erkennen lassen, sich von Extremisten und deren verfassungsfeindlicher Agenda klar zu distanzieren.“ Seit Beginn der Pandemie würden insbesondere Rechtsextremisten, Reichsbürger und Selbstverwalter die Corona-Proteste instrumentalisieren. In Sachsen geschehe das insbesondere durch die rechtsextremistische Gruppierung „Freie Sachsen“, aber auch die Neonazi-Partei „Der Dritte Weg“ und die „Identitäre Bewegung“ mischten sich unter die Proteste.
Berliner Staatsschutz ermittelt
Unterdessen ermittelt in Berlin der Polizeiliche Staatsschutz des Landeskriminalamts, nachdem unter anderem Politiker in der Hauptstadt Drohbriefe erhalten haben. Wie der RBB am Dienstag mit Berufung auf Informationen des ARD-Hauptstadtstudios und des Politikmagazins „Kontraste“ berichtete, wird in den Drohschreiben „blutiger Widerstand“ gegen die geplante Impfpflicht angekündigt.
Die Schreiben enthielten demnach ein in Alufolie eingewickeltes Stück Fleisch. „Wir können diese Sachverhalte bestätigen“, sagte eine Sprecherin der Berliner Polizei am Mittwochmorgen. „Derzeit sind uns mehr als ein Dutzend dieser Sendungen bundesweit bekannt.“
Sie seien etwa an Politiker, Medien und Behörden verschickt worden. Die Ermittlungen in Berlin habe der Polizeiliche Staatsschutz des Landeskriminalamts übernommen. Ermittelt werde wegen Störung des öffentlichen Friedens. Die bisherigen Analysen der Drohschreiben samt der Fleischstücke hätten keine Hinweise auf Substanzen ergeben, die in irgendeiner Art gefährlich werden könnten, sagte die Sprecherin.
Nach den ARD-Informationen enthielten die Schreiben den Hinweis: „Das Fleisch ist mit ausstrahlenden Covid-19-Viren und mit Zyklon B durchseucht. Der Widerstand gegen die Impfung und die Maßnahmen wird blutig und unappetitlich.“
An wen die Drohschreiben im Einzelnen adressiert gewesen seien, gab die Berliner Polizei nicht bekannt. Dem RBB zufolge hat auch der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) einen solchen Brief erhalten. Auch zu möglichen Hinweisen auf den Absender machte die Sprecherin keine Angaben.