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Deutschland Honoraraffäre

Das 793.385-Euro-Spiel der Bochumer Dilettanten

Korrespondent
Ein Bericht von Wirtschaftsprüfern offenbart grobe Fehler der Stadtwerke Bochum bei der Organisation der Veranstaltungsreihe „Atriumtalk“ Ein Bericht von Wirtschaftsprüfern offenbart grobe Fehler der Stadtwerke Bochum bei der Organisation der Veranstaltungsreihe „Atriumtalk“
Ein Bericht von Wirtschaftsprüfern offenbart grobe Fehler der Stadtwerke Bochum bei der Organisation der Veranstaltungsreihe „Atriumtalk“
Quelle: dapd
Der „Atriumtalk“ der Stadtwerke Bochum mit Gästen wie Peer Steinbrück war vertraglich mangelhaft organisiert. Das offenbart ein der „Welt” vorliegender Bericht einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft.

Als Peer Steinbrück zum „Atriumtalk“ der Stadtwerke Bochum erscheint, ist eine große Show für die 184 gemeldeten Gäste vorbereitet. Der Sozialdemokrat ist kein Bundesfinanzminister mehr und offiziell noch nicht als designierter SPD-Kanzlerkandidat unterwegs.

Aber unbestreitbar kommt ein politisches Schwergewicht zum Plausch ins Ruhrgebiet, und für dessen angemessene Präsentation hat sich der junge Organisator Sascha Hellen, eine Kontaktmaschine in der internationalen Welt der Prominenten, richtig ins Zeug gelegt. Mit 106.892 Euro schlägt der exquisite Abend am 26. November 2011 zu Buche.

Für 29.084 Euro wird das Catering inklusive Ausstattung bereitgestellt, damit die Gäste versorgt sind. Auf Technik und Bestuhlung entfallen 7247 Euro. Unter der Rubrik „Einspieler“ sind 11.702 Euro aufgeführt.

Die „Hellen Medien Projekte GmbH“ erhält 42.383 Euro; davon gehen 6000 Euro als „Honorar“ an Hellen und 10.000 Euro an die Livemusiker – und eben jene umstrittenen 25.000 Euro als „abgerechnetes Honorar Gastredner“.

Nur von Weizsäckers Auftritt kostete mehr

Die Steinbrück-Show gerät für die Stadtwerke Bochum zum zweitteuersten „Atriumtalk“ nach dem Debüt mit Altbundespräsident Richard von Weizsäcker am 29. Februar 2008. Damals lagen die Gesamtkosten bei 108.851 Euro. Da fiel die Veranstaltung am 6. März 2010, als der Präsident des Fußball-Bundesligisten FC Bayern München, Uli Honeß, zu Gast war, mit 79.911 Euro vergleichsweise günstig aus.

Insgesamt wurden für die neun geplanten „Atriumtalk“-Veranstaltungen (ein Termin mit dem Schauspieler Mario Adorf fiel aus) bisher 793.385 Euro ausgegeben.

Die erkleckliche Summe wird wohl noch höher ausfallen, weil noch nicht alle Abrechnungen vom Abend mit Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) am 26. Oktober dieses Jahres vorliegen. Die Stadtwerke betrachten es als einen Posten von 173 im Sponsoring, doch es ist womöglich der brisanteste.

Bericht zeigt etliche Nachlässigkeiten

Die „Atriumtalk“-Kosten gehen aus einer 33-seitigen „Präsentation“ hervor, die als Grundlage für einen mündlichen Bericht der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft an den Aufsichtsrat der Stadtwerke Bochum angefertigt und mittlerweile dem Ältestenrat des Bochumer Stadtrates zur Kenntnis gegeben wurde.

Diese „Präsentation“ liegt der „Welt” exklusiv vor und offenbart, dass die Missstände im Zusammenhang mit dem hohen Honorar an Prominente und mangelhaften vertraglichen Vereinbarungen größer sind als bekannt, dass führende Stadtwerke-Mitarbeiter sich bedenkliche Nachlässigkeiten leisteten – und dass die Wirtschaftsprüfer trotz etlicher festgestellter Schlampigkeiten recht wohlwollend werten.

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Seit vergangenem Freitag verfügt der Aufsichtsrat der Stadtwerke Bochum Holding GmbH über einen umfassenden Einblick in die Geschäftspraxis zwischen dem kommunalen Versorgungsunternehmen und der Promi-Vermittlungsagentur Hellen, zumindest, was die Veranstaltungsreihe „Atriumtalk“ angeht. Zwei Wirtschaftsprüfer und ein Jurist haben im Auftrag des Aufsichtsrates die Hintergründe durchleuchtet, Rechnungen, Kostenaufstellungen und Aussagen von Sascha Hellen einfließen lassen.

„Vielzahl von Widersprüchlichkeiten“

Bisher waren offiziell nur die letzten drei Seiten dieser Präsentation öffentlich bekannt. Darin heißt es unter anderem: „Die rechtliche Ausgestaltung der Verträge entspricht nicht in allen wesentlichen Punkten den üblicherweise zu stellenden Anforderungen. Insbesondere wäre eine konkrete inhaltliche Ausgestaltung unseres Erachtens sachgerecht gewesen“, bilanzieren die Prüfer in ihrer Schlussbemerkung.

Die Kommunikation des „Wohltätigkeitsgedankens“ sei durch eine „Vielzahl von Unstimmig- und Widersprüchlichkeiten“ geprägt. Zudem seien die Aussagen von Verantwortlichen der Stadtwerke „nicht nachvollziehbar, die eine zwangsläufige Verwendung sämtlicher Honorare für ,gute Zwecke’ vermuten lassen.“

Diese Bewertung ist schon vernichtend genug für den kaufmännischen Geschäftsführer der Stadtwerke Bochum, Bernd Wilmert. Doch die vollständige Präsentation der Wirtschaftsprüfer lässt ihn und seinen Kommunikationschef Thomas Schönberg noch schlechter aussehen.

Nur mündliche Angaben bei fünf Veranstaltungen

Demnach wurde für die im Februar 2008 begonnen Veranstaltung „Atriumtalk“ erst am 18. November 2010 ein schriftlicher Vertrag zwischen den Stadtwerken und der „Hellen Medien Projekte GmbH“ als Organisator geschlossen, mit einer Laufzeit vom 1. Januar 2011 bis 31. Dezember 2015.

Als Unterzeichner werden genannt: Stadtwerke-Geschäftsführer Bernd Wilmert, Kommunikationschef Thomas Schönberg sowie Agentur-Chef Sascha Hellen. Die ersten fünf geplanten Veranstaltungen zwischen 2008 und 2010 beruhten allein auf mündlichen Angaben.

Die Prüfer stellen zwar keinen Verstoß gegen Vergaberecht und Compliance-Richtlinien fest, doch sie monieren, dass eine „interne Unternehmensanweisung“, die Vertretungsbefugnisse der Stadtwerke regelt, verletzt wurde: „Danach hätte der Vertrag von einem Geschäftsführer und einem Prokuristen oder einem Prokuristen und einem Handlungsbevollmächtigten unterzeichnet werden müssen. Herr Schönberg ist weder Prokurist noch Handlungsbevollmächtigter. Festzuhalten ist, dass die Unternehmensanweisung über die Vertretungsbefugnisse der Stadtwerke GmbH nicht beachtet wurde.“

„Besonderheit“ bei Honorarzahlung

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Bei der Berücksichtigung des „Corporate Governance Kodex“, also der Verhaltensstandards für eine tadellose Unternehmensführung, liest man heraus, dass sich die Gutachter mit einer eindeutigen Bewertung schwer tun: „Nach unserer Prüfung hat es im Rahmen des Atriumtalk durch die Unterschrift von Herrn Schönberg unter den Vertrag formal einen Verstoß gegen eine interne Richtlinie gegeben. Dies führt aber unseres Erachtens nicht dazu, dass von einer nicht der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns entsprechenden Geschäftsführung gesprochen werden könnte.“

Freilich wird an anderer Stelle noch angeführt, dass die Vorauszahlung des kompletten Honorars an Hellen in Höhe von 60.000 Euro eine „Besonderheit“ darstelle. Die Erläuterung der Stadtwerke dazu lautet: Hellen habe darum gebeten und die Stadtwerke seien dem gefolgt, „da man die erfolgreiche Veranstaltungsreihe nicht habe gefährden wollen“.

Hellen selbst habe dazu zu „keine konkreten Angaben gemacht“. Insgesamt sei eine solche Zahlung vertretbar, es habe kein Existenz gefährdendes Risiko für die Stadtwerke bestanden. Allerdings findet man in der „Präsentation“ der Prüfer nichts weiter zu den im Februar 2008 einmalig gezahlten 19.000 Euro, die unter der Rubrik „Sascha Hellen Journalist“ vermerkt sind.

Im Vertrag fehlen viele konkrete Angaben

Zudem formulieren die Prüfer peinliche Mängel. „Der am 18. November 2010 geschlossene Vertrag enthält nur rudimentäre Angaben zu den von der Hellen GmbH zu erbringenden Dienstleistungen. Darüber hinaus erhält der Vertrag Regelungen über die Höhe des Honorars, dessen Fälligkeit sowie zur Laufzeit des Vertrages und zu Kündigungsmöglichkeiten.

Somit fehlen (konkrete) Angaben zum Inhalt der Leistung, zu Terminen und Abstimmungsmechanismen, zu den maximal aufzuwendenden Kosten und Reisespesen für Gäste und musikalische Begleitung, zu Gewährleistung, Haftung, Schadensersatzansprüchen und Vertragsstrafen sowie sonstigen, für den Auftraggeber bedeutsamen Regelungen.“

Allerdings betonen die Prüfer, der Vertrag könne „aber auch nicht als unzulänglich oder katastrophal bezeichnet werden“. Die Veranstaltungskosten seien unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit vertretbar.

Es ist schwer nachvollziehbar, warum Geschäftsführer Wilmert und Kommunikationschef Schönberg sich die genannten unprofessionellen Nachlässigkeiten erlaubt haben, zunächst auf einen schriftlichen Vertrag verzichten und dann mit reichlicher Zeitverzögerung einen mangelhaften Vertrag aufsetzen.

Mehr als 400.000 Euro – aber kein Vertrag

Immerhin haben Wilmert und Schönberg bereits 2007 die Idee für den „Atriumtalk“ entwickelt, in enger Zusammenarbeit mit Hellen. Sie wussten demnach genau, was sie taten. Die von den Prüfer dokumentierte Begründung für den verspäteten Vertrag in Schriftform klingt wenig überzeugend: „Die Entscheidung zum Abschluss eines schriftlichen Vertrages mit Herrn Hellen bzw. der Hellen GmbH erfolgt vor dem Hintergrund von vier erfolgreich durchgeführten Veranstaltungen und einer erprobten Zusammenarbeit.“

Dann bleibt immerhin festzuhalten, dass auf Basis zunächst mündlicher und nicht mehr nachvollziehbarer Vereinbarungen die Stadtwerke in Rechnung gestellte „Atriumtalk“-Kosten zwischen Februar 2008 und November 2010 vom insgesamt 406.105 Euro trugen.

Auffällig ist hierbei außerdem, dass der Vertrag 2010 nach einem besonderen Ereignis aufgesetzt wurde. Eine ungewöhnliche Anfrage aus dem Rat der Stadt Bochum erreicht im März jenes Jahres die Stadtwerke. Darin will ein Ratsherr wissen, wie viel den Gästen beim Atriumtalk gezahlt wird und welchen Nutzen die Veranstaltung habe.

Karitatives Motiv erst nachträglich gefunden

Die Antwort lässt drei Monate auf sich warten. Währenddessen erscheint nach einem „Atriumtalk“ mit Schauspielerin Senta Berger im Mai 2010 erstmals folgender Hinweis in der Pressemitteilung: „Seit 2008 präsentieren die Stadtwerke Bochum jedes Jahr im Frühling und Herbst, Persönlichkeiten aus Politik, Kultur, Sport und Gesellschaft im mittlerweile etablierten Veranstaltungsprofil ,Atriumtalk’. Alle Honorare kommen wohltätigen Zwecken zu Gute.“

Davon war bisher nicht die Rede gewesen. Nach der ersten Veranstaltung am 29. Februar 2008 wird Stadtwerke-Geschäftsführer Wilmert in der entsprechenden Pressemitteilung allenfalls so zitiert: „Neben den zahlreichen interessanten Veranstaltungen der Stadtwerke waren wir lange auf der Suche nach einem Leuchtturmprojekt, das unser Engagement auch in der Region bekannt macht und Bochums gesellschaftliche Wertschätzung nach außen trägt.“

Ende Juni 2010, also drei Monate nach der Anfrage aus dem Rat, antworten die Stadtwerke den Stadtverordneten: „Die Gäste selbst bekommen kein Geld. In der Regel wird eine von den Gästen zu benennende Stiftung bzw. karitative Einrichtung mit 20.000 Euro bedacht.“

Diese Aussage ist nach Erkenntnissen der Wirtschaftsprüfer „so nicht zutreffend“. Man kann wohl sagen, dass das karitative Motiv erst nachträglich gefunden wurde. Im Wirtschaftsprüferbericht gibt es vielmehr Hinweise darauf, dass mindestens zwei prominente Gäste, Peter Maffay und Uli Hoeneß, ihrerseits gebeten haben, dass für wohltätige Zwecke gespendet werde.

Aufsichtsratschefin bestreitet vorsätzliche Lüge

Es ist unbestreitbar, dass der Rat falsch unterrichtet wurde. Als vorsätzliche Lüge wollen es Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz (SPD), die auch Stadtwerke-Aufsichtsratschefin ist, und Geschäftsführer Wilmert jedoch nicht verstanden wissen.

Scholz’ Wortakrobatik ist verständlich, denn alles andere würde bedeuten, dass man den Rat der Stadt als Eigentümerin der Stadtwerke, bewusst oder unbewusst, hintergangen hätte. Die Wirtschaftsprüfer sind ihrerseits bemüht, die ursprünglich Motiv-Darstellung zu betonen, wonach es sich beim Atriumtalk um eine Kundenbindungsveranstaltung handele – „ein gemeinnütziger Zweck wird nicht verfolgt“.

Anfang November hatte der Stadtwerke-Kommunikationschef Schönberg öffentlich betont, dass es Absprachen mit den Gästen gebe, ihr Honorar an karitative Einrichtungen zu spenden. Diese Aussage mussten die Stadtwerke jedoch korrigieren, nachdem Peer Steinbrück eine Unterlassungserklärung erwirkt hatte.

Ohnehin wirkte dies konstruiert, das die Stadtwerke ein Honorar an Hellen überwiesen hätten, der dies wiederum an die Gäste weitergegeben habe mit der Maßgabe, dies zu spenden.

Verstöße gegen Gesellschaftervertrag

Ohnehin gerät Geschäftsführer Wilmert unter Druck, weil die Stadtwerke nach Darstellung der Wirtschaftsprüfer 2009 auf Wunsch des Musikers Peter Maffay 25.000 Euro an seine Stiftung gespendet haben, und ein Jahr später kamen sie dem Wunsch von Bayern-Präsident Uli Hoeneß nach und zahlten 20.000 Euro an eine Elterninitiative für krebskranke Kinder.

In beiden Fällen hätten sie wegen der Spendenhöhe eigentlich gegen den Gesellschaftervertrag verstoßen, weil dieser vorschreibt, dass der Geschäftsführer nur über eine Spende bis maximal 15.000 Euro selbstständig entscheiden dürfe und darüber hinaus die Zustimmung des Aufsichtsrates benötige.

Obwohl diese Zahlungen auch als „Spenden“ in der tabellarischen Kostenaufstellung zu finden sind, sehen die Wirtschaftsprüfer diese nicht als Spende, sondern als „Maßnahme der laufenden Betriebsführung“ und erklären sogar: „Dass die Herren Maffay und Hoeneß um eine direkte Zahlung der Stadtwerke Bochum an die gemeinnützigen Einrichtungen gebeten haben, ändert an dieser Beurteilung nichts.“

Beschlüsse am zuständigen Gremium vorbei

Für die CDU-Fraktion im Rat ist die Angelegenheit längst noch nicht aufgeklärt. Sie werden in der nächsten Ratssitzung im Dezember die Oberbürgermeisterin Scholz auffordern, sich vom Vorsitz des Aufsichtsrates zurückzuziehen. Sie werfen ihr fehlerhaftes Krisenmanagement vor und monieren vor allem ein Geheimtreffen Anfang November in den Räumen der Stadtwerken.

Scholz habe an dem Gremium vorbei Dinge beraten und beschlossen. Bei jenem ominösen sonntäglichen Treffen waren unter anderem die Stadtwerke-Geschäftsführer, Promi-Vermittler Hellen, ein ehemaliger Beigeordneter der Stadt, Vertreter einer Krisen-PR-Agentur und ein Jurist zugegen.

Nach dieser Gesprächsrunde veröffentlichten die Stadtwerke am Abend desselben Tages ihre Pressemitteilung und erklärten, dass sie die von Steinbrück eingeforderte Unterlassungserklärung unterzeichnet hätten. Nach Ansicht der CDU hätte man so etwas unbedingt im Aufsichtsrat besprechen müssen.

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