Seite drucken Entscheidung als PDF runterladen
I.
Die Beklagte wird verurteilt,
1.
an den Kläger zu 1
EUR 267.675,00 zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20. September 2008 zu zahlen;
weitere EUR 3.015,70 an vorgerichtlichen Anwaltskosten zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23. Januar 2015 zu zahlen;
die weitergehende Klage wird abgewiesen;
2.
an den Kläger zu 2
EUR 112.875,00 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20. September 2008 zu zahlen;
weitere EUR 1.999,32 an vorgerichtlichen Anwaltskosten zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23. Januar 2015 zu zahlen;
die weitergehende Klage wird abgewiesen;
3.
an die Klägerin zu 3
EUR 56.276,25 nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20. Dezember 2013 zu zahlen;
4.
an den Kläger zu 4
EUR 1.128.750,00 nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20. Dezember 2013 zu zahlen;
5.
an den Kläger zu 5
EUR 129.000,00 nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15. Januar 2014 zu zahlen;
6.
an die Klägerin zu 6
EUR 370.875,00 nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15. Januar 2014 zu zahlen;
7.
an die Klägerin zu 7
EUR 645.000,00 nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit dem 7. August 2014 zu zahlen;
8.
an den Kläger zu 8
EUR 177.052,50 nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15. Januar 2014 zu zahlen;
9.
an den Kläger zu 9
EUR 90.630,00 nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 3. Februar 2015 zu zahlen;
10.
an den Kläger zu 10
EUR 258.000,00 nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30. November 2010 zu zahlen;
11.
an die Klägerin zu 11
EUR 451.500,00 nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 4. Dezember 2010 zu zahlen,
12.
an den Kläger zu 12
EUR 2.426.812,50 nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 4. Dezember 2010 zu zahlen,
13.
an den Kläger zu 15
EUR 30.008.625,00 nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 4. Dezember 2010 sowie weitere Zinsen i.H.v. jährlich 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus EUR 53.271.125,00 vom 22. Januar 2009 bis zum 3. Dezember 2010 zu zahlen;
die weitergehende Klage wird abgewiesen;
14.
an die Klägerin zu 16
EUR 11.287.500,00 nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20. September 2008 zu zahlen;
die weitergehende Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klagen der Kläger zu 13, 14 und 17 werden abgewiesen.
III.
Die Gerichtskosten tragen der Kläger zu 13 i.H.v. 1,16 %, die Klägerin zu 14 i.H.v. 0,03 % und der Kläger zu 17 i.H.v. 0,01 %. Die übrigen Gerichtskosten trägt die Beklagte.
IV.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Kläger zu 1-12 und 15-16. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten tragen der Kläger zu 13 i.H.v. 1,16 %, die Klägerin zu 14 i.H.v. 0,03 % und der Kläger zu 17 i.H.v. 0,01 %. Im Übrigen tragen die Verfahrensbeteiligten ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
V.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
VI.
Der Streitwert für das Verfahren wird auf EUR 48.020.909,80 festgesetzt.
Tatbestand
2Mit der Klage verlangen die Kläger eine (ergänzende) angemessene Gegenleistung gemäß § 31 Abs. 1 WpÜG für den Verkauf ihrer Aktien der E1 AG (nachfolgend „E“) an die Beklagte zu je EUR 25,00. Sie sind der Meinung, dass die Beklagte für jede E-Aktie weitere EUR 32,25 zu zahlen habe, da sie die Kontrolle über die E bereits am 12. September 2008 erworben habe. Die Beklagte (nachfolgend auch „E2“) sei verpflichtet gewesen, zu diesem Zeitpunkt gemäß § 35 Abs. 1 WpÜG den Kontrollerwerb anzeigen und gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG ein Pflichtangebot vorzulegen, mit dem den freien Aktionären der E der Erwerb der E-Aktien in Höhe des seinerzeit von der Beklagten mit der E1 AG (nachfolgend „Post“) vereinbarten Preises pro Aktie i.H.v. 57,25 anzubieten gewesen sei. Die Kläger zu 13,14 und 17 verlangen zudem Zahlung in gleicher Höhe auf abweichender Rechtsgrundlage.
3Die Kammer hat eine gleichgelagerte Klage eines früheren E-Aktionärs bereits entschieden. Insoweit wird auf die Urteile des Landgerichts Köln vom 29. Juli 2011, 82 O 28/11, des Oberlandesgerichts Köln vom 31. Oktober 2012, 13 U 166 / 11, und des Bundesgerichtshofs vom 29. Juli 2014, II ZR 353/12, (nachfolgend auch „BGH-E-Urteil“) Bezug genommen (Anl. B1-B3 zu Band XVII). Das LG Köln und das OLG Köln hatten die Klage abgewiesen. Der Bundesgerichtshof hat die Sache zur weiteren Aufklärung (Interessenschutzklausel) an das OLG Köln zurückverwiesen. Nach Zurückverweisung an das OLG Köln ist die Sache dort zur weiteren Aufklärung anhängig.
4Im Rahmen der Übernahme der E haben die Beklagte sowie die Post u. a. folgende Verträge geschlossen:
5Acquisitions Agreement vom 12. September 2008 zwischen der Beklagten und der E1 Bankbeteiligungsgesellschaft mbH (nachfolgend: „Ursprungsvereinbarung“);
6Postponement and clarification agreement vom 22. Dezember 2008 zwischen der Beklagten und der E1 Beteiligungsgesellschaft mbH (nachfolgend: „Klarstellungsvereinbarung“).
7Share Pledge Agreement REGARDING THE MANDATORY EXCHANGEABLE BONDS vom 30. Dezember 2008 zwischen der Beklagten und der E1 AG (nachfolgend: „Ursprüngliche Verpfändungsvereinbarung“);
8Amendment agreement REGARDING THE ACQUISITION OF SHARES IN E1 AG vom 14. Januar 2009 zwischen der Beklagten der E1 AG (nachfolgend: „Änderungsvereinbarung“ oder „Nachtragsvereinbarung“);
9Share Pledge Agreement regarding the mandatory exchangeable Bonds vom 25. Februar 2009 zwischen der Beklagten und der Post (nachfolgend: „Verpfändungsvereinbarung Zwangsumtauschanleihe“);
10Share Pledge Agreement regarding the Payment of the cash collateral under the amandment Agreement vom 25. Februar 2009 zwischen der Beklagten und der Post (nachfolgend: „Verpfändungsvereinbarung Optionen“).
11SETTLEMENT CLARIFICATION AGREEMENT vom 23. Februar 2012 („Vollzug Pflichtumtauschanleihe und Put-Option“)
12Die Post hatte als damalige Muttergesellschaft der E mit der Beklagten am 12. September 2008 die Ursprungsvereinbarung geschlossen. Danach sollte die Beklagte im ersten Quartal 2009 von der Post 29,75 % der Aktien der E zum Preis von EUR 2,7 Mrd. oder EUR 57,25 je E-Aktie erwerben. Der Kaufpreis sollte bar bezahlt werden. Daneben wurde der Beklagten die Option eingeräumt, im Zeitraum zwischen 12 und 36 Monaten nach dem Abschluss des Erwerbs der Minderheitsbeteiligung weitere 18 % der E-Aktien für EUR 55,00 je Aktie zu erwerben. Die Post erhielt die Option, im Zeitraum zwischen 21 und 36 Monaten nach dem Abschluss des Erwerbs der Minderheitsbeteiligung 20,25 % der E-Aktien plus einer Aktie für EUR 42,80 je Aktie an die Beklagte zu veräußern. Der Verkauf des Aktienpaketes erfolgte vorbehaltlich der Zustimmung der zuständigen Aufsichts- und Kartellbehörden sowie der Bundesregierung. Streitig sind die Vollzugsbedingungen der Ursprungsvereinbarung, insbesondere der Zeitpunkt des Vollzugs.
13Am 12. September 2008 veröffentlichte die Beklagte den vorgenannten Vertragsinhalt der Ursprungsvereinbarung im Rahmen einer ad hoc-Mitteilung (Präsentation vom 12. September 2008, im Internet abrufbar unter www.anonym.de; Anl. B4 zu Bd. III). Ergänzend wies die Beklagte dabei auf eine Kooperationsvereinbarung mit der E wie folgt hin:
14„E1 verkauft Aktienpaket der E i.H.v. 29,75 % an E2
15E2 und E vereinbaren enge Kooperation
16[…]
17Weiterhin haben E2 mit ihren 14 Mio. Privat- und Geschäftskunden (davon 9,7 Mio. in Deutschland) und E mit 14,5 Mio. Kunden in Deutschland vereinbart, in mehreren Bereichen zu kooperieren. Hierzu zählen der Vertrieb von Immobilienfinanzierungen und Investmentprodukten. In dieser Zusammenarbeit liegt für beide Partner ein beträchtliches Ertragspotenzial. Beide Banken werden kurzfristig Details hierzu erarbeiten.
18Die Post veröffentlichte eine inhaltsgleiche ad hoc-Mitteilung (Anlage B 36 zu Bd. XX).
19Die Ursprungsvereinbarung vom 12. September 2008 war durch so genannte „Technische Klauseln“ abgesichert (Anl. K5 zu Bd. XIX). § 9.1a der Ursprungsvereinbarung vom 12. September 2008 lautet im englischen Original wie folgt:
20„Ziff. 9.1.: "Period between Signing Date and Closing Date
21Until the Closing Date, the Seller and the Seller's Guarantor and any Affiliates of the Seller's Guarantor shall not without the prior consent of the Purchaser:
22a) adopt or permit the adoption of any shareholders' resolution regarding(i) any amendment to the articles of association of the Company,(ii) any transformation of the Company within the scope of the German Transformation Act (UmwG),(iii) the distribution of any cash or noncash dividends, or(iv) any other measures or actions regarding the Company that may challenge, prevent or materially delay the transactions contemplated under this Agreement."
23Nach den von der Beklagten vorgelegten Übersetzung lautet Ziffer 9.1a der Ursprungsvereinbarung in deutscher Sprache wie folgt:
24„Zeitraum zwischen Signing Date und Closing Date
25Bis zum Closing Date sollen weder der Verkäufer noch der Garant des Verkäufers oder mit dem Garanten des Verkäufers verbundene Unternehmen ohne Zustimmung des Käufers
26a) einen Gesellschafterbeschluss fassen oder zulassen, welcher(i) eine Satzungsänderung der Gesellschaft,(ii) eine Umwandlung der Gesellschaft im Sinne des deutschen Umwandlungsgesetzes (UmwG),(iii) die Ausschüttung von baren oder unbaren Dividenden oder(iv) jedwede andere Maßnahmen oder Handlungen in Bezug auf die Gesellschaft betrifft, die die in dieser Vereinbarung vorgesehenen Transaktionen in Frage stellen, verhindern oder wesentlich verzögern können.“
27Die Kläger haben eine davon leicht abweichende Übersetzung aus der englischen die deutsche Sprache vorgelegt.
28Für den Fall einer Kapitalerhöhung bei der E bestand zum Vollzugstag nach der Ursprungsvereinbarung zumindest eine schuldrechtliche Verpflichtung der Beklagten, anteilig neue E-Aktien zum damals noch nicht feststehenden Ausgabepreis zu erwerben. Es ist in diesem Zusammenhang streitig, ob die Beklagte dinglich zur Übernahme neuer E-Aktien verpflichtet war. Streitig ist ferner, ob eine prozentuale Beteiligung der Beklagten an der E i.H.v. 29,75 % auch im Falle einer Kapitalerhöhung nicht überschritten werden sollte.
29Die E kündigte mit ad hoc-Mitteilung vom 27. Oktober 2008 (Anlage B5 zum Anlagenband III) die Durchführung einer Kapitalerhöhung noch im 4. Quartal 2008 an, und zwar mit folgendem Inhalt:
30„E1 AG: Negatives Ergebnis im 3. Quartal durch Folgen der Finanzmarktkrise/Kapitalerhöhung mit Bezugsrecht im 4. Quartal 2008 vorgesehen/E1 AG garantiert gesamte Kapitalerhöhung bei einem Bezugspreis von 18,25 EUR je Aktie
31[…]
32Der Vorstand hat mit Zustimmung des Aufsichtsrates als Teil seines Aktionsplans beschlossen, noch im 4. Quartal eine Kapitalerhöhung durchzuführen. Dabei wird das von der Hauptversammlung 2006 beschlossene genehmigte Kapital mit Bezugsrecht i.H.v. 54,8 Mio. Aktien voll ausgeschöpft. Der Bezugspreis für die Emission wird auf 18,25 EUR festgelegt. Weitere Einzelheiten werden zu einem späteren Zeitpunkt kurz vor Beginn des Angebots bekannt gegeben.
33Die Mehrheitsaktionärin der E, die E1 AG, hat sich gegenüber der E unbedingt und unwiderruflich verpflichtet, den gemäß ihrer Beteiligung i.H.v. 50 % plus einer Aktie auf sie entfallenden Anteil dieser Emission zum Bezugspreis zu zeichnen. Beim Bezugspreis von 18,25 EUR je Aktie hat sich die E1 außerdem verpflichtet, sämtliche Aktien aus der Kapitalerhöhung, die nicht anderweitig platziert werden können, zum Bezugspreis aufzunehmen.
34Nach Abschluss der geplanten Kapitalerhöhung würde die Kernkapitalquote auf Basis eines Bezugspreises von 18,25 EUR bei 6,9 % (pro forma) liegen. Um die Kapitalbasis darüber hinaus weiter zu festigen, plant der Vorstand derzeit, den Aktionären der E auf der nächsten ordentlichen Hauptversammlung im April 2009 vorzuschlagen, für das Geschäftsjahr keine Dividende auszuschütten.“
35Die E führte die angekündigte Kapitalerhöhung im 4. Quartal 2008 aus genehmigten Kapital i.H.v. EUR 54,8 Mio. durch. Die Anteile wurden überwiegend von der Post gezeichnet. Deren Anteil an den E-Aktien erhöhte sich dadurch von 50 % auf 62,35 %.
3628. November 2008 veröffentlichte die E auf der Grundlage einer Investorenmitteilung die Kapitalerhöhung und die Übernahme der Aktien durch die Post wie folgt (Anlage B6 zum Anlagenband III):
37„E1 AG schließt Kapitalerhöhung ab, Stärkung des Eigenkapitals um rund 1 Mrd. EUR
38Die E1 AG hat die Kapitalerhöhung mit Bezugsrecht abgeschlossen. Insgesamt wurden 54,8 Mio. neue Aktien zu einem Bezugspreis von 18,25 EUR ausgegeben. Je drei alte Aktien berechtigen zum Bezug von einer neuen Aktie. Die Bezugsfrist begann am 13. November und endete am 26. November 2008.
39Bereits vor Beginn des Angebotes hatte sich die E1 AG verpflichtet, den gemäß ihrer Beteiligung i.H.v. 50 % plus einer Aktie am Grundkapital auf sie entfallenden Anteil der Kapitalerhöhung zum Bezugspreis zu zeichnen.
40Weiterhin bestand die Vereinbarung, dass die E1 AG sämtliche Aktien aus der Kapitalerhöhung zum Bezugspreis aufnimmt, die nicht bei anderen Investoren platziert werden. Auf Basis dieser vertraglichen Regelungen hat die E1 AG insgesamt 93,3 % oder 54,4 Mio. neue Aktien aus der Emission aufgenommen. Der Anteil der Deutschen Post AG am Grundkapital der E1 AG beträgt nach Abschluss der Kapitalerhöhung somit 62,3 %.
41Der E1 AG fließt ein Brutto-Emissionserlös von insgesamt rund 1 Mrd. EUR zu. Die Tier 1 Ratio erhöht sich hierdurch um 1,4 %-Punkte und liegt somit, unter Berücksichtigung des Brutto-Emissionserlöses zum 30. September 2008, pro forma bei 6,9 %.
42[…]“
43Zwischen der Beklagten und der E1 Beteiligungsgesellschaft mbH wurde am 22. Dezember 2008 die Postponement and clarification agreement vereinbart, wonach der Vollzug der Ursprungsvereinbarung verschoben werden sollte. Die Gründe für den Abschluss der vorgenannten Vereinbarung sind streitig. Allerdings sollte die Ursprungsvereinbarung vollzogen werden, wenn deren Restrukturierung nicht bis zum 20. Januar 2009 verbindlich vereinbart worden wäre.
44Infolge der Verschiebung des ursprünglichen Vollzugstermins wurden wechselseitige Sicherungsvereinbarungen getroffen. Die Beklagte zahlte als Sicherheit an die Post einen Betrag von rund EUR 3,1 Mrd. (Geschäftsbericht der Post 2008, Seite 197, Anlage B7 zu Bd. I). Damit sollte entweder die ursprüngliche Zahlungsverpflichtung besichert werden oder ein Zahlungsanspruch der Post unter der noch abzuschließenden Nachtragsvereinbarung.
45Im Gegenzug vereinbarten die Beklagte und die Post zur Absicherung der Beklagten am 30. Dezember 2008 in der ursprünglichen Verpfändungsvereinbarung die Verpfändung von mindestens 65.093.000 E-Aktien der Post zugunsten der Beklagten.
46Am 14. Januar 2009 schlossen die Beklagte und die Post die Nachtragsvereinbarung. Danach sollte der Erwerb der E-Beteiligung - anders als ursprünglich vorgesehen - in folgenden drei Stufen durchgeführt werden: In einem ersten Schritt sollte die Beklagte 50.000.000 E-Aktien (= 22,9 % des Grundkapitals) zu je EUR 23,92 von der Post erwerben. Weitere 60.000.000 E-Aktien (= 27,4 % des Grundkapitals) sollte die Beklagte für je EUR 45,45 über eine Pflichtwandelanleihe mit Fälligkeit zum 25. Februar 2012 erwerben. Schließlich sollte die Beklagte restliche 26.417.432 E-Aktien (= 12,1 % des Grundkapitals) über Call- und Put-Optionen zum Preis von je EUR 48,85 für die Call-Option und je EUR 49,42 für die Put-Option erwerben, wobei die Optionen im Zeitraum zwischen dem 28. Februar 2012 und dem 25. Februar 2013 sollten ausgeübt werden können. In der Folgezeit erwarb die Beklagte - über eine Tochtergesellschaft - 22,9 % der E-Aktien und zeichnete die Wandelanleihe.
47Mit ad hoc-Mitteilung teilte die Beklagte am 14. Januar 2009 den Anlass und den Inhalt der Nachtragsvereinbarung wie folgt mit (Anlage B8 zu Anlagenband III):
48„E2 und E1 passen die Struktur des E-Beteiligungsvertrages an
49Die E2 AG und die E1 AG haben eine verbesserte Transaktionsstruktur auf Basis des bisherigen Kaufpreises für den Erwerb von Aktien der E1 AG durch die E2 vereinbart. Der Vertrag wird nun in drei Teilen umgesetzt. Die E2 kann dabei die Anteile der E kapitalschonender übernehmen. Im Gegenzug erhält die E1 die Erlöse aus der gesamten Transaktion am Tag des Closings und damit drei Jahre früher als erwartet. Die Unternehmen gehen vorbehaltlich der Zustimmung der Wettbewerbsbehörden von einem Closing bis spätestens 27. Februar 2009 aus. Der Barwert der Transaktion entspricht EUR 4,9 Mrd.
50In einem ersten Schritt wird die E2 50 Mio. Aktien der E – das entspricht einem Anteil von 22,9 % – voraussichtlich im Rahmen einer Sachkapitalerhöhung im Wert von etwa EUR 1,1 Mrd. unter Ausschluss des Bezugsrechts erwerben. Infolgedessen wird die E1 einen Anteil von rund 8 % an der E2 halten. Über die eine Hälfte dieser Aktien kann die E1 ab Ende April frei verfügen. Die andere Hälfte dieser Aktien ist ab Mitte Juni veräußerbar. Für eine Veräußerung sind marktschonende Mechanismen vereinbart worden. Für die Zeit bis zur Veräußerbarkeit sind in bestimmtem Umfang Kurssicherungsmaßnahmen zulässig und zum Teil auch vorgesehen.
51Zugleich zeichnet die E2 eine Pflichtumtauschanleihe der Deutschen Post, die nach Ablauf von drei Jahren inklusive der aufgelaufenen Zinsen i.H.v. 60.000.000 Aktien, oder 27,4 %, der E getauscht wird. Dabei handelt es sich um eine Nullkupon-Anleihe mit einer Verzinsung von 4 % per anno. Der Barwert zum Zeitpunkt des Closings beträgt voraussichtlich EUR 2,7 Mrd.
52Für die verbleibenden Aktien (26,4 Mio. Aktien bzw. 12,1 %) bestehen weiterhin Kauf- und Verkaufsoptionen. Die Optionen werden durch die Zahlung des Barwertes zum Zeitpunkt des Closings i.H.v. EUR 1,1 Mrd. besichert. Die Fristen zur Ausübung der Optionen laufen nun zwischen dem 36. und 48. Monat nach Abschluss der Transaktion.
53Durch die Besicherung der Verkaufsoption und durch die Zeichnung der Pflichtumtauschanleihe erhält die E1 unmittelbar liquide Mittel von voraussichtlich EUR 3,8 Mrd., wovon EUR 3,1 Mrd. bereits am 2. Januar 2009 an die E1 geflossen sind.
54Für die E2 reduziert sich beim Closing der neuen Struktur die erwartete Tier 1-Kapitalbelastung von ursprünglich EUR 2,2 Mrd. auf EUR 1,0 Mrd.
55Die Werte der einzelnen Tranchen können zum Closing noch adjustiert werden.“
56Die Post hat eine inhaltsgleiche ad hoc-Mitteilung veröffentlicht (Anl. B37 zu Bd. XX).
57Die Post übte entsprechend der Nachtragsvereinbarung am 21. Januar 2009 für den Verkauf von 50 Mio. Aktien der E ihr Wahlrecht aus, statt Barzahlung eine Kapitalerhöhung bei der Beklagten aus genehmigtem Kapital zu wählen. Die Durchführung der Kapitalerhöhung der Beklagten wurde am 6. März 2009 in das Handelsregister eingetragen. Mit der Handelsregistereintragung wurde die Kapitalerhöhung wirksam und die Beklagte erwarb die 50 Mio. E-Aktien.
58Die Beklagte zeichnete die von der Post begebene Pflichtumtauschanleihe am 25. Februar 2009. Die Pflichtumtauschanleihe konnte mit vorheriger Zustimmung der Post auf Dritte übertragen werden. Die Zustimmung durfte nicht unbillig versagt werden und war jedenfalls bei Übertragung auf verbundene Unternehmen der Beklagten oder auf in der EU ansässige Dritte zu erteilen. Die Pflichtumtauschanleihe sollte am 25. Februar 2012 fällig werden. Die Parteien streiten darüber, ob sich aus den vertraglichen Abreden lediglich ein schuldrechtlicher Anspruch auf Übertragung von weiteren 60 Mio. E-Aktien zum Fälligkeitszeitpunkt ergibt, so die Beklagte, oder ob die dingliche Übertragung der Aktien aus der Pflichtumtauschanleihe bei deren Zeichnung bereits erklärt bzw. gesichert war.
59Dritter Bestandteil der Änderungsvereinbarung vom 14. Januar 2009 war die Gewährung von Put-/Call-Optionen im Hinblick auf weitere 26.417.432 E-Aktien (12,1 %). Zur Sicherung möglicher künftiger Zahlungsansprüche der Post aus der Put-Option stellte die Beklagte der Post eine Sicherheit in Höhe von EUR 1.160.643.629,00 („Cash Collateral“).
60Unter § 10.1a der Nachtragsvereinbarung vom 14. Januar 2009 findet sich die bereits in § 9.1a der Ursprungsvereinbarung vorgesehene technische Klausel mit nahezu identischen Wortlaut.
61Am 25. Februar 2009 vereinbarten die Beklagte und die Post zur Absicherung der Ansprüche aus der Zwangsumtauschanleihe einen Verpfändungsvertrag. Die Post räumte der Beklagten darin erstrangige Pfandrechte an 60 Mio. E-Aktien ein. Die Pfandrechte sicherten die pünktliche und vollständige Erfüllung sämtlicher Verpflichtungen der Beklagten aus der Zwangsumtauschanleihe (Anl. B33 zu Bd. III).
62Die §§ 4, 5 des Verpfändungsvertrages zur Zwangsumtauschanleihe enthalten Aussagen zu Dividenden und sonstigen Rechten und zur Ausübung der Mitgliedschaftsrechte durch die Verpfänderin. Die Bestimmungen lautet im englischen Original wie folgt (Anlage B 33 zu Bd. III):
63§ 4 Dividends and other Rights
644.1 The Pledges constituted hereunder extend to(i) the present and future rights to receive(a) dividends attributable to the Pledged Shares and(b) liquidation proceeds, repaid capital in case of a capital decrease and all other pecuniary claims associated with the Pledged Shares and(ii) all present and future pre-emptive rights (Bezugsrechte) in respect of the Pledged Shares.4.2 Notwithstanding that the dividends and present and future pre-emptive rights (Bezugsrechte) are pledged hereunder, the Pledgor shall be entitled(i) to receive and retain alt dividend payments in respect of the Pledged Shares and(ii) to exercise or realize present and future pre-emptive rights (Bezugsrechte) in respect of the Pledged Shares and retain all shares related thereto until such time as any Pledgee is entitled pursuant to Section 8.1 to enforce its Pledges constituted hereunder.
65§ 5 Exercise of Membership Rights by Pledgor
665.1 The membership rights, including the voting rights, attached to the Pledged Shares shall remain with the Pledgor. The Pledgor, however, shall, at all times until full satisfaction of all Secured Obligations exercise its membership rights, including its voting rights, in good faith to ensure that the validity and enforceability of the Pledges and the existence of the Pledged Shares are not in any way adversely affected and that the value of the Pledged Shares is not materially impaired, provided that dividend payments pursuant to Section 4 above and any action or omission to act permitted by the Acquisition Agreement, the Postponement and Clarification Agreement or the Amendment Agreement shall not be prohibited.
675.2 Any Pledgee shall, provided that it has been notified by the Pledgor reasonably in advance, take those actions and give such declarations necessary for the Pledgor to exercise its voting rights, in particular with respect to the preconditions set out in Section 123 of the German Stock Corporation Act (Aktiengesetz), provided that in no case a Pledgee shall be obliged to take any action or give any declaration which would or might affect the validity or existence of the Pledges. “
68Die §§ 4, 5 des Verpfändungsvertrages zur Pflichtumtauschanleihe lauten in der von der Beklagten vorgelegten beglaubigten Übersetzung von der englischen in die deutsche Sprache wie folgt (Anl. B 33 zu Bd. III):
69„§ 4 Dividenden und sonstige Rechte
704.1 Die in diesem Vertrag bestellten Pfandrechte erstrecken sich auf(i) die gegenwärtigen und zukünftigen Rechte zum Erhalt von(a) Dividendenzahlungen, die den Verpfändeten Aktien zuzuordnen sind, und (b) Liquidationserlösen, zurückgezahltem Kapital im Falle einer Kapitalherabsetzung und allen sonstigen geldwerten Ansprüchen im Zusammenhang mit den Verpfändeten Aktien und(ii) alle gegenwärtigen und zukünftigen Bezugsrechte im Zusammenhang mit den Verpfändeten Aktien.
714.2 Ungeachtet des Umstandes, dass die Dividendenrechte und gegenwärtigen und zukünftigen Bezugsrechte im Rahmen dieses Vertrages verpfändet sind, hat die Verpfänderin das Recht,(i) alle Dividendenzahlungen bezüglich der Verpfändeten Aktien zu erhalten und einzubehalten und(ii) gegenwärtige und zukünftige Bezugsrechte im Hinblick auf die Verpfändeten Aktien auszuüben oder zu verwerten und alle damit im Zusammenhang stehenden Aktien bis zu dem Zeitpunkt einzubehalten, zu dem ein Pfandgläubiger gemäß § 8.1 das Recht hat, seine nach diesem Vertrag bestellten Pfandrechte zu verwerten.
72§ 5 Ausübung der Mitgliedschaftsrechte durch die Verpfänderin
735.1 Die Mitgliedschaftsrechte, einschließlich der Stimmrechte, aus den Verpfändeten Aktien verbleiben bei der Verpfänderin. Die Verpfänderin muss jedoch bis zur vollständigen Befriedigung sämtlicher Besicherter Forderungen ihre Mitgliedschaftsrechte, einschließlich der Stimmrechte, nach Treu und Glauben ausüben, um sicherzustellen, dass die Gültigkeit und Durchsetzbarkeit der Pfandrechte und der Bestand der Verpfändeten Aktien in keiner Weise nachteilig beeinflusst werden, und dass der Wert der Verpfändeten Aktien nicht erheblich gemindert wird, mit der Maßgabe, dass Dividendenzahlungen gemäß vorstehendem § 4 und jede Handlung oder Unterlassung, die durch die Erwerbsvereinbarung, die Aufschub- und Klarstellungsvereinbarung oder die Nachtragsvereinbarung erlaubt ist, nicht untersagt sind.
745.2 Jeder Pfandgläubiger, vorausgesetzt er wurde angemessen im Voraus von der Verpfänderin informiert, muss die Handlungen vornehmen und die Erklärungen abgeben, die notwendig sind, damit die Verpfänderin ihre Stimmrechte ausüben kann, insbesondere hinsichtlich der Voraussetzungen gemäß § 123 AktG, mit der Maßgabe, dass ein Pfandgläubiger in keinem Fall verpflichtet ist, Handlungen vorzunehmen oder Erklärungen abzugeben, die die Gültigkeit oder den Bestand der Pfandrechte beeinträchtigen würden oder könnten.
75Die Kläger haben dazu abweichende beglaubigte Übersetzungen von der englischen in die deutsche Sprache vorgelegt (u. a. Anl. K2 und K4 zu Bd. XIX).
76Nach Ziffer 2.2 des Pfandvertrags haben die Beklagte und die Post eine Abtretung der Herausgabeansprüche der Post in Bezug auf die E-Aktien an die Beklagte vereinbart. Aus diesem Grund erfolgte eine Umstellung der Besitzmittlungsverhältnisse bei der J-Bank (mittelbarer Fremdbesitz) und der I Banking AG (unmittelbarer Fremdbesitz).
77§ 8 der Verpfändungsvereinbarung zur Pflichtumtauschanleihe lautet in der englischen Vertragsfassung wie folgt (Anlage B 33 zu Bd. III):
78„§ 8 Enforcement of Pledges
798.1 If any of the Secured Obligations has become due and payable, the respective Pledgee shall be entitled to realize (verwerten) its Pledges, provided, however, that no Pledgee may take any enforcement action whatsoever, except with the prior written consent of E2 AG. Notwithstanding Section 1277 of the German CiviI Code, any Pledgee is entitled to exercise its rights without obtaining an enforceable judgement or other instrument (vollstreckbarer Titel).
808.2 In order to enforce the Pledges, any Pledgee may avail itself to all rights and remedies that a pledgee has against a pledgor under the German law. Pursuant to Section 1259 of the German Civil Code, any Pledgee shall in particular be entitled to claim tide to and delivery of the Pledged Shares or demand that the Pledged Shares be sold by way of a private sale (freihändiger Verkauf) by or on behalf of such Pledgee at the stock market price.
818.3 The Pledgor hereby expressly agrees that five (5) Business Days' prior written notice to the Pledgor of the place and time of any realization (Pfandverkauf) of the Pledged Shares shall be sufficient. No Pledgee shall be obliged to deliver any further notices (including, but not limited to the notices set out under Section 1234 of the German Civil Code) to the Pledgor prior to any realization.
828.4 Any Pledgee may, in its sole discretion, determine which of several security interests, if applicable, shall be used to satisfy the Secured Obligations. The Pledgor hereby expressly waives the right pursuant to Section 1230 sentence 2 of the German Civil Code to limit the realization of the Pledged Shares to such number of Pledged Shares as are necessary to satisfy the Secured Obligations.
838.5 The Pledgor hereby expressly waives all defences of void ability (Einrede der Anfechtbarkeit) and set-off (Einrede der Aufrechenbarkeit) pursuant to Sections 1211, 770 of the German Civil Code and any other defences that the Pledgor may have under German or foreign law.“
84§ 8 der Verpfändungsvereinbarung zur Zwangsumtauschanleihe lautet nach der von der Beklagten vorgelegten beglaubigten Übersetzung von der englischen in die deutsche Sprache wie folgt:
85„§ 8 Verwertung der Pfandrechte
868.1 Falls eine Besicherte Forderung fällig und zahlbar geworden ist, hat der jeweilige Pfandgläubiger das Recht, seine Pfandrechte zu verwerten, allerdings mit der Maßgabe, dass ohne vorherige schriftliche Zustimmung der E2 AG kein Pfandgläubiger eine Verwertungshandlung vornehmen darf. Ungeachtet § 1277 BGB ist jeder Pfandgläubiger berechtigt, seine Rechte ohne Erlangung eines vollstreckbarenTitels auszuüben.
878.2 Um die Pfandrechte zu verwerten, darf jeder Pfandgläubiger sich aller Rechte und Mittel bedienen, die einem Pfandgläubiger gegen einen Verpfänder nach deutschem Recht zustehen. Gemäß § 1259 BGB hat jeder Pfandgläubiger insbesondere das Recht, das Eigentum und die Übergabe der Verpfändeten Aktien zu verlangen oder zu fordern, dass die Verpfändeten Aktien im Wege eines freihändigen Verkaufs durch den Pfandgläubiger selbst oder in dessen Auftrag zum Börsenkurs verkauft werden.
888.3 Die Verpfänderin stimmt hiermit ausdrücklich zu, dass es ausreicht, wenn die Verpfänderin fünf (5) Geschäftstage vorher über den Ort und die Zeit einer jeglichen Verwertung der Verpfändeten Aktien (Pfandverkauf) unterrichtet wird. Kein Pfandgläubiger ist verpflichtet, vor der Verwertung gegenüber der Verpfänderin weitere Mitteilungen (unter anderem die Mitteilungen gemäß § 1234 BGB) abzugeben.
898.4 Jeder Pfandgläubiger darf nach eigenem Ermessen entscheiden, welches von gegebenenfalls mehreren Sicherungsrechten er zur Befriedigung der Besicherten Forderungen verwendet. Die Verpfänderin verzichtet hiermit ausdrücklich auf das Recht nach § 1230 Satz 2 BGB, die Verwertung der Verpfändeten Aktien auf die Anzahl Verpfändeter Aktien zu begrenzen, die zur Befriedigung der Besicherten Forderungen erforderlich ist.
908.5 Die Verpfänderin verzichtet hiermit ausdrücklich auf die Einrede der Anfechtbarkeit und die Einrede der Aufrechenbarkeit gemäß §§ 1211, 770 BGB und auf alle anderen Einreden, die der Verpfänderin möglicherweise nach deutschem oder ausländischem Recht zustehen.“
91Die Kläger haben dazu ebenfalls beglaubigte Übersetzungen mit abweichendem Wortlaut vorgelegt (u. a. Anl. K2 und K4 zu Bd. XIX).
92Mit weiterer Verpfändungsvereinbarung vom 25. Februar 2009 übertrug die Post der Beklagten erstrangige Pfandrechte an 26.417.432 E-Aktien zur Sicherung der pünktlichen und vollständigen Erfüllung der Ansprüche der Beklagten auf Übereignung der verpfändeten 26.417.432 E-Aktien im Zuge der Ausübung der Put-Option sowie auf etwaige Rückzahlung des Cash Collaterals (Anlage B 34 zu Anlagenband III und u. a. Anl. K27 zu Bd. XX). Hinsichtlich der §§ 2.2, 5.1 und 5.2, 8.1-8.5 enthält der Pfandvertrag zum Cash Collateral identische Bedingungen wie der Pfandvertrag zur Zwangsumtauschanleihe.
93Am 3. März 2009 veröffentlichte die E eine von der Beklagten ihr gegenüber gemäß § 26 Abs. 1 WPHG abgegebene Erklärung (Anl. K4 zu Band XV):
94„Die E2 Aktiengesellschaft hat uns am 27.2.2009 … mitgeteilt, dass die E4 S. A. R. L. am 26.2.2009 Finanzinstrumente unmittelbar hält, die ihr das Recht einräumen, Aktien an der E1 AG zu beziehen, die 39,49 % der Stimmrechte (86.417.432 Stimmrechte) verbriefen. Es handelt sich dabei um eine Pflichtumtauschanleihe und eine Call-Option. An diesem Tag hätte die E4 S. A. R. L. damit die Schwellen von 5 %, 10 %, 15 %, 20 %, 25 % und 30 % an der E1 AG überschritten.“
95Die Beklagte und die E vereinbarten ein Kooperationsabkommen, wobei der Zeitpunkt und der Inhalt dieser Vereinbarung im Einzelnen streitig sind. Die Kooperation wurde spätestens im März 2009 vereinbart. Gegenstand der Kooperation war jedenfalls eine Vertriebskooperation in verschiedenen Produktbereichen und eine Kooperation im Bereich Einkauf und IT-Infrastruktur.
96Zum 22. April 2009 zogen die Herren A und Dr. B in den Aufsichtsrat der E ein (Auszug aus dem Geschäftsbericht der E 2009, Seite 161, Anl. B10 zu Bd. XVII). Herr A war seinerzeit Mitglied im Group Executive Comittee sowie Global Head of Transaction Banking bei der Beklagten. Herr Dr. B war zuvor Mitglied des Vorstands der Beklagten und seinerzeit Vorsitzender des Vorstands der E2 Stiftung in Berlin.
97Herr A und Dr. B übernahmen zeitgleich mehrere Ämter in Ausschüssen des Aufsichtsrats der E. Dr. B wurde Mitglied des Präsidialratsausschusses, des Norminierungsausschusses und des Vermittlungsausschusses (Auszug Geschäftsbericht E 2009, Seite 23, Anlage K12 zu Bd. XVII). Herr A wurde Mitglied des Prüfungsausschusses sowie des Kreditausschusses, dessen Vorsitz er übernahm (Auszug Geschäftsbericht E 2009, Seite 23, Anlage K12 zu Bd. XVII). In die Kompetenz des Präsidialausschusses fielen insbesondere die Vorbereitung der Bestellung und Abberufung der Mitglieder des Vorstandes, der Abschluss, die Änderung und Beendigung der Anstellungsverträge der Mitglieder des Vorstandes, sowie sämtliche Themen von übergeordneter Bedeutung und Grundsatzfragen der strategischen Ausrichtung des Unternehmens (Auszug Geschäftsbericht E 2009, Seite 23, Anlage K12 zu Bd. XVII).
98Am 29. Mai 2009 fand die 1. Aufsichtsratssitzung nach dem Einzug der Herren A und Dr. B in den Aufsichtsrat der E statt (Auszug Geschäftsbericht E 2009, Seite 23, Anlage K 12 zu Bd. XVII). In dieser Sitzung wurde Herr C zum Vorstandsmitglied der E bestellt und zugleich zu dessen Vorstandsvorsitzenden berufen für den bis dahin tätigen Vorstandsvorsitzenden Dr. D. Die E teilte am selben Tag per ad hoc-Mitteilung folgendes mit (Anlage K14 zu Band XVII):
99„Der Aufsichtsrat und der bisherige Vorstandsvorsitzende, Dr. D, [haben zuvor] entschieden, dass sein Mandat aufgrund unterschiedlicher Auffassungen über die zukünftige Geschäftspolitik des Instituts zum 30. Juni 2009 im besten gegenseitigen Einvernehmen endet.“
100Die Beteiligung an der E wurde in dem Jahresabschluss 2009 der Beklagten bilanziert. In der Bilanz wurden neben einer Beteiligung von 29,88 % auch der durch die Pflichtumtauschanleihe zukünftig zu erwerbende Anteil von 27,4 % bzw. dessen Gegenwert nach der Equity-Methode erfasst. Dazu wird in dem Jahresabschluss der Beklagten ausgeführt, dass bedingt durch ihre „spezifischen Konditionen“ die Pflichtumtauschanleihe vorwiegend ein Eigenkapitalrisiko berge und daher als Teil der nach der Equity-Methode bilanzierten Beteiligung verbucht werde.
101Spiegelbildlich wurde ein Beteiligungsbesitz i.H.v. 27,4 % der E-Aktien in der Bilanz der Post als „aufgegebener Geschäftsbereich“ ausgewiesen (Auszug Konzernlagebericht Post 2009, Seiten 33, 43, Anl. K6 Bd. 2 XVI).
102Für die Geschäftsjahre 2008-2012 schüttete die E aufgrund entsprechender Hauptversammlungsbeschlüsse mit Billigung der Post keine Dividenden aus.
103Am 12. September 2010 beschloss die Beklagte mit dem Ziel, eine Mehrheitsbeteiligung an der E zeitnah zu realisieren und die E noch im Jahr 2010 voll konsolidieren zu können, ein freiwilliges öffentliches Übernahmeangebot an alle E-Aktionäre zum Erwerb aller von diesen gehaltenen E-Aktien abzugeben (Meldung vom 12. September 2010, Anlage B18 zu Bd. XVII).
104Am 6. Oktober 2010 gestattete die BaFin die Veröffentlichung der Angebotsunterlage. Nach der Auffassung der BaFin hatte die Beklagte keine Kontrolle über die E erlangt (Jahresbericht der BaFin 2010, Seite 220 ff., Anlage B19 zu Bd. XVII).
105Die Beklagte veröffentlichte die Angebotsunterlage am 7. Oktober 2010. Die Annahmefrist lief am 4. November 2010 ab. Die weitere Annahmefrist endete mit Ablauf des 24. Novembers 2010.
106Die BaFin ermittelte zum Stichtag 11. September 2010 einen Drei-Monats-Durchschnittskurs i.H.v. EUR 25,00 je E-Aktie (Schreiben der BaFin 21. September 2010, Anlage B20 zu Bd. XVII).
107Insgesamt wurde das Übernahmeangebot während der Annahmefrist und der weiteren Annahmefrist für 48.194.431 E-Aktien angenommen. Das entspricht einem Anteil von ca. 22,02 % des Grundkapitals und der Stimmrechte der E. Die Gesamtzahl der Stimmrechte aus E-Aktien, die der Beklagten zurechenbar waren bzw. die sie selbst hielt, belief sich nach Durchführung des Übernahmeangebotes auf mindestens 113.735.431 Stimmrechte. Das entsprach einem Anteil von ca. 51,98 % der Stimmrechte der E (Meldung vom 29. November 2010, Anlage B21 zu Bd. XVII).
108Die angedienten E-Aktien wurden am 3. Dezember 2010 jeweils Zug um Zug gegen Zahlung der angebotenen Gegenleistung i.H.v. EUR 25,00 je E-Aktie auf die Beklagte übertragen. Damit überschritt die Beklagte jedenfalls am 3. Dezember 2010 die Schwellen von 30 % und 50 % der Stimmrechte an der E (Veröffentlichung E 7. Dezember 2010, Anlage B22 zu Bd. XVII).
109Die Beklagte gab mit Pressemitteilung vom 14. Dezember 2010 bekannt, dass sie nach Freigabe durch die US-amerikanischen Kartellbehörden die E zum Stichtag 3. Dezember 2010 erstmalig konsolidieren werde (Pressemitteilung Beklagte 14. Dezember 2010, Anlage B23 zu Bd. XVII).
110Laut Präambel des Settlement Clarification Agreement vom 23. Februar 2012 wurde die Übertragung der E-Aktien, die der Put-Option unterlagen, für den 28. Februar 2012 vereinbart. Die E4 S.à.r.l. sollte zu diesem Zeitpunkt ermächtigt werden, sich die E-Aktien in vorgenannter Anzahl anzueignen (Anl. B29 zu Bd. V). Zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten aus der Pflichtumtauschanleihe sollte die E4 S.à.r.l. am 27. Februar 2012 ermächtigt werden, sich 60 Mio. E-Aktien anzueignen (Anl. B29 zu Bd. V). Mit Schreiben der Post vom 27. und 28. Februar 2012 an die E4 S.à.r.l. wurde entsprechend verfahren (Anlagenkonvolut B30 zu Bd. V).
111Mit Ausnahme der Kläger zu 13, 14 und 17 haben die übrigen Kläger in unterschiedlichem Umfang das freiwillige Übernahmeangebot der Beklagten vom 7. Oktober 2010 angenommen, und zwar wie folgt:
112der Kläger zu 1 mit 8.300 Stück E-Aktien (Anl. K5 zu Bd. I);
der Kläger zu 2 mit 3.500 E-Aktien (Anl. K6 zu Bd. I);
die Klägerin 3 mit 1.745 E-Aktien;
der Kläger zu 4 mit 35.000 E-Aktien;
der Kläger zu 5 mit 4.000 E-Aktien (Anl. K1 Bd. V);
die Klägerin zu 6 mit 11.500 Stück E-Aktien;
die Klägerin zu 7 mit 20.000 E-Aktien. Sie klagt aus abgetretenem Recht. Die H AG war Aktionärin der E. Die H AG nahm das Übernahmeangebot der Beklagten mit 20.000 E-Aktien an (Anl. K1 zu Bd. VI). Mit Vereinbarung vom 23. Dezember 2013 trat die H AG die streitgegenständliche Forderung an die Klägerin ab und zeigte dies gegenüber der Beklagten an (Anl. K2 zu Bd. VI);
der Kläger zu 8 mit 5.490 E-Aktien (Anl. K1 zu Band VII);
der Kläger zu 9 mit 3.800 E-Aktien;
der Kläger zu 10 mit 8.000 E-Aktien (Anl. K2 zu Bd. X);
die Klägerin zu 11 mit 14.000 Stück E-Aktien (Anl. 1A, 1B, 1C zu Bd. XI);
der Kläger zu 12 mit 75.250 E-Aktien (Anl. 1A, 1B zu Bd. XII);
der Kläger zu 15 mit insgesamt 273.000 E Aktien und die zur K-Gruppe gehörenden Unternehmen mit insgesamt 657.500 Aktien, insgesamt 930.500 Aktien.
die Klägerin zu 16 mit 350.000 E-Aktien.
Die Kläger zu 13, 14 und 17 nahmen das freiwillige Übernahmeangebot der Beklagten nicht an und verkauften ihre E-Aktien vor Erhebung der Klage zu unterschiedlichen Zeitpunkten und unterschiedlichen Preisen an Dritte.
128Die Kläger stützen die Klageforderungen auf § 31 Abs. 1 WpÜG. Die Kläger zu 13, 14 und 17 stützen ihre Klagen auf weitere Anspruchsgrundlagen.
129Die Kläger sind der Meinung, dass der Anspruch auf ergänzende Zahlung der Differenz zwischen der angebotenen und der angemessenen Gegenleistung des freiwilligen Übernahmeangebotes der Beklagten berechtigt sei. Die angemessene Gegenleistung betrage EUR 57,25 und nicht EUR 25,00, wie angeboten worden sei. Der angemessene Betrag sei identisch mit dem Kaufpreis, den die Beklagte der Post in der Ursprungsvereinbarung für den Erwerb eines Aktienpaketes von 29,75 % angeboten habe. Die Kläger sind der Meinung, dass die Beklagte bereits seit dem 12. September 2008 verpflichtet gewesen sei, gemäß § 35 Abs. 1 WpÜG anzuzeigen, dass ihr mindestens 30 % der Stimmrechte an E gehören bzw. zuzurechnen waren, und gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG ein Pflichtangebot vorzulegen. Diese Unterlassungen führten aufgrund der zutreffenden BGH-Rechtsprechung dazu, dass die für die Berechnung der angemessenen Gegenleistung aus dem freiwilligen Übernahmeangebot heranzuziehenden Referenzzeiträume auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Kontrollerlangung zum 12. September 2008 auszudehnen seien.
130Die Beklagte habe spätestens mit Abschluss des Ursprungsvertrags am 12. September 2008 die Kontrolle gemäß § 29 Abs. 2 WpÜG über die E erlangt. Mit dem Abschluss der Ursprungsvereinbarung seien der Beklagten sämtliche Stimmrechte der Post zu ihren E-Aktien gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 2 WpÜG (Halten für Rechnung des Bieters), § 30 Abs. 1 Nr. 5 WpÜG (Aneignungsrecht des Bieters) und § 30 Abs. 2 S. 2 1. und 2. Alt. WpÜG (Acting in Concert) zuzurechnen.
131Die Zurechnung § 30 Abs. 2 S. 2 WpÜG ergebe sich aus § 9.1a der Ursprungsvereinbarung und § 10.1a der Änderungsvereinbarung (nachfolgend „technische Klauseln“). Die Zurechnung ergebe sich ferner aus § 5.1, 5.2 der Verpfändungsvereinbarungen vom 30. Dezember 2008 sowie vom 25. Februar 2009 (nachfolgend „Pfandklauseln“). Diese Vertragselemente seien dem Bundesgerichtshof in dem Parallelverfahren nicht bekannt gewesen. Die Beklagte habe die Vertragsbestimmungen bewusst zurückgehalten. Sie seien erst in den Rechtsstreit eingeführt worden, nachdem der Vorstandsvorsitzende Post, Herr Dr. L, die technischen Klauseln in dem Parallelverfahren anlässlich seiner Zeugenaussage vor dem OLG Köln angesprochen habe. Die technischen Klauseln und die Pfandklauseln seien als Interessenschutzklauseln im Sinne der BGH-Rechtsprechung zu qualifizieren, mit denen sich die Post hinsichtlich der Stimmrechtsausübung zu ihren E-Aktien den Interessen der Beklagten untergeordnet habe. Die Beklagte habe die Stimmrechtsausübung der Post in allen wesentlichen unternehmerischen Entscheidungen aktiv gestalten können und auch gestaltet. Die Beklagte habe damit auch die unternehmerische Ausrichtung der E dauerhaft und erheblich ändern können.
132Die Kläger behaupten, dass bei Abschluss der Ursprungsvereinbarung und des am selben Tag zwischen der E2 und der E abgeschlossenen Kooperationsrahmenvertrages zu weitgehenden Vereinbarungen zwischen der E2 und der Post hinsichtlich der Ausübung der bilanziellen Ansatz- und Bewertungsrechte der E im 4. Quartal 2008 gekommen sei. Damit seien Verlustrealisierungen bei der E im Jahre 2008 im Interesse der E2 erzwungenen worden. Von den Vereinbarungen seien ferner die Ausübung des genehmigten Kapitals II umfasst gewesen ebenso wie abgestimmte langfristige Gewinnthesaurierungen der E durch Dividendenverzichte der Post. Schließlich sei Gegenstand der Absprache die Änderung des Geschäftsmodells der E gewesen, insbesondere die Aufgabe aller Geschäftsbereiche außerhalb des reinen Privatkundengeschäfts. Schließlich seien der Beklagten unmittelbare Berichtslinien und Durchgriffsrechte auf Risikoaktiva und Risikogeschäftsbereiche der E eingeräumt worden.
133Die Kläger behaupten zusammenfassend, dass mit Abschluss der Ursprungsvereinbarung vom 12. September 2008 bereits alle Zustimmungsrechte der E2 zu den dann im 4. Quartal 2008 vorgenommenen Maßnahmen der E gesichert gewesen seien, d. h. die Ausübung des genehmigten Kapitals II, die Dividendenstreichung, der Verkauf des gesamten Aktienpaketes, die Änderung der Bilanzierung, die Aufgabe einzelner Geschäftsbereiche, die Ernennung und Abberufung von Vorständen und Generalbevollmächtigten, die Änderung des Risikomanagementsystems sowie die Vergabe von gewerblichen Groß- und Konsortialkrediten. Darin liege ein nachhaltiger Einfluss auf die geschäftspolitische Ausrichtung der E.
134Die Zurechnung gemäß § 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 WpÜG (Halten für Rechnung) resultiere daraus, dass die Beklagte mit Abschluss der Ursprungsvereinbarung bereits sämtliche Risiken und Chancen bezüglich der E übernommen und sie zudem aufgrund der technischen Klauseln und der Pfandklauseln Einfluss auf die Stimmrechtsausübung der Post zu deren E-Aktien gehabt habe. Aus der Sicht der Post sei die Mehrheitsübernahme durch die Beklagte bereits Anfang 2009 abgeschlossen gewesen. Sie habe zu diesem Zeitpunkt bereits sämtliche Zahlungen vorab erhalten. Mangels fortbestehendem Interesse der Post an der E seien die Anteile der E nicht auf Vorstandsebene, sondern lediglich im Beteiligungsmanagement verwaltet worden. Sämtliche Risiken und Chancen der Übernahme von E-Aktien habe die Beklagte getragen. Das gelte auch bezüglich der Dividendenzahlungen. Die Beklagte habe ein Interesse gehabt, Dividendenzahlungen bei der E aufgrund des preislich ausgehandelten Übernahmevertrages zu verhindern. Die Beklagte habe aufgrund der technischen Klauseln und der Pfandklauseln auch Beschlüsse über die Ausschüttung von Dividenden verhindern können, was tatsächlich auch geschehen sei. Soweit in den Verpfändungsverträgen Dividendenzahlungen erlaubt seien, schließe dass jedenfalls nicht aus, dass Dividendenbeschlüsse unter den Zustimmungsvorbehalt fielen.
135Der Zurechnungstatbestand gemäß § 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 WpÜG (dingliches Anwartschaftsrecht) beruhe auf diversen Übereignungserklärungen bzw. Aneignungsrechten der Beklagten. Bereits in der Ursprungsvereinbarung sei ein automatisierter Eigentumserwerb hinsichtlich 29,75 % der E Aktien zuzüglich weiterer Anteile aus der Kapitalerhöhung zum 2. Januar 2009 vorgesehen gewesen. Zudem seien die Übereignungserklärungen bezüglich der verpfändeten Aktien aus den Pfandverträgen zur Zwangsumtauschanleihe und den Call-/Put-Optionen bereits verbindlich in den entsprechenden Verträgen abgegeben worden. Jedenfalls seien in den Pfandverträgen dingliche Anwartschaftsrechte zugunsten der Beklagten hinsichtlich der verpfändeten Aktien vereinbart worden. Denn die Beklagte sei berechtigt gewesen, sich die verpfändeten Aktien nach Fälligkeit der Forderungen gemäß § 1259 S. 1 BGB durch einseitige Erklärung anzueignen.
136Die Kläger zu 13,14 und 17 sind der Auffassung, dass sie ebenfalls die angemessene Gegenleistung gemäß § 31 Abs. 1 WpÜG verlangen können. Der jeweilige Anspruch ergebe sich auch aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten der Beklagten im Zusammenhang mit dem freiwilligen Übernahmeangebot. Die Kläger zu 13, 14 und 17 behaupten insoweit, dass der Kaufvertrag bezüglich der E-Aktien zu dem höheren Betrag der angemessenen Gegenleistung i.H.v. EUR 57,25 je E-Aktie abgeschlossen worden wäre, wenn die Beklagte zutreffend über ihre Kontrollerlangung im September 2008 unterrichtet hätte.
137Die Kläger beantragen gemäß den §§ 142, 422 ZPO die Vorlage weiterer Unterlagen im Original, und zwar:
138die Ursprungsvereinbarung;
das Postponement and Clarification Agreement;
den Verpfändungsvertrag vom 30. Dezember 2008;
die Änderungsvereinbarung;
den Zeichnungsvertrag;
die Vereinbarung zur Zwangsumtauschanleihe vom 25. Februar 2009;
die Vereinbarung zu den Call-/Put-Optionen;
die Pfandverträge zur Zwangsumtauschanleihe und dem Cash Collateral.
Hilfsweise beantragen die Kläger die Vorlage der vorgenannten Urkunden beschränkt auf die Vereinbarungen zu dem „Closing Date“ bzw. „Closing Conditions“. Sie sind der Meinung, die Vorlage der Unterlagen sei erforderlich, um insbesondere die technischen Klauseln beurteilen zu können.
148Der Kläger zu 1 hat zunächst beantragt,
149die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 1 EUR 203.469,00 zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 25. Februar 2009 zu zahlen;
150die Beklagte ferner zu verurteilen, an den Kläger zu 1 weitere EUR 3.015,70 an vorgerichtlichen Anwaltskosten zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
151Der Kläger zu 1 beantragt nun in Ergänzung des Antrags zu Ziffer 1,
152die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 1 EUR 267.675,00 zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12. September 2008 zu zahlen.
153Der Kläger zu 2 hat beantragt,
154die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 2 EUR 86.253,00 zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 25. Februar 2009 zu zahlen;
155die Beklagte ferner zu verurteilen, an den Kläger zu 2 weitere EUR 1.999,32 an vorgerichtlichen Anwaltskosten zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
156Der Kläger zu 2 beantragt nun in Ergänzung des Antrags zu Ziffer 1,
157die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 2 EUR 112.875,00 zuzüglich Zinsen in Höhe von Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12. September 2008 zu zahlen.
158Die Klägerin zu 3 beantragt,
159die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 3 EUR 56.276,25 nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 20. Dezember 2013 zu zahlen.
160Der Kläger zu 4 beantragt,
161die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 4 EUR 1.128.750,00 nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 20. Dezember 2013 zu zahlen.
162Der Kläger zu 5 beantragt,
163die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 5 EUR 129.000,00 nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 15. Januar 2014 zu zahlen.
164Die Klägerin zu 6 beantragt,
165die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 6 EUR 370.875,00 nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 15. Januar 2014 zu zahlen.
166Die Klägerin zu 7 beantragt,
167die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 7 EUR 645.000,00 nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 % über den Basiszinssatz seit dem 7. August 2014 zu zahlen.
168Der Kläger zu 8 beantragt,
169die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 8 EUR 177.052,50 nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 15. Januar 2014 zu zahlen.
170Der Kläger zu 9 beantragt,
171die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 9 EUR 90.630,00 nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
172Der Kläger zu 10 hat beantragt,
173die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 10 EUR 395.360,00 nebst 5 % Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz seit dem 30. November 2010 zu zahlen;
174Vorsorglich:
175die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 10 EUR 390.800,00 nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 30. November 2010 zu zahlen;
176höchst vorsorglich:
177die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 10 EUR 363.600,00 nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 30. November 2010 zu zahlen.
178Die Klägerin zu 11 hat beantragt,
179die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 11 EUR 341.880,00 nebst 5 % Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz seit dem 4. Dezember 2010 zu zahlen;
180Vorsorglich:
181die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 11 EUR 333.900,00 nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 4. Dezember 2010 zu zahlen;
182höchst vorsorglich:
183die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 11 EUR 286.300,00 nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 4. Dezember 2010 zu zahlen.
184Der Kläger zu 12 hat beantragt,
185die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 12 EUR 1.837.605,00 nebst 5 % Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz seit dem 4. Dezember 2010 zu zahlen;
186Vorsorglich:
187die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 12 EUR 1.794.712,50 nebst 5 % Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz seit dem 4. Dezember 2010 zu zahlen;
188Höchst vorsorglich:
189die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 12 EUR 1.538.862,50 nebst 5 % Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz seit dem 4. Dezember 2010 zu zahlen.
190Die Kläger zu 10-12 haben ihre jeweiligen Anträge angepasst beantragen nun unter Aufrechterhaltung ihrer Anträge im Übrigen,
191die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 10 EUR 258.000,00 nebst beantragten Zinsen zu zahlen;
192die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 11 EUR 451.500,00 nebst beantragten Zinsen zu zahlen;
193die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 12 EUR 2.426.812,50 nebst beantragten Zinsen zu zahlen.
194Der Kläger zu 13 beantragt,
195die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 13 EUR 555.214,00 nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszins aus EUR 353.980,00 seit dem 17. Mai 2011, aus EUR 100.120,00 seit 14. März 2014, aus EUR 31.117,50 seit dem 3. Mai 2014 und aus EUR 69.996,50 seit dem 1. Juli 2014 zu zahlen;
196die Beklagte darüber hinaus zu verurteilen, den Kläger zu 13 von außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von EUR 6.294,51 nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
197Die Klägerin zu 14 beantragt,
198die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 14 EUR 16.751,55 nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 4. September 2012 zu zahlen;
199die Beklagte darüber hinaus zu verurteilen, die Klägerin zu 14 von außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren i.H.v. EUR 1.266,16 nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
200Der Kläger zu 15 beantragt,
201die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 15 EUR 30.008.625,00 nebst Zinsen hieraus i.H.v. jährlich 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 4. Dezember 2010 sowie Zinsen i.H.v. jährlich 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus EUR 53.271.125,00 vom 22. Januar 2009 bis zum 3. Dezember 2010 zu zahlen.
202Die Klägerin zu 16 beantragt,
203die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 16 EUR 11.287.500,00 nebst Zinsen i.H.v. 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 12. September 2008 zu zahlen.
204Der Kläger zu 17 beantragt,
205die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 17 EUR 6.453,00 nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 19. Oktober 2010 zahlen;
206die Beklagte darüber hinaus zu verurteilen, den Kläger zu 17 von außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von EUR 746,73 nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
207Die Beklagte beantragt,
208sämtliche Klagen abzuweisen.
209Die Beklagte ist der Meinung, dass den Klägern weder eigene noch abgetretene Zahlungsansprüche aus dem freiwilligen öffentlichen Übernahmeangebot der Beklagten zustehen. Die im Rahmen des freiwilligen Übernahmeangebots gewährte Gegenleistung von EUR 25,00 pro E-Aktie sei angemessen. Die Beklagte sei nicht gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG nach Abschluss der Ursprungsvereinbarung zur Vorlage eines Pflichtangebotes auf der Grundlage von EUR 57,25 je E-Aktie verpflichtet gewesen. Die Beklagte habe vor dem Vollzug des freiwilligen Übernahmeangebotes im Jahre 2010 keine Kontrolle über die E im Sinne von § 29 Abs. 2 WpÜG ausgeübt. Sie habe vor diesem Zeitpunkt weder selbst noch über verbundene Unternehmen mehr als 30 % der E-Aktien erworben bzw. gehalten. Die Zurechnungstatbestände gemäß § 30 Abs. 1, 2 WpÜG seien nicht erfüllt. Deshalb scheide die im BGH-E-Urteil erwogene Verlängerung der Referenzzeiträume zur Bestimmung des angemessenen Preises für die E-Aktien aus.
210Die Beklagte bestreitet ein abgestimmtes Verhalten mit der Post hinsichtlich der E-Aktien (Acting in Concert) gemäß § 30 Abs. 2 WpÜG in beiden tatbestandlichen Alternativen. Die Beklagte habe sich mit der Post weder über die Ausübung der Stimmrechte aus E-Aktien abgestimmt noch habe sie mit der Post zur erheblichen dauerhaften Änderung der unternehmerischen Ausrichtung der E zusammengewirkt. Sowohl die technische Klauseln als auch die Pfandklauseln seien nicht als Interessenschutzklauseln im Sinne des BGH-E-Urteils zu qualifizieren. Die technische Klauseln in § 9.1a der Ursprungsvereinbarung und § 10.1a der Nachtragsvereinbarung seien zeitlich begrenzt bis zum Vertragsvollzug Ende Februar 2009 gewesen. Das ergebe sich aus dem Wortlaut der Vereinbarungen. Dort seien die Vollzugshandlungen im Einzelnen aufgeführt. Diese seien tatsächlich bis Ende Februar 2009 erledigt gewesen. Der Vollzug der Optionen aus der Ursprungsvereinbarung bzw. der Pflichtumtauschanleihe und der Optionen aus der Nachtragsvereinbarung seien laut Verträgen keine Vollzugshandlungen gewesen.
211Die technischen Klauseln seien für einen begrenzten Zeitraum von einigen Monaten zum Schutz der Beklagten vor einem theoretisch möglichen Missbrauch der Post aus den bereits verkauften E-Aktien vereinbart worden. Der Inhalt der technischen Klauseln gehe nicht über allgemeine vertragliche Nebenpflichten hinaus. Damit habe der Status quo bei Abschluss der Ursprungsvereinbarung gesichert werden sollen. Es habe sich insoweit nur um passiven Minderheitenschutz gehandelt und nicht um aktiven Stimmrechtseinfluss auf E-Aktien. Es seien lediglich Rechte eingeräumt worden, die bereits kraft Gesetzes bestimmten Minderheitsbeteiligungen zugewiesen seien. Die vereinbarten technischen Klauseln seien in der Übernahmepraxis üblich. Die technischen Klauseln seien auf wenige, gravierende Maßnahmen beschränkt gewesen. Sie seien nicht auf die langfristige Verwirklichung weitreichender, konkret gefasster unternehmerischer Absichten ausgerichtet gewesen. Geschäftspolitische Belange der E seien nicht berührt gewesen. Tatsächlich seien Einwirkungen der Beklagten auf die Stimmrechtsausübung der Post aus E-Aktien auf der Grundlage von § 9.1a der Ursprungsvereinbarung nicht zu erwarten gewesen, da eine Hauptversammlung bei der E erst für April 2009 geplant gewesen und durchgeführt worden sei. Eine Einflussnahme habe es tatsächlich auch nicht gegeben, insbesondere nicht auf die im 4. Quartal 2008 durchgeführte Kapitalerhöhung bei der E aus genehmigten Kapital sowie auf Dividendenbeschlüsse. Auf jeden Fall seien die technischen Klauseln als Einzelfallausnahme gemäß § 30 Abs. 2 S. 1 WpÜG anzusehen. Denn die Regelungen sicherten lediglich die Erfüllung der Ursprungsvereinbarung bzw. der Nachtragsvereinbarung. Die vorstehenden Überlegungen seien auch auf § 5. 1 der Verpfändungsverträge anzuwenden.
212Die Post habe sich auf der Grundlage der technischen Klauseln und der Pfandklauseln nicht den Interessen der Beklagten an der Übernahme der E untergeordnet. Die Post habe sowohl bezüglich Dividendenzahlungen als auch im Hinblick auf eine geschäftliche Kooperation mit der E eigene Interessen verfolgt. Die intensive Kooperation zwischen der Post und der E sei auch nach Abschluss der Ursprungsvereinbarung in den Folgejahren fortgeführt worden. Die E habe in ihrem Filialnetz in Kooperation mit der Post Postdienstleistungen erbracht. Dementsprechend habe die Post in den Jahren 2009-2012 im Umfang von mehreren 100 Mio. EUR in die Nutzung der E-Filialen investiert. Vor diesem Hintergrund sei fernliegend, dass die Post eine Interessenschutzklausel zugunsten der Beklagten akzeptiert hätte.
213Die von den Klägern behauptete Einflussnahme der Beklagten auf die Post bezüglich der E-Aktien auf der Grundlage der Ursprungsvereinbarung und nachfolgender Verträge habe es nicht gegeben. Es habe keine Absprachen über die Dividendenpolitik der E gegeben. Die von der Beklagten in den Aufsichtsrat der E entsandten Mitglieder seien weder in der Lage gewesen, die Geschäfte der E zu beeinflussen, noch sei dies tatsächlich geschehen. Insbesondere sei kein Einfluss auf das Geschäftsmodell der E oder ihre Personalpolitik ausgeübt worden. Die Abberufung des früheren Vorstands der E, Herrn Dr. G, sei nicht von der Beklagten veranlasst worden. Ebenso wenig sei das Kreditgeschäft der E von der Beklagten gelenkt worden. Die Bilanzmethode bezüglich der E-Beteiligungen sei rechtlich unerheblich.
214Die von den Klägern behauptete Kooperationsvereinbarung zwischen der Beklagten und der Post im September 2008 zur Ausübung bilanzieller Ansatz- und Bewertungsrechte der E, zur Ausnutzung des genehmigten Kapitals II, zu langfristigen Gewinnthesaurierungen bei der E, zur Änderung des Geschäftsmodells der E und zur Einräumung unmittelbarer Berichtslinien oder Durchgriffsrechte auf die E habe es nicht gegeben. Erst im März 2009 sei zwischen der Beklagten und der E eine Kooperationsvereinbarung zur Hebung gemeinsamer Synergien getroffen worden.
215Eine Zurechnung gemäß § 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 WpÜG (Halten für Rechnung des Bieters) scheide ebenfalls aus. Die Post habe nach Abschluss der Verträge weiterhin die wesentlichen Chancen und Risiken aus den von ihr gehaltenen E-Aktien getragen. Die Vereinnahmung von Dividenden sei weder nach den technischen Klauseln noch nach den Pfandklauseln ausgeschlossen gewesen. Im Gegenteil ergebe sich aus § 4 der Pfandverträge, dass Dividendenzahlungen an die Post möglich gewesen seien.
216Die Beklagte ist der Auffassung, dass eine Zurechnung gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 5 WpÜG (Erwerbsrecht des Bieters) ebenfalls ausscheide. Weder in der Ursprungsvereinbarung bzw. Nachtragsvereinbarung noch in den Verpfändungsverträgen sei eine Übereignung von E-Aktien erklärt worden. Es handele sich insoweit ausschließlich um schuldrechtliche Vereinbarungen, ein dinglicher Vollzug sei zwingend erforderlich gewesen. Bezüglich der verpfändeten E-Aktien habe der Beklagten kein dingliches Anwartschaftsrecht zugestanden. Aufgrund der vertraglichen Absprachen sei die Beklagte nicht zur Aneignung der verpfändeten Aktien berechtigt gewesen. Selbst bei einem unterstellten Aneignungsrecht (quod non) habe die Beklagte dieses Recht erst im Jahr 2012 ausüben können. Mangels eines jederzeit ausübbaren Aneignungsrechts sei deshalb jedenfalls eine Zurechnung im Jahr 2009 ausgeschlossen.
217Die Beklagte ist der Meinung, dass den Klägern selbst bei unterstellter Stimmrechtszurechnung die geltend gemachten Ansprüche nicht zustünden. Die Beklagte habe keine Kenntnis von einem Kontrollerwerb im Sinne von § 35 Abs. 1 S. 2 WpÜG erlangt. Sie habe nach den Umständen auch keine Kenntnis von einem Kontrollerwerb und einer Angebotspflicht nach § 35 Abs. 2 WpÜG haben müssen. Die Beklagte sei von ausgewiesenen Experten beraten worden. Diese seien der Ansicht gewesen, dass die Beklagte zur Vorlage eines Übernahmeangebotes nicht verpflichtet gewesen sei. Zu dem gleichen Ergebnis seien die im Übernahmerecht erfahrenen Rechtsberater der Post gelangt. Zudem habe sich die Beklagte bei den E-Transaktionen eng mit der BaFin abgestimmt. Der BaFin seien die Nachtragsvereinbarung mit Anlagen einschließlich der Ursprungsvereinbarung und den Verpfändungsverträgen vorgelegt worden. Die BaFin habe dabei keine Anhaltspunkte für eine Stimmrechtszurechnung erkennen können, was im Jahresbericht der BaFin 2010 zum Ausdruck gebracht worden sei.
218Schließlich erhebt die Beklagte die Einrede der Verjährung. Sie ist der Auffassung, dass auf die streitgegenständlichen Ansprüche nach § 31 Abs. 1 WpÜG die Verjährungsvorschrift nach § 12 Abs. 4 WpÜG analog anwendbar sei. Insofern sei eine Gesetzeslücke zu konstatieren. Die Interessenlage an einer schnellen Klärung der Ansprüche aus § 12 Abs. 1 WpÜG sei identisch mit der Interessenlage des Bieters und der Aktionäre bei Ansprüchen gemäß § 31 Abs. 1 WpÜG. Daher seien Ansprüche nach spätestens 3 Jahren ab der Veröffentlichung des freiwilligen Übernahmeangebotes im Jahr 2010 verjährt. Selbst bei der Anwendung der §§ 195 ff. BGB sei inzwischen Verjährung eingetreten. Die Aktionäre der E seien in der Lage gewesen, ihre Forderungen ab dem Jahr 2010 einzuklagen. Das ergebe sich bereits aus der Tatsache, dass ein anderer Aktionär in der Parallelsache bereits frühzeitig Klage erhoben habe. Auf die Kenntnis des BGH-E-Urteils komme es nicht an. Bei der Anwendung der §§ 195 ff. BGB sei daher ebenfalls mit Ablauf des Jahres 2013 Verjährung eingetreten.
219Die Beklagte ist der Meinung, dass sie nicht gemäß § 142 ZPO zur Vorlage der von den Klägern geforderten Urkunden verpflichtet sei. Der Antrag der Kläger diene der Ausforschung bzw. der Informationsgewinnung. Die Beklagte sei zur Vorlage der Urkunden nicht verpflichtet. Soweit eine Beweispflicht der Beklagten bestehe, sei ausreichender Zeugenbeweis angeboten worden. Im Übrigen seien die Interessen der Beklagten und der Post an der vertraglich vereinbarten Geheimhaltung zu berücksichtigen. Das Geheimhaltungsinteresse bestehe nach wie vor.
220Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze der Parteien sowie auf die dazu eingereichten Anlagen Bezug genommen.
221Entscheidungsgründe
222Die Klagen der Kläger zu 1-12 und 15-16 sind ganz überwiegend begründet. Lediglich bei den beantragten Zinszahlungen sind Abzüge vorzunehmen. Die Klagen der Kläger zu 13, 14 und 17 sind hingegen unbegründet.
223A. Musterverfahrensanträge
Die in diesem Verfahren von den Klägern zu 13, 14 und 17 und von der Beklagten gestellten Musterverfahrensanträge stehen einer abschließenden Entscheidung in diesem Rechtsstreit nicht entgegen.
226Zwar wird das Klageverfahren gemäß § 5 KapMuG durch die Eintragung des Musterverfahrensantrags in das Klageregister unterbrochen. Ferner setzt das Prozessgericht gemäß § 8 Abs. 1 KapMuG nach der Bekanntmachung des Vorlagebeschlusses im Klageregister von Amts wegen alle bereits anhängigen oder bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Feststellungsziele im Musterverfahren noch anhängig werdenden Verfahren aus, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von den geltend gemachten Feststellungszielen abhängt.
227In diesem Rechtsstreit sind jedoch weder die Anträge der Kläger zu 13, 14 und 17 noch die der Beklagten im Klageregister bekannt gemacht worden. Ferner ist auch kein Vorlagebeschluss gefasst worden. Vielmehr sind sämtliche Anträge durch unanfechtbaren Beschluss als unzulässig verworfen worden. Die Entscheidung der Klagen der Kläger zu 13, 14 und 17 sind nicht von den geltend gemachten Feststellungszielen abhängig. Die Musterverfahrensanträge der Beklagten sind wegen Prozessverschleppung unzulässig. Insofern kann auf den Beschluss der Kammer vom 29. September 2017 verwiesen werden.
228B. Klagen der Kläger zu 1-12 und 15-16
Die Klagen der Kläger zu 1-12 und 15-16 sind in der Hauptsache begründet.
231Rechtsgrundlage § 31 Abs. 1 WpÜG
Rechtsgrundlage der erfolgreichen Klagen ist § 31 Abs. 1 WpÜG. Danach haben Aktionäre, die ein vom Bieter nach § 29 Abs. 1 WpÜG vorgelegtes Übernahmeangebot angenommen haben, einen Anspruch auf Zahlung der angemessenen Gegenleistung, falls die im Übernahmeangebot angebotene Zahlung nicht angemessen im Sinne von § 31 Abs. 1 S. 1 WpÜG ist. Dabei handelt es sich um einen zivilrechtlich durchsetzbaren Anspruch auf Zahlung des Differenzbetrages zwischen der angebotenen und der angemessenen Gegenleistung (BGH, Urteil vom 29. Juli 2014 – II ZR 353/12 – juris Rz. 20 ff., BGHZ 202, 180-202).
234Angemessenheit der Gegenleistung auf der Grundlage der gesetzlichen Referenzzeiträume
Die von der Beklagten angebotene und gezahlte Gegenleistung ist bezogen auf die gesetzlichen Referenzzeiträume angemessen im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 bis 7 WpÜG in Verbindung mit den §§ 3, 4 und 5 WpÜG-AngVO (BGH, Urteil vom 29. Juli 2014 – II ZR 353/12 – juris Rz. 28 ff., BGHZ 202, 180-202). Das wird von den Klägern auch nicht in Zweifel gezogen.
237Rückwirkende Verlängerung der Referenzzeiträume bis zum 12. September 2008
Allerdings haben sich die gesetzlichen Referenzzeiträume der §§ 4, 5 WpÜG-AngVO vorliegend bis zum 12. September 2008 rückwirkend verlängert, da die Beklagte bereits zu diesem Zeitpunkt die Kontrolle im Sinne des § 29 Abs. 2 WpÜG über die E erlangt hatte. Die Verlängerung der Referenzzeiträume der §§ 4, 5 WpÜG-AngVO rechtfertigt sich aus einem bereits zu einem früheren Zeitpunkt geforderten Pflichtangebot gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG (BGH, Urteil vom 29. Juli 2014 – II ZR 353/12 – juris Rz. 34 ff., BGHZ 202, 180-202). Die Beklagte war bereits aufgrund der Ursprungsvereinbarung vom 12. September 2008 verpflichtet, gemäß § 35 Abs. 1 WpÜG den Kontrollerwerb anzuzeigen und gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG ein Pflichtangebot an die Aktionäre der Zielgesellschaft vorzulegen.
240Erwerb der Kontrolle über die E gemäß § 29 Abs. 2 WpÜG durch die UrsprungsvereinbarungDie Beklagte hat mit der Vereinbarung vom 12. September 2008 die Kontrolle über die Zielgesellschaft, d.h. die E, im Sinne von § 29 Abs. 2 WpÜG erlangt. Kontrolle ist das Halten von mindestens 30 % der Stimmrechte an der Zielgesellschaft aus dem Bieter gehörenden Aktien der Zielgesellschaft oder dem Bieter nach § 30 WpÜG zugerechneten Stimmrechten an der Zielgesellschaft. Die Beklagte hat zwar mit Abschluss der Vereinbarung vom 12. September 2008 nicht unmittelbar mindestens 30 % der Stimmrechte an der E erworben. Allerdings sind der Beklagten die E-Stimmrechte der Post gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 2 WpÜG (Halten für Rechnung des Bieters), § 30 Abs. 1 Nr. 5 WpÜG (dingliches Erwerbsrecht) und § 30 Abs. 2 S. 2 1. Alt. WpÜG (Vereinbarung über die Ausübung von Stimmrechten) zuzurechnen.
241Sach- und Rechtslage nach dem BGH-Urteil in der Parallelsache
243Rechtsausführungen
Das in der gleich gelagerten Parallelsache Effektenspiegel versus E2 AG ergangene Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 29. Juli 2014 – II ZR 353/12 –, BHZ 202, 180-202, nachfolgend auch „BGH-E-Urteil“) hat für das vorliegende Verfahren in rechtlicher Hinsicht erhebliche Bedeutung. Der Bundesgerichtshof hat in diesem Urteil zunächst klargestellt, dass ein Anspruch auf ergänzende Zahlung der angemessenen Gegenleistung aus einem freiwilligen unangemessenen Übernahmeangebot auf § 31 Abs. 1 WpÜG gestützt werden kann (BGH, a.a.O., Rz. 20). Ferner ist entschieden worden, dass sich die Referenzzeiträume der §§ 4, 5 WpÜG-AngVO verlängern, wenn der Bieter bereits vor der Veröffentlichung seines Übernahmeangebotes die Kontrolle über die Zielgesellschaft im Sinne von § 29 Abs. 2 WpÜG erwirbt und es dennoch unterlässt, ein Pflichtangebot innerhalb der Frist des § 35 Abs. 2 S. 1 WpÜG zu veröffentlichen.
246Ferner sind die Zurechnungstatbestände gemäß § 30 Abs. 1, 2 WpÜG konkretisiert worden. Danach setzt die Zurechnung von Aktien nach § 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 WpÜG das Aktieneigentum des Tochterunternehmens des Bieters von mindestens 30 % der Aktien der Zielgesellschaft voraus; schuldrechtliche Ansprüche auf Eigentumsübertragung führen nicht zur Zurechnung (BGH, a.a.O. Rz. 36).
247Ein Erwerbsrecht gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 5 WpÜG führt laut Bundesgerichtshof zur Zurechnung, wenn der Bieter durch einseitige Willenserklärung ohne Mitwirkung des Vertragspartners oder eines Dritten das Eigentum an den Aktien erwerben kann; schuldrechtliche Ansprüche auf Übereignung reichen insofern ebenfalls nicht aus. Diese Auslegung stimmt laut Bundesgerichtshof überein mit dem im Wesentlichen wortgleichen § 22 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 WpHG. Die Forderung nach einer dem Eigentum gleichkommenden und gesicherten Erwerbsmöglichkeit des Bieters sei auch mit der Europäischen Übernahmerichtlinie zu vereinbaren (BGH, a.a.O., Rz. 40). Ein dingliches Erwerbsrecht der Beklagten ergebe sich nicht aus der vereinbarten Pflichtumtauschanleihe und den Call-/Put-Optionen. Es handele sich insoweit lediglich um Schuldtitel, deshalb sei auch unerheblich, dass die Beklagte insoweit bereits Vorleistungen erbrachte oder sie diese Schuldtitel bilanzierte (BGH, a.a.O., Rz. 55).
248Die Zurechnung gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 2 WpÜG (Halten für Rechnung des Bieters) erfordere, dass der Bieter die wesentlichen Risiken und Chancen aus den betreffenden Aktien trage. Dazu gehörten etwa die Risiken und Chancen einer Veränderung des Börsenkurses, die Chancen einer Dividendenzahlung und das Insolvenzrisiko der Zielgesellschaft. Hinzukommen müsse die Möglichkeit, auf die Stimmrechtsausübung des Eigentümers der Aktien Einfluss zu nehmen. Dem Vortrag der Kläger, es sei das gemeinsame Verständnis der Vertragsparteien gewesen, dass bis zum „Exit“ der Post keine Dividenden der E gezahlt würden, was auch praktiziert worden sei, habe nicht entnommen werden können, dass eine rechtliche Bindungswirkung beabsichtigt gewesen bzw. vereinbart worden sei (BGH, a.a.O., Rz. 52).
249Eine Zurechnung gemäß § 30 Abs. 2 WpÜG in der ab dem 19. August 2008 geltenden Fassung (Acting in Concert) setze voraus, dass sich der Bieter mit einem Dritten in Bezug auf die Zielgesellschaft ‒ abgesehen von Einzelfällen ‒ durch eine Vereinbarung oder in sonstiger Weise abstimme. Ein derart abgestimmtes Verhalten erfordere, dass der Bieter und der Dritte sich über die Ausübung der Stimmrechte verständigen oder mit dem Ziel einer dauerhaften und erheblichen Änderung der unternehmerischen Ausrichtung der Zielgesellschaft in sonstiger Weise zusammenwirken (BGH, a.a.O., Rz. 57). Eine Zurechnung wegen abgestimmten Verhaltens sei denkbar bei der Vereinbarung einer Interessenschutzklausel, mit der sich die Post in Konkretisierung ihrer allgemeinen vertraglichen Nebenpflicht, die Erreichung des Vertragszwecks nicht zu gefährden, verpflichtet haben könnte, von ihrem Stimmrecht nur unter Berücksichtigung der Interessen der Beklagten Gebrauch zu machen. In diesem Zusammenhang sei offenkundig, dass die Beklagte und die Post den Übergang der Kontrolle über die E, so wie in der Nachtragsvereinbarung vorgesehen, aktiv betreiben wollten und aktiv betrieben haben (BGH, a.a.O., Rz. 60). In diesem Punkt hat der Bundesgerichtshof die Sache an das Oberlandesgericht Köln zur weiteren Aufklärung zurückverwiesen. Die Sache ist dort nach wie vor anhängig.
250Abweichungen in tatsächlicher Hinsicht
In tatsächlicher Hinsicht unterscheiden sich die Entscheidungsgrundlagen des BGH-E-Urteils und die der erkennenden Kammer in wesentlichen Punkten. Inzwischen liegen Äußerungen des Vorstandsvorsitzenden der Post, Herrn Dr. L, zur E-Übernahme durch die Beklagte vor, die dieser anlässlich seiner Zeugenvernehmung beim OLG Köln gemacht hat. Ferner sind Absprachen der Beklagten und der Post über die Ausübung von E-Stimmrechten der Post in der Ursprungs- und Änderungsvereinbarung und in diversen Verpfändungsvereinbarungen bekannt geworden. Aus diesen vertraglichen Abreden ergeben sich Stimmrechtseinflüsse der Beklagten auf die Post in unterschiedlichem Umfang. Der Bundesgerichtshof hatte bislang noch keine Möglichkeit, sich zu diesen vertraglichen Klauseln zu äußern. Folglich ist auch unklar, ob es sich insofern um Interessenschutzklauseln im Sinne des BGH-E-Urteils handelt, die eine Zurechnung wegen eines abgestimmten Verhaltens rechtfertigen. Davon ist jedoch im Ergebnis auszugehen, wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt.
253Zurechung gemäß § 30 Abs. 2 WpÜG (abgestimmtes Verhalten)
255Technische Klauseln gemäß Ursprungs- und Änderungsvereinbarung
Bereits die inzwischen unstreitigen technischen Klauseln gemäß § 9.1a der Ursprungsvereinbarung und § 10.1a der Nachtragsvereinbarung beinhalten eine Abstimmung der Beklagten und der Post über die Ausübung von Stimmrechten aus E-Aktien gemäß § 30 Abs. 2 S. 2 WpÜG. Bei den bezeichneten technischen Klauseln handelt es sich um zurechnungsrelevante Interessenschutzklauseln, mit denen sich die Post verpflichtet hat, von ihrem Stimmrecht nur unter Berücksichtigung der Interessen der Beklagten Gebrauch zu machen, und zwar in einem Umfang, der über Standardklauseln und allgemeine vertragliche Nebenpflichten bei Abschluss vergleichbarer Anteilskaufverträge hinausgeht. Die technischen Klauseln dienten nicht ausschließlich der Sicherung des Status quo bzw. der bereits schuldrechtlich erworbenen Minderheitsbeteiligung, sondern sie ermöglichten der Beklagten eine vorzeitige Ausübung der Stimmrechte aus der beabsichtigten Übernahme der Mehrheit der E-Aktien. Aufgrund der Unbestimmtheit und der zeitlichen Gültigkeit der technischen Klauseln liegt auch keine tatbestandsausschließende Abstimmung in einem Einzelfall vor.
258Gesetzliche Voraussetzungen § 30 Abs. 2 WpÜG
Nach § 30 Abs. 2 WpÜG werden dem Bieter auch Stimmrechte eines Dritten aus Aktien der Zielgesellschaft in voller Höhe zugerechnet, mit dem der Bieter oder sein Tochterunternehmen sein Verhalten in Bezug auf die Zielgesellschaft auf Grund einer Vereinbarung oder in sonstiger Weise abstimmt; ausgenommen sind Vereinbarungen in Einzelfällen. Ein abgestimmtes Verhalten setzt voraus, dass der Bieter oder sein Tochterunternehmen und der Dritte sich über die Ausübung von Stimmrechten verständigen oder mit dem Ziel einer dauerhaften und erheblichen Änderung der unternehmerischen Ausrichtung der Zielgesellschaft in sonstiger Weise zusammenwirken. Für die Berechnung des Stimmrechtsanteils des Dritten gilt § 30 Abs. 1 WpÜG entsprechend.
261Der Gesetzgeber wollte auf diese Weise Zurechnungslücken schließen und die Zurechnung außerdem auf diejenigen Verhaltensweisen erstrecken, die international unter dem Begriff Acting in Concert zusammengefasst werden (Begr. RegE BT-Drucks. 14/7034, S. 53 f.; vgl. Steinmeyer in: Steinmeyer/Häger, WpÜG, § 30 Zurechnung von Stimmrechten, Rz. 50). Die durch das Risikobegrenzungsgesetz eingeführte Änderung von § 30 Abs. 2 WpÜG sowie der Parallelvorschrift in § 22 Abs. 2 WpHG über die Zurechnung von Stimmrechten aufgrund von Acting in Concert ist im Wesentlichen auf die restriktive Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zurückzuführen, wonach unter der Geltung des § 30 Abs. 2 WpÜG a. F. nur Vereinbarungen über die Ausübung von Stimmrechten in der Hauptversammlung erfasst waren (Steinmeyer in: Steinmeyer/Häger, WpÜG, § 30 Zurechnung von Stimmrechten, Rz. 50). Koordinierte Versuche der Einflussnahme auf die Verwaltung außerhalb der Hauptversammlung fielen nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung hingegen nicht in den Anwendungsbereich der Zurechnungsvorschrift aus § 30 Abs. 2 bzw. § 22 Abs. 2 WpHG. Dies wurde verbreitet als unbefriedigend angesehen. Mit der Neufassung des § 30 Abs. 2 WpÜG bzw. des § 22 Abs. 2 WpHG sind nunmehr auch Fälle des Zusammenwirkens außerhalb der Hauptversammlung unter bestimmten Voraussetzungen als Acting in Concert anzusehen (Steinmeyer in: Steinmeyer/Häger, WpÜG, § 30 Zurechnung von Stimmrechten, Rz. 50).
262§ 30 Abs. 2 WpÜG hat durch das am 19. August 2008 in Kraft getretene Risikobegrenzungsgesetz eine moderate Erweiterung erfahren. Anders als noch der Regierungsentwurf, der eine deutliche Erweiterung des Acting in Concert vorsah, beschränkt sich die letztlich auf Grundlage der Beschlussvorlage des Finanzausschusses durch den Gesetzgeber verabschiedete Fassung jedoch im Ergebnis darauf, dass auch ein abgestimmtes Verhalten, das nicht auf die Ausübung der Stimmrechte in der Hauptversammlung gerichtet ist, als Acting in Concert gewertet werden kann, wenn dies mit dem Ziel einer dauerhaften und erheblichen Änderung der unternehmerischen Ausrichtung erfolgt. Ferner wurden weder die in dem Regierungsentwurf vorgesehene Abschaffung der Einzelfallausnahme noch die Erweiterung des Tatbestandes auf ein zur Aufrechterhaltung des Status quo gerichtetes Zusammenwirken umgesetzt (Steinmeyer in: Steinmeyer/Häger, WpÜG, § 30 Zurechnung von Stimmrechten, Rz. 53a).
263§ 30 Abs. 2 S. 2 1. Alt. WpÜG (Vereinbarung über die Ausübung von Stimmrechten)
265Meinungsstand zu § 30 Abs. 2 S. 2 1. Alt. WpÜG
Die Auslegung der 1. Tatbestandsvariante gemäß § 30 Abs. 2 S. 2 WpÜG ist streitig. Teilweise wird gefordert, dass mit der Vereinbarung über die Ausübung von Stimmrechten eine dauerhafte und erhebliche Änderung der unternehmerischen Ausrichtung der Zielgesellschaft beabsichtigt sein muss (OLG Frankfurt, Beschluss vom 25. Juni 2004 – WpÜG 5/03 –, juris Rz. 55; von Bülow/Bücker, ZGR 2004, 669, 669; Saenger/Kessler, ZIP 2006, 837, 839 f; Casper, ZIP 2003, 469, 476; Liebscher, ZIP 2002, 1005, 1008). Einige Autoren betonen die Selbstständigkeit beider Tatbestandsvarianten gemäß § 30 Abs. 2 S. 2 WpÜG. Es wird dabei darauf hingewiesen, dass die 1. Alternative (Vereinbarung über die Ausübung von Stimmrechten) kein Sonderfall der 2. Alternative (Abstimmung in sonstiger Weise) des § 30 Abs. 2 S. 2 WpÜG sei (Uwe H. Schneider in: Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, § 30 WpÜG Rz. 182).
268Die BaFin äußert sich in ihrem Emittenten-Leitfaden, Seite 121, zu dem gleichgelagerten § 22 Abs. 2 S. 2 WpHG wie folgt:
269„So ist jede Absprache über die Stimmrechtsausübung, unabhängig von ihrem Inhalt und ihrer Bedeutung – eine entsprechende Verständigung über die Ausübung von Stimmrechten im Sinne von S. 2.“
270Der Bundesgerichtshof hat bei der Entscheidung in der Parallelsache nicht erkennen lassen, dass für die Vereinbarung über die Ausübung von Stimmrechten eine dauerhafte und erhebliche Änderung der unternehmerischen Ausrichtung der Zielgesellschaft verbunden sein muss. Vielmehr hat der Bundesgerichtshof die Voraussetzungen der Norm in Übereinstimmung mit seinem Wortlaut formuliert (BGH, a.a.O., Rz. 57). Auch die Ausführungen zur möglichen Interessenschutzklausel lassen nicht erkennen, dass der Bundesgerichtshof vom Wortlaut der Norm abweichende Voraussetzungen fordert (BGH, a.a.O., Rz. 59 ff.).
271Nach der WMF-Entscheidung des Bundesgerichtshofes genügt für ein abgestimmtes Verhalten im Sinne von § 30 Abs. 2 S. 1 WpÜG a.F. eine gegenseitige Koordinierung der Verhaltensweisen aufgrund eines bewussten geistigen Kontaktes, was die Möglichkeit einschließt, dass die Abstimmung nicht freiwillig erfolgt. Unerheblich sei, auf welchen Motiven die Abstimmung beruht (BGH, Urteil vom 18. September 2006 – II ZR 137/05 –, juris Rz. 14 „WMF“ = BGHZ 169, 98-109 = DStR 2006, 2042-2045 = BB 2006, 2432-2435 = DB 2006, 2452-2456 = WM 2006, 2080-2084 = ZIP 2006, 2077-2080 = Der Konzern 2006, 763-766). Die Vorschrift erfasse nach ihrem Wortlaut nur solche Vereinbarungen, die sich auf die Ausübung von Stimmrechten aus Aktien der Zielgesellschaft, d.h. nur auf die Stimmrechtsausübung in der Hauptversammlung beziehen (BGH, Urteil vom 18. September 2006 – II ZR 137/05 –, juris Rz. 14 „WMF“ mit weiteren Nachweisen). Die Zurechnungsbestimmung sei im Hinblick auf die Bußgeldvorschrift der §§ 60 WpÜG i.V.m. Art. 103 Abs. 2 GG und § 3 OWiG wortgetreu auszulegen, womit Analogien ausgeschlossen seien (BGH, Urteil vom 18. September 2006 – II ZR 137/05 –, juris Rz. 17 „WMF“).
272Die Entscheidungsgründe der WMF-Entscheidung enthalten hingegen keine Hinweise darauf, dass mit einer Vereinbarung über die Ausübung von Stimmrechten auch eine Abstimmung über die unternehmerische Ausrichtung der Zielgesellschaft verbunden sein muss. Richtig ist zwar, dass in dem Urteil ausgeführt wird, dass eine Zielvereinbarung zwischen dem Erwerber und dem Veräußerer von Aktien über allgemein gehaltene Ziele hinausgehen müsse. Mit ihr müssten weitreichende, konkret gefasste unternehmerische Absichten verfolgt werden. Erforderlich sei ein konkretes unternehmerisches Konzept, das über allgemein gehaltene Vorstellungen hinausgeht. Nicht darunter fielen beispielsweise allgemein gehaltene Vorstellungen darüber, die Interessen von Investoren und des Unternehmens zu vertreten, etwa durch ein geschlossenes Auftreten der Anteilseigner im Aufsichtsrat o. ä. (BGH, Urteil vom 18. September 2006 – II ZR 137/05 –, juris Rz. 23 ff. „WMF“).
273Allerdings erfolgten diese Ausführungen des Bundesgerichtshofs nicht zur Erläuterung des Tatbestandes der Abstimmung über die Stimmrechtsausübung, sondern im Zusammenhang mit der Erläuterung der Einzelfallausnahme gemäß § 30 Abs. 1 HS. 2 WpÜG. In diesem Kontext wird der Rechtsstandpunkt des Berufungsgerichts, die Einzelfallausnahme nach materiellen Gesichtspunkten zu bestimmen, abgelehnt. Die formale Sichtweise wird befürwortet. Jedenfalls wird für eine (unterstellte) materielle Betrachtung der Einzelfallausnahme einschränkend gefordert, dass mit der Absprache im Einzelfall die Verfolgung konkreter unternehmerischer Absichten verfolgt werden müsse. Damit wollte der Bundesgerichtshof erkennbar der vom Berufungsgericht vorgenommenen tatbestandlichen Einschränkung der Einzelfallausnahme und damit einer extensiven Ausweitung des Grundtatbestandes, d.h. der Abstimmung über das Stimmverhalten, entgegenwirken. Aus diesem Grund hat der Bundesgerichtshof formuliert, dass bei einer materiellen Sichtweise der Einzelfallausnahme zumindest ein konkretes Konzept zur Unternehmensführung erforderlich sei, um etwa einzelfallbezogene und unternehmensausrichtungsneutrale Abstimmungen der Aktionäre über die Person des zu wählenden Aufsichtsratsvorsitzenden im Ergebnis nicht als abgestimmtes Verhalten gemäß § 30 Abs. 2 S. 2 WpÜG zu qualifizieren.
274Letztlich bestätigt die Beklagte diese Interpretation des WMF-Urteils des Bundesgerichtshofs durch ihre Bezugnahme auf Schüppen/Walz, Frankfurter Kommentar zum WpÜG, 3. Aufl., § 30 Rz. 81, wo ausgeführt wird:
275„Zwar findet die in § 30 Abs. 2 S. 2 HS. 2 WpÜG niedergelegte Einschränkung einer dauerhaften und erheblichen Änderung der unternehmerischen Ausrichtung auf die Abstimmung hinsichtlich des Stimmverhaltens in der Hauptversammlung keine Anwendung, aber über die Einzelfallausnahme, die im Sinne einer längerfristig angelegten Strategie zur gemeinsamen Verfolgung unternehmerischer Ziele zu verstehen ist, wird sichergestellt, dass nicht jede Stimmbindung zu einer gegenseitigen Zurechnung führt.“
276Vereinbarung über die Ausübung von Stimmrechten ausreichend
In Übereinstimmung mit der Rechtsauffassung der Kläger setzt ein abgestimmtes Verhalten gemäß § 30 Abs. 2 S. 2 1. Alt. WpÜG lediglich voraus, dass sich der Bieter oder sein Tochterunternehmen und der Dritte über die Ausübung von Stimmrechten verständigen. Im Gegensatz zu § 30 Abs. 2 S. 2 2. Alt. WpÜG wird nicht vorausgesetzt, dass die Verständigung über die Ausübung von Stimmrechten mit dem Ziel einer dauerhaften und erheblichen Änderung der unternehmerischen Ausrichtung der Zielgesellschaft erfolgt. Zu diesem Ergebnis führt eine Auslegung nach Wortlaut, Sinn und Zweck, Systematik und Historie der Norm.
279(1) Wortlaut
280Für eine enge Auslegung der ersten Tatbestandsvariante gemäß § 30 Abs. 2 S. 2 WpÜG (Vereinbarung über die Ausübung von Stimmrechten) spricht der eindeutige Wortlaut der Norm. Danach ist ein Zusammenwirken mit dem Ziel einer dauerhaften und erheblichen Änderung der unternehmerischen Ausrichtung der Zielgesellschaft nur in der 2. Alt. gemäß § 30 Abs. 2 S. 2 WpÜG (Abstimmung in sonstiger Weise) gefordert. Wäre eine Erstreckung dieser Tatbestandsvoraussetzung auf beide Alternativen des Tatbestandes gewollt gewesen, hätte eine Formulierung nahegelegen, wonach ein abgestimmtes Verhalten eine Vereinbarung über die Stimmrechtsausübung oder eine Abstimmung in sonstiger Weise erfordert, soweit der Bieter und der Dritte dabei mit dem Ziel einer dauerhaften und erheblichen Änderung der unternehmerischen Ausrichtung der Zielgesellschaft zusammenwirken. Dieser naheliegende Wortlaut wurde jedoch nicht gewählt.
281Darüber hinaus enthielt auch der Wortlaut von § 30 Abs. 2 WpÜG a. F. ‒ vor der Änderung durch das Risikobegrenzungsgesetz zum 19. August 2008 ‒ keinen Hinweis darauf, dass eine Vereinbarung über die Ausübung der Stimmrechte der dauerhaften und erheblichen Änderung der unternehmerischen Ausrichtung der Zielgesellschaft dienen muss.
282Die erhebliche Bedeutung des Wortlautes von § 30 Abs. 2 WpÜG wurde in der WMF-Entscheidung des Bundesgerichtshofes ausdrücklich betont. Dort wurde ausgeführt, dass eine Erstreckung des Tatbestandes auf die Stimmrechtsausübung außerhalb der Hauptversammlung die Wortlautgrenze des § 30 Abs. 1 S. 2 WpÜG sprengen würde. Die Zurechnungsbestimmungen gemäß § 30 Abs. 1, 2 WpÜG seien wortlautgemäß zu verstehen im Hinblick auf die Bußgeldbewehrung gemäß § 60 WpÜG i.V.m. Art. 103 Abs. 2 GG und § 3 OWiG (BGH, Urteil vom 18. September 2006 – II ZR 137/05 –, juris Rz. 17 „WMF“).
283(2) Sinn und Zweck der Norm
284Sinn und Zweck der Zurechnungsnorm gemäß § 30 Abs. 2 S. 2 WpÜG sprechen ebenfalls für eine wortgetreue Auslegung der Norm. Die Vorschrift dient dazu, Zurechnungslücken, die sich aus dem Wortlaut von § 30 Abs. 1 WpÜG ergeben, zu schließen und Umgehungsversuchen entgegenzuwirken. Erfasst werden letztlich alle Fälle, die mit den ausdrücklich normierten Zurechnungstatbeständen gemäß § 30 Abs. 1 WpÜG vergleichbar sind und im Ergebnis zu einer Einflussnahme auf die unternehmerische Ausrichtung führen, d.h. Kontrolle über die Zielgesellschaft ermöglichen. Das ist bei der Vereinbarung über die Ausübung von Stimmrechten der Zielgesellschaft ohne weiteres der Fall. Damit wird unmittelbarer gesellschaftsrechtlicher Einfluss vermittelt. Eine intensivere Form der Einflussnahme auf die Zielgesellschaft ist kaum vorstellbar. Gesellschafter bzw. ermächtigte Dritte an deren Stelle bestimmen durch die Ausübung von Stimmrechten die Willensbildung der Gesellschaft in allen organisatorischen und unternehmerischen Fragen. Für den Extremfall, dass sämtliche Stimmrechte des Dritten in das Ausübungsermessen des Bieters gestellt werden, besteht eine uneingeschränkte Kontrolle durch den Bieter. Dieser hat alle Möglichkeiten, etwa betreffend Satzungsänderungen einschließlich Änderungen des Geschäftsgegenstandes, Kapitalerhöhungen oder sogar der Einstellung des Geschäftsbetriebes. Ebenso möglich sind Veränderungen der Unternehmensstruktur sowie Entscheidungen über Dividendenausschüttungen bzw. Thesaurierungen. Insofern vermittelt eine Vereinbarung über die Ausübung von Stimmrechten der Zielgesellschaft stets eine unmittelbare Einflussnahme auf die unternehmerische Ausrichtung der Gesellschaft, soweit damit nicht erkennbar andere Zwecke verfolgt werden oder eine Einzelfallausnahme vorliegt. Das gilt hingegen für die Abstimmung in sonstiger Weise nicht. Diese Tatbestandsalternative erfasst im Grundsatz alle Absprachen zwischen dem Bieter und dem Dritten, soweit sie sich nicht auf die Stimmrechtsausübung in der Hauptversammlung beziehen. Abstimmungen in sonstiger Weise haben nicht ipso jure die Qualität, die Vereinbarungen über die Stimmrechtsausübung zukommt. Insofern ist zur Begrenzung eines ansonsten ausufernden Tatbestandes, der den Zielen der Norm nicht mehr gerecht wird, der direkte Bezug der Abstimmung zur unternehmerischen Ausrichtung der Zielgesellschaft gefordert.
285Selbst das teleologische Verständnis der Beklagten zur ersten Tatbestandsvariante des Acting in Concert deckt sich mit der vorstehenden Auslegung der Norm seitens der erkennenden Kammer. Die Beklagte führt insoweit aus, dass den Minderheitsaktionären ein Austrittsrecht gewährt werden soll, wenn ein Aktionär die Kontrolle über die Gesellschaft verlangt. Hierdurch sollten Minderheitsaktionäre einen Ausgleich dafür erhalten, dass der Kontrollerwerber eine Änderung der Geschäftspolitik und der Unternehmensorganisation bewirken kann, die sich auf die Ertragsaussichten und das Risiko für die Altaktionäre nachteilig auswirken kann. Deshalb müsse die zurechnungsrelevante Abstimmung von Aktionären die Qualität einer Kontrollausübung haben. Diese Interpretation der Beklagten verträgt sich mit der wortgetreuen Auslegung von § 30 Abs. 2 S. 2 1. Alt. WpÜG. Denn entscheidendes Element ist auch nach der Auffassung der Beklagten, dass der Kontrollerwerber eine Änderung der Geschäftspolitik und der Unternehmensorganisation bewirken kann, die sich auf die Ertragsaussichten und das Risiko für die Altaktionäre nachteilig auswirken kann. Mit einer Vereinbarung über Stimmrechte kann der Bieter eine Änderung der Geschäftspolitik und der Unternehmensorganisation bewirken. Er ist in der Lage, auf dieser Grundlage Entscheidungen herbeiführen, die sich auf die Ertragsaussichten und den Wert des Zielunternehmens sowie auf die Risiken für die Altaktionäre auswirken können. Diese Option ist unabhängig davon, ob die Vereinbarung über die Ausübung von Stimmrechten davon motiviert war, eine dauerhafte und erhebliche Änderung der unternehmerischen Ausrichtung des Zielunternehmens herbeizuführen. Stimmrechtsmacht bedeutet Kontrollmacht, unabhängig von den Motiven, die der Vereinbarung über die Ausübung von Stimmrechten zugrunde liegt.
286(3) Systematik
287Die Systematik von § 30 Abs. 1, 2 WpÜG spricht ebenfalls für eine wortgetreue Auslegung von § 30 Abs. 2 S. 2 1. Alt. WpÜG. Die Zurechnungstatbestände gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 1-8 WpÜG formulieren Sachverhalte, wonach Aktien entweder dem Bieter bzw. seinem Tochterunternehmen gehören oder ein gesicherter Erwerb möglich ist. In diesen Fällen ergibt sich aus dem Aktieneigentum als Vollrecht die Möglichkeit der uneingeschränkten Einwirkung auf das Unternehmen. Ansonsten sind in § 30 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 6-8 WpÜG Sachverhalte aufgeführt, bei denen dem Bieter aufgrund vertraglicher Vereinbarungen mit einem Dritten die Einflussnahme auf die Stimmrechte der Zielgesellschaft eröffnet wird. In diesen Fällen hat der Bieter zwar nicht das Vollrecht bzw. ein Anwartschaftsrecht darauf. Allerdings kann er, vergleichbar einem Eigentümer der Aktien, die Stimmrechte ausüben und damit wie ein Eigentümer die Verfassung und die unternehmerische Ausrichtung des Zielunternehmens bestimmen. Keiner der Tatbestände, die eine Stimmrechtsmacht des Bieters fordern, sieht als weitere Voraussetzung vor, dass die Stimmrechte des Bieters dazu dienen müssen, zu einer dauerhaften und erheblichen Änderung der unternehmerischen Ausrichtung der Zielgesellschaft zusammenzuwirken.
288(4) Wille des Gesetzgebers
289Der vorstehenden Auslegung des § 30 Abs. 2 S. 2 1. Alt. WpÜG (Vereinbarung über die Ausübung von Stimmrechten) steht auch nicht die Intention des Gesetzgebers entgegen. Die Änderung der Norm durch das am 19. August 2008 in Kraft getretene Risikobegrenzungsgesetz sollte zu einer Erweiterung des Tatbestandes führen im Hinblick auf die restriktive Auslegung des Bundesgerichtshofs zu der Vereinbarung über die Ausübung von Stimmrechten. Erfasst werden sollten auch Absprachen außerhalb von Hauptversammlungen. Beibehalten werden sollte aber die bisherige Regelung, d.h. die Abstimmung über die Ausübung von Stimmrechten in der Hauptversammlung (BT-Drucksache 16/9821, Seite 11). Dem wird durch die Auslegung des Gesetzes seitens der Kammer Rechnung getragen.
290Interessenschutzklauseln im Sinne von § 30 Abs. 2 S. 2 WpÜG in den Übernahmeverträgen
292Ursprungsvereinbarung und Änderungsvereinbarung
Die technischen Klauseln in der Ursprungs- und Änderungsvereinbarung sind als zurechnungsbegründende Interessenschutzklauseln gemäß § 30 Abs. 2 S. 2 1. Alt. WpÜG zu qualifizieren.
295Keine Konkretisierung der Interessenschutzklausel im BGH-E-Urteil
Nach dem E-Urteil des Bundesgerichtshofs ist unklar, welche qualitativen Anforderungen an eine Interessenschutzklausel, die als Vereinbarung über die Ausübung von Stimmrechten zu werten wäre, zu stellen sind. Es sind keine Mindestanforderungen für eine tatbestandsrelevante Interessenschutzklausel formuliert worden.
298Stellungnahme im Schrifttum zur Interessenschutzklausel
In der Literatur wird die weite und unbestimmte Interpretation der Interessenschutzklausel durch den Bundesgerichtshof vereinzelt kritisiert. Welche Interessenschutzvereinbarungen zwischen Bieter und Dritten ein Acting in Concert begründen können, bleibe auch nach der E-Entscheidung des Bundesgerichtshofs offen (Ekkenga, ZGR 2015, 485, 503).
301Nicht zu verkennen sei, dass sich die Argumentation des Bundesgerichtshofs zur Interessenbindung weniger auf die Klärung der materiellen Rechtslage als vielmehr auf die Folgen für das Verfahrensrecht (Substantiierungslast des Anspruchstellers) beziehe. Seine Wahl der Prämisse werfe aber die bislang so nicht gestellte Anschlussfrage auf, ob und inwieweit eine fremdnützige Interessenbindung des Aktionärs aus einem kaufvertraglichen Austauschgeschäft abgeleitet werden könne und inwieweit sie sich bereits im Vorfeld in einer „Interessenschutzklausel“ manifestiert haben müsse, um eine Zurechnung von Stimmrechten nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpÜG zu ermöglichen (Ekkenga, ZGR 2015, 485, 506 Fn. 39).
302Konkretisierung der Interessenschutzklausel
Nach der Einschätzung der Kammer kann aus den Äußerungen des Bundesgerichtshofs zur Interessenschutzklausel unter Berücksichtigung der dargestellten Stellungnahmen in der Literatur lediglich abgeleitet werden, dass eine Interessenschutzklausel, die lediglich allgemeine vertragliche Nebenpflichten in Worte fasst, keine Zurechnung wegen abgestimmten Verhaltens begründet. Denn ansonsten würde jede Verschriftlichung allgemeiner vertraglicher Nebenpflichten zu einer Zurechnung wegen abgestimmten Verhaltens führen. Das widerspricht dem Gesetzeszweck und könnte zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, je nachdem, ob schriftliche Vereinbarungen getroffen wurden oder dies unterlassen wurde.
305Der positive Gehalt einer zurechnungsrelevanten Interessenschutzklausel ist hingegen schwer zu fassen. Das kann nur im Einzelfall unter Abwägung aller Umstände sowie der Rechtsprechung und der Literatur zu § 30 Abs. 2 WpÜG geschehen.
306(1) Einzelheiten zur Vereinbarung über die Ausübung von Stimmrechten
307Die 1. Fallgruppe gemäß § 30 Abs. 2 S. 2 WpÜG sieht vor, dass sich die Vereinbarung oder Abstimmung auf die Ausübung von Stimmrechten beziehen muss. Die Absicht genügt. Die übernahmerechtlichen Pflichten entstehen schon mit Abschluss der Vereinbarung oder zum Zeitpunkt der Abstimmung. Es kommt nicht darauf an, dass die Stimmrechte auch tatsächlich koordiniert ausgeübt werden. Eine gegenseitige Information ist nicht ausreichend. Verlangt ist vielmehr, dass das Stimmverhalten koordiniert wird. Zu denken ist an Vereinbarungen oder Abstimmungen über das Stimmverhalten in Bezug auf alle oder einzelne Tagesordnungspunkte. Ausreichend ist die Abstimmung des Stimmverhaltens über alle künftigen Kapitalerhöhungen oder die Entlastung eines Organmitglieds. Der Abstimmungsgegenstand muss keine Dauerhaftigkeit oder Nachhaltigkeit aufweisen (Uwe H. Schneider in: Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, § 30 WpÜG Rz. 182). Es kommt weder darauf an, welche Absichten die Beteiligten mit der Stimmrechtsausübung verfolgen, noch ob sie einen spürbaren und/oder nachhaltigen Einfluss auf die Unternehmensleitung gewinnen wollen oder ob die Beteiligten einzelne Maßnahmen, die die Zielsetzung des Unternehmens betreffen, durchsetzen wollen oder breitflächigen und/oder nachhaltigen Einfluss auf die Unternehmenspolitik nehmen können (Uwe H. Schneider in: Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, § 30 WpÜG, Rz. 197). Die Vereinbarung zur Ausübung von Stimmrechten muss nicht allumfassend sein, d.h. sich nicht zwingend auf sämtliche Beschlussgegenstände von Hauptversammlungen der Zielgesellschaft beziehen. Die Vereinbarung in Bezug auf einzelne Tagesordnungspunkte ist ausreichend (Uwe H. Schneider in: Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, § 30 WpÜG Rz. 181).
308(2) Vereinbarungen zur Erhaltung des Status quo bzw. zur Abwehr missbräuchlicher Maßnahmen des Vertragspartners
309Im Grundsatz werden damit alle Vereinbarungen über die Ausübung von Stimmrechten erfasst, die über allgemeine vertragliche Pflichten, insbesondere die Leistungstreuepflicht, den Gegenstand des Anteilskaufvertrages in seinem Status quo zu bewahren bzw. zu schützen, um den Kaufvertrag zu einem späteren Zeitpunkt erfüllen zu können, hinausgehen. Das erfordert allerdings nur einen passiven Schutz gegen missbräuchliche Handlungen des Verkäufers. Die berechtigten Interessen des Käufers erfordern hingegen keine weitreichenden Gestaltungsmöglichkeiten, die dem Käufer im Ergebnis bereits nach Abschluss des schuldrechtlichen Kaufvertrags eigentumsähnliche Befugnisse einräumen. Von einer vertragsüblichen Interessenschutzklausel kann nicht mehr ausgegangen werden, wenn eine aktive Stimmrechtsausübung auf vertraglicher Grundlage in einem Umfang, der weit über die schützenswerten Belange des Käufers eines Aktienpaketes hinausgeht, ermöglicht wird. Das ist hier der Fall.
310(3) Rechtsauffassung der Beklagten
311Die Beklagte ist der Rechtsauffassung, die technische Klausel der Ursprungsvereinbarung habe lediglich für einen begrenzten Zeitraum der Abwehr theoretisch möglichen Missbrauchs seitens der Post gedient. Die Klausel habe lediglich passiven Schutz geboten. Die Klausel sei auf den Erhalt des Status quo und einer passiven Abwehr von treuwidrigen Maßnahmen der Post gerichtet gewesen. Die Beschränkungen der technischen Klausel seien nicht über das hinausgegangen, was die Post schon aufgrund ihrer allgemeinen vertraglichen Nebenpflichten schuldete und was die Beklagte bereits aufgrund einer Minderheitsbeteiligung von unter 30 % an der E hätte einfordern können.
312(4) Rechtsauffassung der Kläger
313Die Kläger sind der Meinung, dass die technischen Klauseln einen sehr weitreichenden Zustimmungsvorbehalt zu Gunsten der Beklagten hinsichtlich der Stimmrechtsausübung der Post in Hauptversammlungen der E statuierten. Neben den ausdrücklichen Vorbehaltsgegenständen wie Satzungsänderungen, Umwandlungsmaßnahmen oder Bar- oder Sachdividenden beinhalteten die technischen Klauseln eine ausgesprochen weit gefasste Generalklausel, die nahezu jede nachteilige Auswirkung auf die Transaktionen (Plural) erfasse. Aufgrund der Unbestimmtheit habe sich die Post für jede Maßnahme „grünes Licht“ geben lassen müssen. Das habe natürlich eine entsprechende Vorab-Informationspflicht der Post gegenüber der Beklagten begründet. Hinzu komme, dass die vorgelegten Klauseln keinerlei Aussagen darüber enthielten, unter welchen Voraussetzungen die Beklagte Maßnahmen der Post bezüglich der E zustimmen müsse. Für die Beklagte habe freies Ermessen bestanden. Sie habe sich dabei ausschließlich nach ihren Interessen richten können.
314Damit seien der Beklagten in den technischen Klauseln vertragliche Rechte eingeräumt worden, die weit über den von der Beklagten behaupteten Schutz einer erworbenen Minderheitsbeteiligung hinausgingen. Die Beklagte habe ihre im Jahr 2008 eingeleitete Mehrheitsübernahme bei der E absichern wollen.
315Tatsächlich habe die Beklagte auf der Grundlage der technischen Klauseln sowohl auf die im letzten Quartal des Jahres 2008 durchgeführte Kapitalerhöhung der E als auch auf den später gefassten Beschluss über die Nichtausschüttung von Dividenden Einfluss genommen. Ferner habe die Beklagte massiv auf die unternehmerische Ausrichtung der E Einfluss genommen. Bereits in der Ursprungsvereinbarung vom 12. September 2008 seien Absprachen der Post und der Beklagten zu einer grundlegenden Veränderung des Geschäftsmodells der E enthalten, mit deren Umsetzung umgehend habe begonnen werden sollen und auch begonnen worden sei. Im Geschäftsinteresse der Beklagten habe das Geschäftsmodell der E auf das Einlage- und Standardkreditgeschäft mit Privatkunden sowie Gen und mittleren Unternehmen fokussiert werden sollen. Die E habe zum Zwecke des Risikoabbaus riskante Geschäftsbereiche zügig abschmelzen sollen. Das habe u.a. das Geschäft mit gewerblichen Immobilienkrediten, das Kreditersatzgeschäft, das Kapitalmarktgeschäft (insbesondere den Eigenhandel) sowie das Geschäft mit Finanzprodukten (Investmentfonds, strukturierte Finanzierungen) betroffen. Ferner habe der von der Beklagten entsendete Aufsichtsrat A die Entscheidungen der E zu Kreditvergaben an namhafte Unternehmen abschließend und eigenverantwortlich entschieden im geschäftlichen Interesse der Beklagten. Des Weiteren habe die Beklagte auch die am 29. Mai 2009 erfolgte Abberufung des seinerzeitigen Vorstandsvorsitzenden der E, Herrn Dr. G, zu verantworten. Herr Dr. G sei abberufen worden, da er die geschäftliche Neuausrichtung der E im Interesse der Beklagten nicht habe mittragen wollen. Der Einfluss der Beklagten auf die E zeige sich auch darin, dass die Beklagte unmittelbar nach Abschluss der Nachtragsvereinbarung zur Vorbereitung der Integration der E in die E2-Gruppe eigene Mitarbeiter in die E-Zentrale nach Bonn entsandt habe. Zudem habe die Beklagte mit der Post die Ausübung von bilanziellen Ansatz- und Bewertungsrechten bei der E im 4. Quartal 2008 abgesprochen. Damit seien im Interesse der Beklagten Verluste der E im Jahr 2008 realisiert worden. Die Überwachung der Umsetzung dieser Absprachen zwischen der Beklagten und der Post sei von Beginn an durch Berichtspflichten und vertragliche Weisungsrechte der Beklagten bezüglich der Finanzierung der E umgesetzt worden. Die diesbezüglichen Regelungen seien einerseits in der Ursprungsvereinbarung enthalten, andererseits in einem Kooperationsrahmenvertrag, zu dessen Unterzeichnung die Post den Vorstand der E am 12. September 2008 veranlasst habe.
316Formulierung des Zustimmungsvorbehalts unerheblic
Den Klägern ist zunächst darin zuzustimmen, dass es für die Auslegung und Wirkung der technischen Klausel gemäß § 9.1a bzw. § 10.1a nicht darauf ankommt, ob die Zustimmungsrechte der Beklagten positiv oder negativ formuliert sind.
319Deshalb ist zunächst unerheblich, dass nach der sprachlichen Übersetzung, die von der Beklagten vorgelegt worden ist, der Verkäufer, sprich die Post, ohne Zustimmung des Käufers, sprich die Beklagte, keinen Gesellschafterbeschluss fassen oder zulassen „soll“, wohingegen nach der Darstellung der Kläger der Verkäufer die aufgezählten Beschlüsse nicht ohne Zustimmung des Käufers fassen „darf“. Selbst wenn die von der Beklagten vorgelegte Übersetzung als zutreffend unterstellt wird, ergibt sich daraus eine rechtliche Verbindlichkeit ohne eigenes Ermessen der Post. In der Gesetzes- und Vertragssprache wird der Begriff „sollen“ als „müssen“ verstanden, das heißt jedenfalls für den Regelfall. Lediglich unter besonderen Voraussetzungen sind Abweichungen möglich.
320Unerheblich ist ferner, dass die Einflussrechte der Beklagten auf die Stimmrechte der Post nicht aktiv formuliert sind, etwa in der Art, dass die Beklagte die Post hinsichtlich der Stimmrechtsausübung anweisen darf, sondern passiv formuliert sind durch Zustimmungsvorbehalte. Entscheidend ist dabei, ob die Klausel Kontrolle durch Einflussnahme auf die Stimmrechtsausübung des Dritten ermöglicht. Das ist auch bei der Formulierung eines Zustimmungsvorbehaltes ohne weiteres der Fall. Denn bereits eine Vereinbarung, die eine Ablehnung einer Stimmrechtsausübung des Dritten ermöglicht, ist kontrollrelevant. Denn damit wird gesellschaftsrechtlich vermittelter Einfluss gewährt, der eine Steuerung des Unternehmens im Sinne des Bieters ermöglicht. Abgesehen davon ist es im Falle der Verweigerung der Zustimmung naheliegend, dass es in nachfolgenden Verhandlungen zu einer Stimmrechtsausübung im Sinne des Bieters kommt, die zustimmungsfähig ist. Insofern besteht dann die Möglichkeit zur aktiven Gestaltung der Unternehmensausrichtung im Sinne des Bieters.
321Keine Konkretisierung der gesetzlichen Nebenpflicht gemäß § 241 BGB
323Praxis im GmbH- und GbR-Übernahmerecht
Zutreffend ist zwar der Vortrag der Beklagten, dass in der Praxis des Unternehmenskaufs bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung und Personenhandelsgesellschaften Vertragsklauseln anzutreffen sind, wonach der Verkäufer sicherzustellen hat, dass das Zielunternehmen seinen Geschäftsbetrieb zwischen Vertragsschluss und Vollzug in Übereinstimmung mit der hergebrachten Praxis fortzuführen habe und für außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs liegende Maßnahmen die Zustimmung des Käufers einzuholen habe (Krause, AG 2014, 833, 840 mit weiteren Nachweisen).
326Eingeschränkte Relevanz der Praxis für WpÜG-relevante Übernahmen
Die Beklagte kann sich aber nicht auf übliche Klauseln bei Unternehmenskäufen im GmbH-Bereich oder GbR-Bereich berufen. Insoweit besteht in der Regel schon keine WpÜG-Relevanz. Daher können Vereinbarungen über die Ausübung von Stimmrechten, die für die Übernahme von Gesellschaften mit beschränkter Haftung und Gesellschaften bürgerlichen Rechts üblich und unbedenklich sind, unter der Geltung des WpÜG kontrollbegründend sein. Unabhängig davon gehen die streitgegenständlichen technischen Klauseln auch über Standardklauseln in Anteilskaufverträgen hinaus. Denn die Beklagte hat auf der Grundlage der technischen Klauseln einen Zugriff auf die Zielgesellschaft, vermittelt über die Stimmrechte eines Dritten, erhalten, der sie trotz einer zeitlich gestreckten Mehrheitsübernahme der E im Ergebnis so stellt, als wäre der Vertrag einschließlich der damit verbundenen Einflussrechte bereits bei Abschluss des schuldrechtlichen Vertrages vollzogen worden.
329Inhalt der leistungsbezogenen vertraglichen Nebenpflichten
§ 241 Abs. 2 BGB statuiert leistungsbezogene Rücksichtnahmepflichten der Vertragspartner zur Herbeiführung des vertraglich geschuldeten Leistungserfolgs. Dabei kann es darum gehen, die Rechte und sonstigen Rechtsgüter des Vertragspartners zu schützen, d.h. seinen personen- und vermögensrechtlichen Status quo. Inhalt und Umfang der Rücksichtnahmepflicht hängen vom Vertragszweck ab, der Verkehrssitte und den Anforderungen des redlichen Geschäftsverkehrs. Beim Kaufvertrag, d. h. auch beim Anteilskaufvertrag, ist der Verkäufer verpflichtet, alles zu unterlassen, was den Vertragszweck und damit auch den Vollzug des Kaufvertrages gefährdet. Soweit beim Kauf von Sachen oder Rechten die schuldrechtliche Vereinbarung und die Übereignung zeitlich auseinanderfallen, sind Einwirkungen oder Verfügungen über die Sache zu unterlassen, die den Vollzug behindern oder vereiteln. Ansonsten bestimmt § 446 BGB, dass die Gefahr der Sache erst mit der Übergabe der verkauften Sache auf den Käufer übergeht. Bis zum Gefahrübergang trägt der Verkäufer die Sach- und Vergütungsgefahr. Ferner gehen Nutzungen und Lasten mit dem Gefahrübergang auf den Käufer über. Für den Anteils- oder Unternehmenskaufvertrag bedeutet dies, dass Regelungen zur Erhaltung des Werts der gekauften Sache durchaus berechtigt sein können. Denn der Kaufvertrag beinhaltet Absprachen bzw. Vorstellungen über den Zustand bzw. Wert der Sache und den dafür zu zahlenden Preis. Allerdings wird die Grenze zulässiger Werterhaltungsklauseln bereits überschritten, wenn Nutzungen und Früchte, z.B. Zinsen oder Dividenden, vor Gefahrübergang dem Käufer zugewiesen werden. Ferner wird die Grenze überschritten, wenn der Käufer schon vor der Übereignung wie der Eigentümer umfassend auf die Willensbildung der Gesellschaft Einfluss nehmen kann. Das gilt erst recht dann, wenn die Einflussnahmemöglichkeiten überschießenden Charakter haben, d.h. quantitativ weit über den Kaufgegenstand hinausgehen. Der Käufer hat keinen Anspruch darauf, so gestellt zu werden, als hätte er bereits Sach- oder Rechtseigentum erlangt. Soweit vertragliche Klauseln diese Einflussmöglichkeiten einräumen, wird auch eine Kontrolle über die Zielgesellschaft eröffnet.
332Status quo-Regelung wird überschritten
Die technische Klausel gemäß § 9.1a der Ursprungsvereinbarung geht über eine passive Status quo-Regelung zur Verhinderung theoretisch möglichen Missbrauchs, wie von der Beklagten behauptet, weit hinaus.
335(1) Überschießende Rechtsgewährung
336Der gemäß § 9.1a der Ursprungsvereinbarung abgesprochene Zustimmungsvorbehalt bezüglich Satzungsänderungen u. a. geht schon deshalb zu weit, da er sich nicht lediglich auf das erworbene Anteilspaket von 29,75 % bezieht. Vielmehr gilt der Zustimmungsvorbehalt nach seinem Wortlaut uneingeschränkt, d.h. bezüglich sämtlicher von der Post gehaltenen E-Aktien. Damit erhält die Beklagte ein überschießendes Recht, Satzungsänderungen u. a. bei der E zu verhindern, da sich der Zustimmungsvorbehalt auch auf die E-Aktien der Post bezieht, die über das erworbene Anteilspaket von 29,75 % hinausgehen. Im Ergebnis bezieht sich der Zustimmungsvorbehalt auf sämtliche seinerzeit von der Post gehaltenen Aktien, das heißt auf die Mehrheitsbeteiligung der Post an der E. Damit war die Beklagte in der Lage, auch Satzungsänderungen zu verhindern, die nach § 179 Abs. 2 S. 2 AktG in Verbindung mit § 19 Abs. 2 der Satzung der E lediglich einfache Mehrheit voraussetzen. Das Argument der Beklagten, dass die technischen Klauseln lediglich darauf angelegt gewesen seien, der Beklagten die Vorteile zu erhalten, die mit dem Erwerb einer Minderheitsbeteiligung i.H.v. 29,75 % verbunden sind, überzeugt daher nicht.
337(2) Keine tatbestandliche Beschränkung der Zustimmungsvorbehalte
338Die technischen Klauseln binden die Zustimmungsvorbehalte der Beklagten nicht an weitere Voraussetzungen, etwa derart, dass etwaige Stimmrechtsausübungen der Post hinsichtlich der E-Aktien die in der Ursprungs- und Nachtragsvereinbarung vorgesehenen Transaktionen infrage stellen, verhindern oder wesentlich verzögern würden. Dieser Vorbehalt ist lediglich für die letzte Variante der technischen Klauseln vorgesehen. Die drei vorhergehenden Zustimmungsvorbehalte (Satzungsänderung, Umwandlung und Dividendenausschüttung) enthalten diese Einschränkungen gerade nicht. Für einen objektiven Erklärungsempfänger in der Position der Post müssen die Zustimmungsvorbehalte zu Satzungsänderungen, Umwandlungen und Dividendenausschüttungen so verstanden werden, dass sie uneingeschränkt von keinen weiteren Bedingungen abhängig sind. Abweichendes ergibt sich auch nicht aus der Natur der Sache bzw. den technischen Klauseln.
339(3) Ermessen der Beklagten bei der Zustimmung zur Stimmrechtsausübung
340Problematisch ist der Zustimmungsvorbehalt bezüglich Satzungsänderungen u. a. auch deshalb, weil die Entscheidung der Beklagten, die Zustimmung zu einer Satzungsänderung zu erteilen oder zu versagen, nach dem Wortlaut der Klauseln in deren Ermessen gestellt ist. Damit ist gewährleistet, dass bei der Stimmrechtsausübung der Post im Zweifel die Interessen der Beklagten Vorrang erhalten.
341Keine Nebenpflicht zur Unterlassung von Satzungsänderungen
Der von der Beklagten mit der Post vereinbarte Zustimmungsvorbehalt bezüglich Satzungsänderungen bei der E geht unter Berücksichtigung von Treu und Glauben über vertragliche Nebenpflichten gemäß den §§ 241, 242 BGB hinaus. Daraus lässt sich nicht ein Unterlassungsanspruch herleiten, dass der Verkäufer Satzungsänderungen bezüglich der verkauften Anteile oder sogar aller von ihm gehaltenen Anteile unterlässt bzw. entsprechende Beschlüsse von der Zustimmung des Käufers abhängig macht. Denn Satzungsänderungen können einerseits im Unternehmensinteresse liegen. Sie müssen auch nicht zu einer Veränderung der gekauften Unternehmensanteile bzw. ihres Wertes führen. Satzungsänderungen können andererseits sehr vielfältig sein. Nicht jede Satzungsänderung muss einen Bezug zum Anteilskaufvertrag und der daraus folgenden Leistungstreuepflicht haben. Beispielsweise regelt die Satzung der E1 AG (Anlage B 15 so Bd. XV) die Firma, den Sitz, das Geschäftsjahr, den Gegenstand des Unternehmens, Bekanntmachungsinformationen, Höhe und Einteilung des Grundkapitals, Zusammensetzung und Geschäftsordnung des Vorstands, Vertretung der Gesellschaft, Geschäftsführung, zustimmungsbedürftige Geschäfte, Zusammensetzung, Amtsdauer und Amtsniederlegung des Aufsichtsrates, Geschäftsordnung des Aufsichtsrats, Beschlussfassung, Ausschüsse, Schweigepflicht und Vergütung des Aufsichtsrates, Ort und Einberufung der Hauptversammlung, Teilnahmerecht und Stimmrecht in der Hauptversammlung, Vorsitz in der Hauptversammlung, Beschlussfassungen der Hauptversammlung sowie schließlich Jahresabschluss und Gewinnverwendung. Die undifferenzierte technische Klausel in Bezug auf Satzungsänderungen räumte der Beklagten folglich Stimmrechte ein, mit der sie jede Satzungsänderung nach ihrem Belieben verhindern konnte, und zwar unabhängig davon, ob eine Satzungsänderung im Interesse der E oder der Post geboten bzw. erforderlich war oder einen Bezug zum Werterhalt der gekauften Anteile hatte. Der Zustimmungsvorbehalt in den technischen Klauseln betrifft daher nicht lediglich missbräuchliche Satzungsänderungen seitens der Post, sondern sämtliche Satzungsänderungen.
344Umwandlungen
Der Zustimmungsvorbehalt der Beklagten bei Umwandlungen der Gesellschaft in andere Rechtsformen ist vordergründig unbedenklich, um grundlegende strukturelle Änderungen bei der E zum Schutz des gekauften Anteilspakets zu vermeiden. Aber auch hier ist kritisch anzumerken, dass der Wortlaut insoweit keine Einschränkungen vorsieht, d.h. der Beklagten auch insoweit erhebliches Ermessen zusteht.
347Dividendenausschüttungen
Insbesondere der in den technischen Klauseln vereinbarte Zustimmungsvorbehalt bezüglich der Ausschüttung von Dividenden ist nicht besitzstandswahrend. Nach dem Gesetz hat der Käufer kein Recht, die Nutzungen bis zum Gefahrübergang für sich zu beanspruchen bzw. darüber verantwortlich zu entscheiden. Soweit die Vertragsparteien den Wert des Anteilspakets bzw. des Unternehmens auf den Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses kalkuliert haben, kann natürlich das Interesse dahingehend bestehen, preisrelevante Wertveränderungen, zu denen auch Dividendenausschüttungen gehören, nach Kaufvertragsabschluss zu vermeiden. Allerdings sind hier diverse Anpassungsmechanismen möglich. Insbesondere kann der Vertrag Anpassungsklauseln vorsehen, wonach sich der Kaufpreis im Umfang von nachvertraglich ausgeschütteten Dividenden verringert. Hingegen hat der Käufer auch beim Kaufvertrag grundsätzlich kein Recht, mit den Stimmrechten des Verkäufers zulasten der übrigen Aktionäre darüber zu entscheiden, ob es überhaupt zu Ausschüttungen kommt. Es ist offensichtlich, dass mit der Entscheidung über die Ausschüttung von Dividenden oder die Thesaurierung von Gewinnen unmittelbar Unternehmensinteressen berührt sind. Denn Dividenden- bzw. Thesaurierungsbeschlüsse beeinflussen den Wert des Unternehmens.
350Der Einwand der Beklagten, dass die technischen Klauseln zu Dividendenausschüttungen unerheblich seien, da die Zustimmung der Post zu Dividendenausschüttungen im Zuge der im Jahr 2008 eingetretenen Finanzmarktkrise missbräuchlich gewesen wäre, überzeugt nicht. Es kann schon nicht generell unterstellt werden, dass eine Dividendenausschüttung nach Eintritt der Kapitalmarktkrise missbräuchlich gewesen wäre. Das kann nur im Einzelfall beurteilt werden. Zudem lassen die technischen Klauseln auch keinen Bezug zu diesem Aspekt erkennen.
351Rechtlich unerheblich ist ferner der Einwand der Beklagten, dass eine Einflussnahme der Beklagten auf Dividendenausschüttungen bei der E für die Dauer der Gültigkeit der technischen Klauseln nicht denkbar gewesen sei, da die ordentliche Hauptversammlung der E erst im April 2009 angestanden habe. Dieser Einwand wirft spontan die auch von den Klägern gestellte Frage auf, warum dann in den technischen Klauseln ein Zustimmungsvorbehalt der Beklagten zu Gewinnausschüttungen enthalten ist. Unabhängig davon ist dem Einwand der Beklagten auch zu entgegnen, dass Dividendenbeschlüsse natürlich nicht erst am Tag der Hauptversammlung entschieden werden, sondern dass dazu bereits von der Zielgesellschaft vorbereitende Entscheidungen getroffen werden. Beispielsweise stand hier bereits im Oktober 2008, d.h. während der Gültigkeit der technischen Klauseln, fest, dass in der ordentlichen Hauptversammlung der E im April 2009 für das Geschäftsjahr 2008 keine Dividenden ausgeschüttet werden. Dies hat die E mit ad hoc-Mitteilung vom 27. Oktober 2008 erklärt. Eine solche Äußerung erfordert zwingend die Abstimmung mit der Post und damit auch mit der Beklagten. Bereits an diesem Beispiel ist erkennbar, dass der Zustimmungsvorbehalt zu Dividendenbeschlüssen sehr wohl Wirkung entfalten konnte.
352Sonstige Maßnahmen und Handlungen
Auch der in § 9.1a (iv) der Ursprungsvereinbarung vereinbarte Zustimmungsvorbehalt zu sonstigen Maßnahmen und Handlungen in Bezug auf die Zielgesellschaft, die die Transaktionen der Ursprungsvereinbarung behindern, vereiteln oder verzögern können, geht über das übliche Maß an vertraglichen Rücksichtnahmepflichten hinaus.
355(1) Keine Beschränkung auf Beschluss-Maßnahmen
356Der Beklagten ist zunächst nicht in der rechtlichen Einschätzung zuzustimmen, dass diese Klausel lediglich Beschluss-Maßnahmen meint, die die entsprechenden Wirkungen laut der Klausel haben. Diese Auslegung der Beklagten widerspricht dem klaren Wortlaut. Sie widerspricht ferner Sinn und Zweck der Vereinbarung. Denn die Beklagte hatte ein dokumentiertes Interesse an der Werterhaltung ihres bereits getätigten Investments. Das umfasst nicht nur Beschluss-Maßnahmen, sondern durchaus sämtliche Maßnahmen und Handlungen. Es ist ohne weiteres denkbar, dass die Post im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit Maßnahmen einleitet, die sich auf die Werthaltigkeit der von der Beklagten erworbenen E-Aktien nachteilig auswirken. Dabei könnte es sich beispielsweise um eine Kündigung der Kooperation mit der E handeln oder um nachteilige Äußerungen. Die Kammer versteht folglich § 9.1a (iv) in dem Sinne, dass die Beklagte damit einen umfassenden Werterhaltungsschutz beanspruchte, der Beschluss-Maßnahmen und Maßnahmen außerhalb von Hauptversammlungen einschloss.
357Kontrollrelevanz der Klausel
Die Kontrollrelevanz des Zustimmungsvorbehalts gemäß § 9.1a (iv) der Ursprungsvereinbarung ergibt sich für das erkennende Gericht bereits aus der Durchführung der Kapitalerhöhung bei der E im letzten Quartal 2008. Auch wenn es sich dabei um eine Kapitalerhöhung aus genehmigtem Kapital handelte, für die ein erneuter Hauptversammlungsbeschluss nicht erforderlich war, konnte die Kapitalerhöhung aber nur mit Billigung der Post durchgeführt werden, da diese sich u.a. bereit erklärt hatte, sämtliche Aktien aus der Kapitalerhöhung zu übernehmen. Die Durchführung der Kapitalerhöhung war folglich keine Beschluss-Maßnahme, sie war dennoch eine Maßnahme, die auf den Wert der von der Beklagten erworbenen Aktien erheblichen Einfluss hatte. Daher ist eine Abstimmung zwischen der E, der Post und der Beklagten zu den Einzelheiten der Kapitalerhöhung aus genehmigtem Kapital zwingend. Auch wenn die Beklagte stets bestritten hat, an der Entscheidung über die Kapitalerhöhung in irgendeiner Weise beteiligt gewesen zu sein, ist es nach Abschluss der Ursprungsvereinbarung i.V.m. den technischen Klauseln nicht denkbar, dass eine Kapitalerhöhung i.H.v. ca. EUR 1 Mrd. bei der E durchgeführt wird, ohne dass die Beklagte über die Post an der Entscheidungsfindung beteiligt wurde.
360Verfolgung konkret gefasster unternehmerischer Absichten
Soweit unterstellt würde, dass auch die 1. Variante gemäß § 30 Abs. 2 S. 2 WpÜG (Vereinbarung über die Ausübung von Stimmrechten) zusätzlich ein Zusammenwirken von Bieter und Dritten zur dauerhaften und erheblichen Änderung der unternehmerischen Ausrichtung der Zielgesellschaft erfordert (quod non), erfüllen die technischen Klauseln der Ursprungs- und Änderungsvereinbarung diese Anforderung. Das gleiche gilt für § 9.1a (iv) der technischen Klausel.
363Voraussetzungen der Einflussnahme auf die unternehmerische Ausrichtung
Die Einflussnahme auf die unternehmerische Ausrichtung muss das „Ziel“ des Handelns sein; nicht ausreichend ist die lediglich die abstrakte Eignung. Die zusammenwirkenden Beteiligten müssen gerade in der Absicht handeln, eine Änderung der unternehmerischen Ausrichtung zu erreichen (Steinmeyer in: Steinmeyer/Häger, WpÜG, § 30 Zurechnung von Stimmrechten, Rz. 54a). Geprägt wird die unternehmerische Ausrichtung auf jeden Fall von der Unternehmenspolitik, also durch die langfristige Ausrichtung von Einkauf, Verkauf, Produktion, Vertrieb, Finanzierung. Keine Änderung der unternehmerischen Ausrichtung wird beabsichtigt, wenn nur der gegenwärtige Zustand aufrechterhalten werden soll (Uwe H. Schneider in: Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, § 30 WpÜG, Rz. 190 mwN.; Steinmeyer in: Steinmeyer/Häger, WpÜG, § 30 Zurechnung von Stimmrechten, Rz. 54b).
366In Betracht kommt eine dauerhafte und erhebliche Änderung der Unternehmensausrichtung etwa in den folgenden Fällen (Steinmeyer in: Steinmeyer/Häger, WpÜG, § 30 Zurechnung von Stimmrechten, Rz. 54b mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung und Literatur):
367gravierende Änderungen im Hinblick auf Art oder Umfang des betriebenen Geschäfts, wie beispielsweise grundlegende Änderungen des Geschäftsmodells oder die Trennung von wesentlichen Geschäftsbereichen bzw. die Veräußerung wesentlicher Tochtergesellschaften;
die Zerschlagung des Unternehmens oder die Zahlung einer hohen Sonderdividende, welche die Weiterverfolgung der bisherigen Unternehmenspolitik unmöglich macht;
die Änderung des Unternehmensgegenstandes oder der vom Vorstand definierten Unternehmenspolitik/Geschäftsfelder bzw. der grundlegenden Ziele;
die Änderung der Konzernstruktur oder
gravierende Änderungen bei der Finanzierungsstruktur.
Die Regierungsbegründung nennt als Beispiele für die beabsichtigte Änderung der unternehmerischen Ausrichtung der Zielgesellschaft die Zerschlagung des Unternehmens und eine die Gesellschaft lähmende Sonderdividende (Begr. RegE, BT-Drucks. 16/7438, S. 11). Als Beispiele werden ferner genannt die grundlegende Änderung des Geschäftsmodells und die Trennung von wesentlichen Geschäftsbereichen (Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 16/9821, S. 12).
374Ziele der Beklagten gemäß Ursprungsvereinbarung
Die Beklagte hatte mit dem Erwerb von E-Aktien auf der Grundlage des Ursprungsvertrags vom 12. September 2008 eine zumindest zeitlich gestreckte Mehrheitsbeteiligung und damit eine Integration der E in den Konzern der Beklagten beabsichtigt. In diesem Zusammenhang wurde zeitgleich mit dem Abschluss der Ursprungsvereinbarung eine enge Kooperation zwischen Beklagter und der E vereinbart, u.a. beim Vertrieb von Immobilienfinanzierungen und Investmentprodukten. Die Beklagte beabsichtigte nicht den Erwerb einer Minderheitsbeteiligung. Sie beabsichtigte auch nicht, die E-Beteiligung entsprechend der bisherigen Geschäftspolitik der Post weiterzuführen. Vielmehr verfolgte die Beklagte mit Abschluss der Ursprungsvereinbarung ausschließlich eigene unternehmerische Interessen in Bezug auf die E. Sie hat eine Neuausrichtung der E beabsichtigt, wobei unerheblich ist, in welchen Punkten sich die Geschäftspolitik der Beklagten und der Post bezüglich der E im Einzelnen unterscheiden. Jedenfalls hatte die Beklagte als Wettbewerber der E strategisch andere Interessen als die Post. Die Beklagte hat sich die von ihr beabsichtigte Neuausrichtung der E durch den Vorbehalt der Zustimmung zu den in § 9.1a der Ursprungsvereinbarung genannten Beschlussgegenständen gesichert.
377Einfluss der Beklagten auf die unternehmerische Ausrichtung der E
Die technischen Klauseln ermöglichten der Beklagten eine dauerhafte und erhebliche Änderung der unternehmerischen Ausrichtung der E. Die Beklagte konnte unabhängig von den Interessen der Post Satzungsänderungen bei der E verhindern bzw. durchsetzen. Damit konnte sie beispielsweise Änderungen des Gegenstands bzw. des Geschäftsmodells der E ebenso wie die Aufgabe von Geschäftsbereichen verhindern. Die Beklagte konnte ferner Kapitalerhöhungen sowie strukturelle Veränderungen bei der E abwehren. Ferner konnte sie Dividendenzahlungen an die Aktionäre verhindern. Tatsächlich hat die E bereits in ihrer ad hoc-Mitteilung vom 27. Oktober 2008 (Anlage B5 zum Anlagenband III) mitgeteilt, dass der Vorstand plane, auf der nächsten ordentlichen Hauptversammlung im April 2009 vorzuschlagen, für das Geschäftsjahr 2008 keine Dividende auszuschütten. Diese Erklärung ist nicht denkbar, ohne dass sich der Vorstand der E zuvor mit der Post als ihrem Hauptaktionär abgestimmt hat. Insoweit benötigte die Post wiederum der Zustimmung der Beklagten auf der Grundlage der technischen Klausel.
380Der durch die technischen Klauseln gesicherte Einfluss der Beklagten auf die unternehmerische Ausrichtung der E war auch das gemeinsame Ziel der Beklagten und der Post. Die technischen Klauseln waren geeignet, die Ziele der Beklagten an dem beabsichtigten Mehrheitserwerb zu unterstützen. Zwar ist eine ausdrückliche Vereinbarung der Beklagten und der Post, dass die technischen Klauseln der Verwirklichung der unternehmerischen Interessen der Beklagten an der E dienen, nicht bekannt und nicht vorgetragen worden. Das ist aber auch nicht erforderlich. Denn die Zielvereinbarung kann auch stillschweigend erfolgen, wie es hier anzunehmen ist. Das folgt bereits aus dem überschießenden Charakter der technischen Klauseln, die der Beklagten eine Einflussnahme auf eine E-Mehrheitsbeteiligung der Post gab, obwohl nach dem Vortrag der Beklagten lediglich eine Minderheitsbeteiligung von 29,75 % an der E gegen theoretisch möglichen Missbrauch seitens der Post abgesichert werden sollte. Zudem waren derart umfangreiche Zustimmungsvorbehalte in der Sache auch nicht erforderlich, um das Interesse der Beklagten an der Erfüllung des Anteilskaufvertrages zu sichern. Die umfassende Einräumung von Stimmrechten der Post an die Beklagte im Zusammenhang mit dem Erwerbsvertrag vom 12. September 2008 und den erbrachten Vorleistungen der Beklagten an die Post zeigen, dass die Post kein eigenes Interesse mehr an den E-Aktien hatte und sie der Beklagten die Entscheidung über die Ausrichtung der E überließ.
381Dauerhafter und erheblicher Einfluss der Beklagten
Die auf der Grundlage der technischen Klauseln mögliche Änderung der unternehmerischen Ausrichtung der E war auch dauerhaft und erheblich. Die Zustimmungsvorbehalte in den technischen Klauseln bezüglich der Stimmrechtsausübung durch die Post dienten der Interessenwahrung der Beklagten hinsichtlich ihrer unternehmerischen Ziele bei der E. Mit dem Recht der Beklagten, nach ihrem Ermessen Satzungsänderungen, Strukturveränderungen und Dividenden zu vermeiden, konnte sie die Unternehmensausrichtung erheblich beeinflussen. Sie konnte Änderungen des Geschäftsgegenstandes mit Auswirkungen auf die Ertragskraft, Kapitalerhöhungen mit Auswirkungen auf die Veränderung der Beteiligungsverhältnisse, Rechtsformwechsel mit ggf. steuerrechtlichen und haftungsrechtlichen Auswirkungen und Dividendenzahlungen mit Auswirkungen auf die Kapitalisierung des Unternehmens und damit die Finanzstruktur und den Möglichkeiten unternehmerischer Investitionen verhindern. Die Abstimmungen zu diesen Beschlussgegenständen haben unmittelbare Auswirkungen auf den Vorstand und den Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft, die die Geschäftspolitik der Gesellschaft an etwaigen Beschlüssen zu den vorgenannten Beschlussgegenständen ausrichten werden.
384Die Dauerhaftigkeit der mit den technischen Klauseln ermöglichten Änderung der unternehmerischen Ausrichtung der E resultiert aus der Tatsache, dass zu unterstellen ist, dass die Ursprungsvereinbarung und damit auch die technischen Klauseln bis zum Vollzug der Gesamtvereinbarung und damit ggf. über einen Zeitraum von mehreren Jahren galten. Insofern wird auf die nachfolgenden Ausführungen zur zeitlichen Geltung der technischen Klauseln der Ursprungsvereinbarung verwiesen. Unabhängig davon spricht für die Dauerhaftigkeit, selbst wenn lediglich von einer Dauer von ca. 5 Monaten ausgegangen wird, dass die technischen Klauseln der Verwirklichung der auf Dauer angelegten Ursprungsvereinbarung und der darin manifestierten Mehrheitsbeteiligung der Beklagten an der E dienten. Auch in einem Zeitraum von 5 Monaten sind zur Verwirklichung des Anteilskaufvertrages erhebliche Änderungen auf die unternehmerische Ausrichtung der Zielgesellschaft möglich, die nachfolgend im Hinblick auf die Leistungstreuepflicht in Verbindung mit den Pflichten gemäß § 5.1 der Verpfändungsverträge nicht ohne weiteres von der Post verändert oder revidiert werden konnten.
385Keine entgegenstehenden Interessen der Post
Mit den technischen Klauseln der Ursprungs- und Änderungsvereinbarung hat die Beklagte die Durchsetzung ihrer mit dem Erwerb der E-Aktien verbundenen Interessen gesichert. Die Post hat sich bei der Ausübung der Stimmrechte aus den E-Aktien den Interessen der Beklagten untergeordnet. Eigene Interessen der Post an E-Aktien stehen dieser rechtlichen Beurteilung nicht entgegen.
388Vorrang der Interessen der Beklagten nach den technischen Klauseln
Der Wortlaut der Klauseln lässt keinen Zweifel daran, dass die Interessen der Beklagten im Zusammenhang mit der Übernahme des E-Aktienpakets stets Vorrang vor den Interessen der Post hinsichtlich sämtlicher ihr gehörender E-Aktien genießen. Die Beklagte konnte im Rahmen des vereinbarten Zustimmungsvorbehaltes bezüglich der Stimmrechtsausübung zu Satzungsänderungen, Umwandlungen und Dividendenausschüttungen nach freiem Ermessen unter Berücksichtigung ihrer Interessen entscheiden. Das Gleiche gilt auch bezüglich weiterer Maßnahmen, soweit sie die Transaktionen gefährden. Die Vereinbarungen in den technischen Klauseln waren rechtlich verbindlich und durchsetzbar. Bei diesem klaren Wortlaut wird nicht erkennbar, inwieweit die Post noch eigene Interessen bezüglich ihrer E-Aktien verfolgen konnte. Beispielsweise hätte sie eine Satzungsänderung oder einen Dividendenbeschluss nicht durchsetzen können, wenn die Beklagte die Zustimmung verweigert hätte. Dabei wäre es nicht darauf angekommen, ob die Post eine für sie interessengerechte Beschlussfassung über die vorgenannten Gegenstände darlegen und nachweisen kann. Das ist nach dem Sinn und Zweck und dem Wortlaut der technischen Klauseln unerheblich. Die Beklagte übte insoweit Kontrolle aus.
391Aussage des Herrn Dr. L zur Interessenlage der Post
Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob der Vorstandsvorsitzende der Post, Herr Dr. L, im Rahmen der Zeugenaussage vor dem Oberlandesgericht Köln bestätigt hat, dass sich die Post nicht den Interessen der Beklagten untergeordnet habe und auch nie darüber gesprochen worden sei, Beschlüsse der Hauptversammlung der E im Sinne der Beklagten zu fassen. Diese Aussage gibt lediglich die Einschätzung und den Wissenstand des Zeugen Dr. L wieder. Sie kann aber nicht den eindeutigen und ausschließlich die Interessen der Beklagten berücksichtigenden Wortlaut der technischen Klauseln in Frage stellen. Auf die damit eingeräumte Stimmrechtsausübungsmacht zugunsten der Beklagten kommt es an. Es reicht dabei aus, dass die Möglichkeit bestand, auf die Stimmrechtsausübung der Post hinsichtlich ihrer E-Aktien Einfluss zu nehmen. Ob es tatsächlich dazu kam oder – aus welchen Gründen auch immer – eine Einflussnahme seitens der Beklagten tatsächlich nicht nötig war, ist unerheblich. Es ist vorstellbar, dass die Beklagte und die Post Einzelheiten zur Stimmrechtsausübung aufgrund eines übereinstimmenden Verständnisses im Rahmen der Vertragsverhandlungen nicht abstimmen mussten. Im Ergebnis geht die Kammer aber ohnehin davon aus, dass die Beklagte auf der Basis der technischen Klauseln zumindest Einfluss auf die Kapitalerhöhung der E aus genehmigtem Kapital sowie auf die Beschlussfassung über die Nichtausschüttung von Dividenden für das Geschäftsjahr 2008 nahm.
394Keine Gefährdung der wirtschaftlichen Interessen der Post
Der von den Vertragsparteien der Ursprungs- und Nachtragsvereinbarung gewollten rechtlich verbindlichen Absprache über die Ausübung von Stimmrechten steht auch nicht die Behauptung der Beklagten entgegen, dass sich die Post aufgrund fortbestehender Interessen an der E niemals den Interessen der Beklagten bezüglich der E-Aktien untergeordnet hätte.
397(1) Geschäftliche Interessen der Post in Bezug auf die E widersprechen nicht einer Interessenschutzklausel
398Es mag sein, dass die E auch nach Abschluss der Ursprungsvereinbarung weiterhin ein zentraler strategischer Partner für die Post sein sollte und war. Die Post und die E hatten insofern gegenseitige Absprachen zur Nutzung der Filialnetze und anderer Leistungen im Gegenseitigkeitsverhältnis getroffen. In diesem Zusammenhang investierte die Post in erheblichem Umfang. Die fortbestehenden geschäftlichen Kontakte zwischen der Post und der E indizieren aber nicht zwingend, dass sich die Post bei der Stimmrechtsausübung aus ihren E-Aktien nicht den Interessen der Beklagten untergeordnet hat. Dass sie das getan hat, zeigt die Billigung der hier streitigen technischen Klausel, aus der sich eine Interessenunterwerfung der Post ergibt.
399(2) Interessenwahrung durch Abschluss von Kooperationsverträgen zwischen der Post und E möglich
400Im Übrigen schließt das Eine das Andere nicht aus. Die Post konnte ihre Interessen an einer Kooperation mit der E durch langfristige Verträge mit dieser verfolgen und sichern. Die Interessenwahrung der Post erforderte keine Mehrheitsbeteiligung bei der E. Dementsprechend war zur Interessenwahrung auch nicht erforderlich, dass die Post zu diesem Zweck weiterhin ihre E-Stimmrechte nach eigener Interessenlage ausüben kann. Aus Sicht der Post musste lediglich sichergestellt werden, dass die E auch in Zukunft Kooperationsverträge mit der Post erfüllen kann. Das stand aber nicht infrage. Die Post konnte auch nach einer Übernahme der E durch die Beklagte davon ausgehen, dass die E ihre Verpflichtungen aus etwaigen Kooperationsverträgen mit der Post erfüllen kann, und zwar unabhängig davon, wer nach Abschluss der Ursprungsvereinbarung die Stimmrechte für die E-Aktien der Post ausübt. Es ist auch nicht ansatzweise erkennbar, wie beispielsweise Beschlüsse zu Satzungsänderungen oder Dividendenausschüttungen, die mit Zustimmung der Beklagten in deren Interesse auf der Grundlage der technischen Klauseln gefasst bzw. nicht gefasst werden, das Interesse der Post an einer weiteren Zusammenarbeit mit der E beeinträchtigen könnten.
401(3) Dauerhafte Interessenwahrung der Post nicht möglich
402Letztlich wird die Argumentation der Beklagten auch ad absurdum geführt, da die Post durch die Aufgabe der E jedenfalls ab dem Jahr 2012 jede Möglichkeit verloren hätte, ihre eigenen Interessen im Hinblick auf E-Aktien durchzusetzen. Wäre die Argumentation der Beklagten zutreffend, hätte die Post ihre E-Aktien überhaupt nicht an die Beklagte veräußern dürfen. Tatsächlich war der Post die Wahrung ihrer geschäftlichen Interessen trotz ihrer Ausrichtung auf die unternehmerischen Ziele der Beklagten hinsichtlich der E möglich, was sich letztlich auch aus dem Vortrag der Beklagten ergibt, dass die Post ihre Interessen auch heute noch verfolgt, d.h. also nach vollständigem Abschluss der Übernahme der E durch die Beklagte.
403Einzelfallausnahme gemäß § 30 Abs. 2 S. 1 HS. 2 WpÜG
Die in den technischen Klauseln enthaltene Vereinbarung über die Abstimmung zu wichtigen Beschlussgegenständen der E kann rechtlich nicht als Einzelfallausnahme gemäß § 30 Abs. 2 S. 1 HS. 2 WpÜG behandelt werden.
406Sachliche Voraussetzungen
Bei der gebotenen formalen Betrachtungsweise ist die Einzelfallausnahme anzunehmen, wenn sich die Stimmrechtsausübung auf einen isolierten Beschlussgegenstand in der Hauptversammlung der Gesellschaft bezieht (BGH, Urteil vom 18. September 2006 – II ZR 137/05 –, juris Rz. 20 „WMF“ mit weiteren Nachweisen; Steinmeyer in: Steinmeyer/Häger, WpÜG, § 30 Zurechnung von Stimmrechten, Rz. 60). Das gilt selbst dann, wenn es sich dabei um einen Beschlussgegenstand mit nachhaltiger und dauerhafter Auswirkung auf die Gesellschaft handelt (Steinmeyer in: Steinmeyer/Häger, WpÜG, § 30 Zurechnung von Stimmrechten, Rz. 60; Diekmann, in: Baums/Thoma, WpÜG § 30 Rz. 75a; von Bülow, in: KölnKomm, WpÜG § 30 Rz. 236). Ein abgestimmtes Verhalten im Einzelfall liegt selbst dann noch vor, wenn es sich um eine Vielzahl von einzelnen Fällen handelt. Erst ab einer gewissen Beständigkeit bei Vorliegen eines Fortsetzungszusammenhangs kann es zu einer Zurechnung kommen (Steinmeyer in: Steinmeyer/Häger, WpÜG, § 30 Zurechnung von Stimmrechten, Rz. 60). Maßgebend ist demgegenüber nicht, ob das abgestimmte Verhalten nur punktuell oder auf eine bestimmte zeitliche Intensität angelegt ist (Steinmeyer in: Steinmeyer/Häger, WpÜG, § 30 Zurechnung von Stimmrechten, Rz. 60; Diekmann, in: Baums/Thoma, WpÜG § 30 Rz. 75a; a.A.: OLG München, Urteil vom 27.04.2005 - 7 U 2792/04 – juris, AG 2005, 482, 483; Casper/Bracht, NZG 2005, 839 f.).
409In der Literatur wird eine Einzelfallausnahme ferner dann in Betracht gezogen, wenn die Vereinbarungen über die Ausübung des Stimmrechtes im Zusammenhang mit einem Anteilskaufvertrag lediglich ein Geschäftsjahr betreffen oder wenn es um eine Vertragsabwicklung mit nur punktuellen Nebenpflichten geht. Ein Einzelfall soll aber ausgeschlossen sein, wenn der Verkäufer nicht das gesamte Paket verkauft und für die ihm verbleibenden Aktien langfristige Bindungen eingeht (Frhr. von Falkenhausen, NZG 2014, 1368, 1371).
410Vortrag der Parteien zur Einzelfallausnahme
Die Beklagte begründet ihre Rechtsansicht zur Einzelfallausnahme mit dem Argument, dass die Ursprungsvereinbarung und die Nachtragsvereinbarung lediglich der Sicherstellung des Vertragsvollzuges dienten. Regelungen zur Vollzugssicherung von Aktienkaufverträgen stellten Vereinbarungen im Einzelfall im Sinne von § 30 Abs. 2 S. 1 HS. 2 WpÜG dar. Die zeitliche Reichweite der technischen Klauseln stehe der Annahme eines Einzelfalls nicht entgegen. Die Beklagte bezieht sich dabei auf die Aussage von von Bülow (von Bülow, in: KK-WpÜG, 2. Aufl. 2010, § 30 Rz. 292; ebenso Derlin, BB 2014, 2450, 2456):
413„… eine Stimmrechtszurechnung nach Abs. 2 regelmäßig daran scheitere, dass die Abstimmung im Hinblick auf die Beschränkung der Pflichten des Verkäufers zu Sicherstellung eines vertragsgemäßen Vollzugs des Kaufvertrages lediglich im „Einzelfall“ erfolgt und daher der Ausnahmetatbestand des Abs. 2 S. 1 HS 2 vorliegt. Dies gilt unabhängig davon, ob eine eventuelle Stimmbindung auf lediglich eine einzige Hauptversammlung der Zielgesellschaft beschränkt wird oder zeitlich unbegrenzt bis zum Vollzug der Transaktion gilt. Denn auch in diesem Fall würde es sich noch um eine Vereinbarung in einem Einzelfall, nämlich allein im Hinblick auf die Durchführung des geschlossenen Kauf- oder Optionsvertrags handeln.“
414Erst recht sei von einem Einzelfall auszugehen, wenn bestimmungsgemäß noch nicht einmal eine Hauptversammlung von der vertraglichen Vereinbarung über die Ausübung von Stimmrechten betroffen sei. Einen konkreten Umwandlungs-, Satzungsänderungs- oder Dividendenbeschluss, auf den sich die technischen Klauseln hätten auswirken können, habe es vorliegend nicht geben. Entsprechende Beschlüsse seien während der Geltungsdauer der technischen Klauseln auch nicht beabsichtigt oder zu erwarten gewesen. Das zeige, dass lediglich eine rein theoretische Missbrauchsmöglichkeit der Post ausgeschlossen werden sollte.
415Der Einzelfallcharakter der technischen Klausel der Ursprungsvereinbarung folge auch aus einem argumentum a maiore ad minus. Hätte bei der E ein bestimmter Beschluss zu Satzungsänderungen, Umwandlungen oder Dividendenzahlungen angestanden, über den sich die Post und die Beklagte verständigt hätten, wäre eine entsprechende Vereinbarung unzweifelhaft als Einzelfallregelung im Sinne von § 30 Abs. 2 S. 1 HS. 2 WpÜG einzustufen gewesen.
416Die Kläger sind der Meinung, dass die Interessenschutzklauseln der Ursprungs- und Änderungsvereinbarung sowie der Verpfändungsvereinbarungen nicht auf die Regelung eines Einzelfalls gemäß § 30 Abs. 2 S. 1 HS. 2 WpÜG beschränkt gewesen seien. Denn die entsprechenden Klauseln beanspruchten Geltung jeweils für einen Zeitraum von mehreren Jahren und damit letztlich für eine unbestimmte Zahl von ordentlichen und außerordentlichen Hauptversammlungen der E.
417Materielle Betrachtung der Beklagten
Der Rechtsauffassung der Beklagten kann nicht gefolgt werden. Letztlich vertritt die Beklagte unter Berufung auf von Bülow einen materiellen Ansatz, dem aus bereits geschilderten Gründen nicht gefolgt werden kann. Die materielle Sichtweise der Beklagten ergibt sich daraus, dass nicht die Anzahl der möglichen abgestimmten Stimmrechtsausübungen betrachtet wird, sondern der Anteilskaufvertrag, dessen technische Klausel sich unstreitig über mehr als 5 Monate erstreckte. Der Anteilskaufvertrag gemäß der Ursprungsvereinbarung ist nach der Ansicht der Beklagten die materielle Klammer, die sämtliche Abstimmungsvorgänge innerhalb des relevanten Zeitraums zu einem einheitlichen Einzelfall machen.
420Formale Betrachtung maßgebend
Maßgebend ist die formale Betrachtung des Einzelfalls, bezogen auf die Häufigkeit des Abstimmungsverhaltens (BGH, Urteil vom 18. September 2006 – II ZR 137/05 –, juris Rz. 20 „WMF“ mit weiteren Nachweisen). Für eine formale Bestimmung des Einzelfalls spricht nicht nur der Wortlaut der Norm, sondern auch der Aspekt der Rechtssicherheit (BGH, Urteil vom 18. September 2006 – II ZR 137/05 –, juris Rz. 21 „WMF“). Einzelfallausnahmen sind daher in erster Linie bei punktuellen Absprachen zu Beschlussgegenständen anzunehmen, nicht aber bei generellen Absprachen zu bestimmten Beschlussgegenständen in unbestimmter Anzahl von Hauptversammlungen bzw. Beschlussgegenständen.
423Geltung für künftige Hauptversammlungen mit unbegrenzter Zahl von Beschlussgegenständen
Die technischen Klauseln ermöglichen abgestimmte Stimmrechtsausübungen zu einer nicht eingrenzbaren Anzahl von Beschlussgegenständen, nämlich zu sämtlichen Satzungsänderungen, Umwandlungen und Dividendenzahlungen. Dabei ist völlig unerheblich, ob ein abgestimmtes Verhalten zu diesen Beschlussgegenständen zu erwarten war oder ob tatsächlich Stimmrechte des Dritten im Einvernehmen mit dem Bieter ausgeübt wurden. Insofern ist nicht von Belang, ob innerhalb der Geltungsdauer der technischen Klauseln eine ordentliche Hauptversammlung der Zielgesellschaft zu erwarten war; vorliegend stand die ordentliche Hauptversammlung der E im April 2009 an. Entscheidend ist, dass eine Vereinbarung über die Ausübung von Stimmrechten jedenfalls Kontrolle für den Fall ermöglicht, dass es zu einer Hauptversammlung kommt. Auch die Beklagte hat nicht ausgeschlossen, dass während der Geltungsdauer der technischen Klauseln die Einberufung einer außerordentlichen Hauptversammlung der E möglich gewesen wäre, etwa zur Durchführung von Kapitalerhöhungen oder Auszahlung von Sonderdividenden u. a. Die Beklagte selbst hätte auf der Basis von § 9.1a (iv) bzw. 10.1 (iv) der Verträge sogar von der Post die Einberufung einer außerordentlichen Hauptversammlung und die Ansetzung diverser Tagesordnungspunkte fordern können, soweit diese Maßnahmen erforderlich sind, um die Transaktionen nicht zu behindern, zu verhindern oder zu verzögern.
426Kein Einzelfall bei materieller Sichtweise
Selbst bei einer ‒ zu Argumentationszwecken unterstellten ‒ materiellen Sichtweise stünde der Annahme eines Einzelfalls für die in den technischen Klauseln vorgesehenen Zustimmungsvorbehalte hinsichtlich der Stimmrechtsausübung der Post entgegen, dass sie nicht das gesamte Paket verkauft hat und für die bei ihr verbliebenen Aktien langfristige Bindungen eingegangen ist (Frhr. von Falkenhausen, NZG 2014, 1368, 1371). Der Anteilskaufvertrag könnte als Einzelfallausnahme überhaupt nur dann gelten, wenn die zu seinem Schutz vorgesehenen Rechte des Käufers vertragsadäquat sind, d.h. sich auf die Werterhaltung bzw. Erfüllung des gekauften Gegenstandes, hier ein Anteilspaket von 29,75 %, beziehen. Eine überschießende Rechtsgewährung rechtfertigt hingegen keine Einzelfallausnahme von der gewährten Einflussnahme auf die Stimmrechtsausübung des Aktionärs.
429Zeitliche Geltung der technischen Klausel § 9.1a der Ursprungsvereinbarung
Die zeitliche Geltung der technischen Klausel in der Ursprungsvereinbarung von mehr als fünf Monaten führt bereits zu einer Zurechnung gemäß § 30 Abs. 2 S. 2 1. Alt. WpÜG.
432Geltungsdauer von mehreren Monaten ausreichend
Wie bereits ausgeführt worden ist, kommt es auf die Geltungsdauer der Vereinbarung über die Ausübung von Stimmrechten der Zielgesellschaft nicht entscheidend an. Denn ein Zusammenwirken zur dauerhaften und erheblichen Änderung der unternehmerischen Ausrichtung ist insofern nicht erforderlich, wie ausgeführt worden ist. Entscheidend ist, dass die Stimmrechtsausübungsvereinbarung den Bieter, wenn auch nur für einen überschaubaren Zeitraum, in die Lage versetzen, gesellschaftsrechtlichen Einfluss in der Zielgesellschaft und damit letztlich Kontrolle auszuüben. Die Gefahren, die von der Kontrolle durch einen Aktionär auf die Zielgesellschaft für die anderen Aktionäre ausgehen, können sich auch bereits bei einer Kontrollausübung von mehreren Monaten realisieren. Das gilt erst recht, wenn ohnehin eine zeitlich gestreckte Mehrheitsübernahme geplant und deren Realisierung letztlich bereits gesichert ist.
435Geltungsdauer bis zum Abschluss aller Transaktionen der Ursprungsvereinbarung
Nach dem Vortrag der Parteien kann unabhängig davon auch nicht davon ausgegangen werden, dass die technische Klausel nach § 9.1a der Ursprungsvereinbarung lediglich auf eine Geltungsdauer von gut 5 Monaten bis zum Vollzug des erworbenen Anteilspaket i.H.v. 29,75 % angelegt war. Nach dem Akteninhalt ist vielmehr die Annahme berechtigt, dass diese Klausel bis zum Abschluss sämtlicher darin aufgeführten Transaktionen Gültigkeit haben sollte. Das schließt sowohl das erworbene Anteilspaket i.H.v. 29,75 % ein als auch die für spätere Zeitpunkte vorgesehenen Kauf- und Verkaufsoptionen.
438(1) Vortrag der Parteien
439(a) Beklagte
440Nach dem Vortrag der Beklagten sei Closing Date nach der Definition der Ursprungsvereinbarung der Tag gewesen, an dem folgende Handlungen vollzogen sind:
441die Übereignung der mit der Ursprungsvereinbarung verkauften 29,75 % E-Aktien;
die Bezahlung des Kaufpreises und
die Dokumentation beider Vorgänge in einem gemeinsamen Protokoll.
Die Ausübung der Optionen oder die Übertragung von Aktien aus der Pflichtumtauschanleihe seien nicht Gegenstand des Closings gewesen. Das ergebe sich für die Ursprungsvereinbarung auch aus der ad hoc-Mitteilung der Beklagten vom 12. September 2008, in der diese mitgeteilt habe, dass der Vollzug der Erwerbsvereinbarung im 1. Quartal 2009 erfolgen soll (Anlage B5). Eine inhaltsgleiche ad hoc-Mitteilung sei auch von der Post veröffentlicht worden (Anlage B36).
446Closing Date der Nachtragsvereinbarung sei nach der Definition der Tag gewesen, an dem sämtliche in der Nachtragsvereinbarung vorgesehene Vollzugshandlungen (so genannte „Closing Actions“) vorgenommen wurden. Zu den dort aufgeführten Vollzugshandlungen zählten insbesondere die Durchführung einer Sachkapitalerhöhung bei der Beklagten, die Zeichnung der ausgegebenen Aktien durch die Post gegen Einbringung von 50 Mio. E- Aktien und die Begebung der Pflichtumtauschanleihe an die Beklagte durch die Post gegen Zahlung des Ausgabepreises. Der Vollzug der Pflichtumtauschanleihe oder die Ausübung der in der Nachtragsvereinbarung vorgesehenen Optionen seien dagegen keine Vollzugshandlungen und damit keine Voraussetzungen für das Closing gewesen. Sämtliche am Closing Date vorzunehmende Vollzugshandlungen seien am 25. Februar 2009 vorgenommen worden. Dies sei von den Parteien der Nachtragsvereinbarung in einem gemeinsamen Protokoll am selben Tag festgehalten worden. Der Vorstand der Post, Herr Dr. L, habe in der Zeugenvernehmung vor dem OLG Köln glaubhaft bestätigt, dass das Closing spätestens auf den 27. Februar 2009 habe fallen und die technische Klausel danach keine Wirkung mehr habe entfalten sollen. Tatsächlich sei das Closing auf den 25. Februar 2009 gefallen. Das stimme überein mit den ad hoc-Mitteilungen der Beklagten und der Post vom 14. Januar 2009, in denen angekündigt worden sei, dass das Closing Ende Februar 2009 erfolgen solle (Anl. B8, B7 30). Zugleich sei mitgeteilt worden, dass der Vollzug der Pflichtumtauschanleihe und die Ausübung der Option erst 3-4 Jahre nach dem Closing stattfinden sollten. Es könne nicht unterstellt werden, dass zwei anwaltlich beratene DAX-Unternehmen nach Abstimmung mit der BaFin wiederholt übereinstimmend falsche ad hoc-Mitteilungen veröffentlicht und der Vorstandsvorsitzende der Post eine falsche Aussage vor Gericht getätigt haben.
447Nachdem in der letzten mündlichen Verhandlung der Vortrag der Parteien zum Closing der Ursprungs- und Änderungsvereinbarung und damit die Geltungsdauer der technischen Klauseln diskutiert worden ist, wobei den Parteien erläutert worden ist, dass die Ausführungen der Beklagten zum Closing bislang ohne Tatsachenkern seien, da der Wortlaut der Vereinbarungen zum Closing nicht mitgeteilt worden sei, sondern lediglich auf eine nicht näher erläuterte rechtliche Würdigung der Beklagten beruhten, die unter Beweis gestellt worden sei, hat die Beklagte in dem nachgelassenen Schriftsatz vom 3. März 2016 weitere Auszüge der Nachtragsvereinbarung zur Definition des Closing Date vorgelegt und erläutert. Die Beklagte hat dazu erklärt, dass sich die Aufgliederung der Closing Events in vier Unterabschnitte (Unterabschnitte 5.6. A bis 5.6. D) dadurch erkläre, dass die endgültige Transaktionsstruktur bei Abschluss der Nachtragsvereinbarung noch nicht festgestanden habe. Namentlich habe nicht feststanden, ob der Vollzug der Nachtragsvereinbarung durch den Kauf- und Verkauf der 50 Mio. E-Aktien („Sales Shares“) erfolgen würde, oder ob diese Aktien als Sacheinlage im Wege einer Kapitalerhöhung bei der E2 eingebracht werden würden. Dementsprechend differenziert seien die Closing Events ausgestaltet gewesen. Neben einer Reihe von Closing Events, die in beiden Fällen anwendbar gewesen seien (Unterabschnitt 5.6), habe es bestimmte Closing Events gegeben, die nur im Falle eines Vollzugs durch den Kauf und Verkauf der 50 Mio. E-Aktien anwendbar waren (Unterabschnitt 5.6. A, „Sale and Purchase Structure“), und solche, die nur im Falle der Kapitalerhöhungsvariante Anwendung finden sollten (Unterabschnitt 5.6. B, „Aquirer Share Capital Increase Structure“). Für den Fall, dass zunächst eine Partei die Kapitalerhöhungsvariante gewählt hätte, und die Beklagte daraufhin fristgerecht den förmlichen Vollzug durch den Kauf und Verkauf der Aktien verlangt hätte (so genannte „Cash Settelment Notice“) erkläre Unterabschnitt 5.6. C die Closing Events der Unterabschnitte A und B für anwendbar. Die in Abschnitt 5.6 für die jeweilige Variante vorgesehenen Closing Events seien für Zwecke der Definition des Closing Date enumerativ und abschließend. Das ergebe sich daraus, dass die Definition des Closing Date in Abschnitt 2.3 für die Bestimmung der Closing Events abschließend auf Abschnitt 5.6 verweise. In keiner Variante sei der Vollzug der Pflichtumtauschanleihe oder der Erwerb von Aktien unter den Optionen ein Closing Event gewesen.
448Nachdem die Post die Kapitalerhöhungsvariante (Variante B) gewählt habe und von der Beklagten keine Cash Settlement Notice abgegeben worden sei, seien die relevanten Closing Events ausschließlich die in den Unterabschnitten B und D genannten Ereignisse, namentlich:
449ein Kapitalerhöhungsbeschluss der Beklagten (5.6.B1);
die Zeichnung der Kapitalerhöhung durch die Post (5.6.B2);
die Stellung von Barsicherheiten durch die Beklagte an die Post (5.6.B4);
die Einräumung des Pfandrechtes an den bei der Post verbleibenden Aktien zur Absicherung von Rückzahlungsrechten der Beklagten (5.6.B5);
die Bestellung eines Pfandrechts im Hinblick auf die Pflichtumtauschanleihe (5.6.B1);
die Ausgabe und der Erwerb der Pflichtumtauschanleihe durch die Post bzw. die Beklagte (5.6.B2);
die Aufhebung von Pfandrechten aus der Klarstellungsvereinbarung;
eine Zinszahlung der Beklagten an die Post (5.6.D6);
die Freigabe von im Rahmen der Klarstellungsvereinbarung gewährten Barsicherheiten (5.6.B5) und
die Ausfertigung eines Closing-Protokolls (5.6.D7).
1
461Alle nach Abschnitt 5.6 vorzunehmenden Vollzugshandlungen der Nachtragsvereinbarung seien vor dem 25. Februar 2009 ausgeführt worden. Da die technischen Klauseln nur bis zum Closing Date vereinbart gewesen seien, seien sie folglich am 25. Februar 2009 außer Kraft gesetzt worden.
4622
463(b) Kläger
464Die Kläger behaupten, dass die technischen Klauseln der Ursprungs- und Änderungsvereinbarung zeitlich unbefristet gewesen seien bis zum Closing der Gesamttransaktion mit sämtlichen Einzelmaßnahmen. Die zeitliche Beschränkung auf einen Closing Date im Februar 2009 werde bestritten. Die Beklagte habe die Vertragsvereinbarungen zum Closing der Ursprungs- und Änderungsvereinbarung noch immer nicht vorgelegt, obwohl bereits das OLG Köln in der mündlichen Verhandlung am 24. Februar 2016 mitgeteilt habe, dass der Wortlaut der Closing-Klauseln mitgeteilt werden müsse, um diese nachvollziehen zu können.
465Es sei davon auszugehen, dass der Begriff „Closing Date“ an anderer Stelle des kompletten Vertragswerkes definiert worden sei. Das sei bei angelsächsischer Vertragsgestaltung, wie vorliegend, absolut üblich. Die Beklagte habe sich bislang allerdings entgegen § 142 ZPO geweigert, die entsprechenden Vertragsunterlagen vorzulegen. Das prozessuale Verhalten der Beklagten beweise geradezu, dass der Vortrag der Kläger zutreffe, ansonsten wäre die Definition zum „Closing Date“ vorgelegt worden, um den eigenen Vortrag zu untermauern.
466Unabhängig von der Tatsache, dass der Begriff des Closings in der Ursprungsvereinbarung nicht hinreichend erläutert worden sei, stehe fest, dass selbst nach dem Vortrag der Beklagten ein exakter Termin für das Closing nicht bestimmt worden sei. Bekannt gemacht worden sei ein Closing für das erste Quartal 2009. Je nach Umständen hätte dies auch ein späterer Termin sein können. Maßgebend für die zeitliche Geltung der technischen Klausel in der Ursprungsvereinbarung sei die Sicht am Tag des Vertragsschlusses am 12. September 2008.
467Tatsächlich seien die technischen Klauseln unbefristet und folglich bis zum Vollzug der letzten Transaktion am 27. Februar 2012 gültig gewesen. Eine Beschränkung ihrer Wirkung auf einen Vollzug (Closing) bis zum 25. Februar 2009 ergebe sich aus den Klauseln nicht. Im Normalfall sei ein Vertragsvollzug auf sämtliche Teilschritte der Gesamtkonzeption bezogen. Die Beschränkung des Closings auf Teilaspekte, hier der Vollzug der Übertragung von E-Aktien in einem Umfang von 29,75 %, sei willkürlich. Für diese Interpretation spreche sowohl der Wortlaut der Klauseln („the transactions contemplated under this agreement“) als auch ihr Zweck. Dieser habe darin bestanden, Eingriffe der Post in E-Aktien zwischen Kauf und Vollzug zu verhindern. Dieses Risiko habe bis zum endgültigen Abschluss der Änderungsvereinbarung durch die Übertragung sämtlicher Aktien einschließlich Zwangsumtauschanleihe und Optionen bestanden, zumal die Beklagte bereits den Kaufpreis vorab gezahlt habe. Es wäre geradezu widersinnig gewesen, lediglich den Erwerb des Anteilspaketes i.H.v. 29,75 % durch die technische Klausel abzusichern, aber die weiteren Transaktionen trotz der Vorleistung der Beklagten nicht durch eine Interessenschutzklausel abzusichern. Der in den Interessenschutzklauseln zu § 9.1a (iv), § 10.1a (iv) angesprochene Zustimmungsvorbehalt der Beklagten zu Dividendenbeschlüssen sei überhaupt nur sinnvoll bei seiner Geltung über den 25. Februar 2009 hinaus.
468Soweit der Zeuge Dr. L in dem Parallelverfahren ausgesagt habe, dass die technischen Klauseln nur in einem Übergangszeitraum vom 14. Januar 2009 bis zum 25. Februar 2009 gelten sollten, sei dies dem Zeugen von den Prozessbevollmächtigten der Beklagten souffliert worden. Derartiges lasse sich den vorgelegten Vertragstexten nicht entnehmen. Das Closing sei in den Vertragswerken zeitlich nicht konkretisiert worden. Daher müsse davon ausgegangen werden, dass sich das Closing auf die gesamte Transaktion einschließlich des Ankaufs bzw. Verkaufs von Aktien aus den Call-/Put-Optionen sowie der Umwandlung von Aktien aus der Pflichtumtauschanleihe erstreckt.
469(2) Geltungsdauer von § 9.1a der Ursprungsvereinbarung zeitlich unbestimmt
470Im Ergebnis ist in Übereinstimmung mit der Rechtsauffassung der Kläger davon auszugehen, dass § 9.1a der Ursprungsvereinbarung nicht zeitlich begrenzt war bis zu einem Vertragsvollzug im Februar 2009.
471(a) Wortlaut gemäß § 9.1a (iv) der Ursprungsvereinbarung
472Bereits der Wortlaut des Zustimmungsvorbehalts gemäß § 9.1a (iv) der Ursprungsvereinbarung deutet darauf hin, dass sich die Zustimmungsvorbehalte auf sämtliche Transaktionen der Ursprungsvereinbarung beziehen einschließlich der Optionen. In der vorgenannten Vertragsklausel werden Maßnahmen oder Handlungen der Post, die den Wert der „Transaktionen“ erheblich mindern, von der Zustimmung der Beklagten abhängig gemacht. Die Verwendung des Plurals deutet darauf hin, dass sämtliche Transaktionen von der technischen Klausel umfasst werden. Der Einwand der Beklagten, der Plural beziehe sich nicht auf die Dauer der technischen Klausel, sondern definiere lediglich den Inhalt der Verpflichtung der Post, überzeugt nicht. Denn wenn inhaltlich sämtliche Transaktionen der Ursprungsvereinbarung erfasst sein sollten, d.h. auch die Optionen, ist es naheliegend, die Gültigkeit der technischen Klausel bis zur Ausübung und Erfüllung der Optionen anzunehmen, anstatt von einer zeitlich begrenzten Gültigkeit der der technischen Klausel bis zur Übertragung des Anteilspakets i.H.v. 29,75 % auszugehen.
473(b) Sinn und Zweck der technischen Klauseln
474Der Sinn der technischen Klauseln indiziert ebenfalls eine Geltungsdauer von § 9.1a der Ursprungsvereinbarung bis zum Abschluss der darin geregelten Gesamttransaktion einschließlich Optionen. Denn das von der Beklagten artikulierte Sicherungsinteresse aus der beabsichtigten Mehrheitsübernahme bei der E erstreckte sich auf das vereinbarte Gesamtinvestment der Beklagten, nicht nur auf das erste Anteilspaket von 29,75 %. Denn sämtliche Transaktionen der Ursprungsvereinbarung waren bereits abschließend verhandelt. Insofern hätte die Beklagte nach der Übernahme des Anteilspakets von 29,75 % möglicherweise Hauptversammlungsbeschlüsse, die eine Mehrheit der abgegebenen Stimmen von 75 % erfordern, verhindern können. Sie hätte mit diesem Anteil allerdings nicht verhindern können, dass die Post in Einvernehmen mit den übrigen Aktionären Hauptversammlungsbeschlüsse der E mit einfacher Mehrheit herbeiführt, die sich auf den Wert der bereits mit der Ursprungsvereinbarung erworbenen E-Aktien auswirken können.
475(c) Vortrag der Beklagten zum Closing der Ursprungsvereinbarung unzureichend
476Der Vortrag der Beklagten zum Closing der Ursprungsvereinbarung einschließlich aller Subtexte genügt nicht prozessualen Anforderungen. Das hat zur Folge, dass in Übereinstimmung mit der Vortrag der Kläger davon auszugehen ist, dass sich das Closing der Ursprungsvereinbarung auf sämtliche Vertragselemente bezieht, d.h. auch auf den Vollzug der zu einem späteren Zeitpunkt auszuübenden Optionen. Zwar ist der Vortrag der Kläger insoweit rudimentär, da sie die Ursprungsvereinbarung einschließlich sämtlicher Nebenvereinbarungen zwischen der Beklagten und der Post nicht kennen. Die Kläger müssen sich daher weitgehend auf Behauptungen bzw. Vermutungen beschränken. Bei dieser prozessualen Sachlage oblag der Beklagten eine sekundäre Darlegungslast, der sie nicht hinreichend nachgekommen ist.
477(d) Keine Erläuterung des Wortlauts des Closings in der Ursprungsvereinbarung
478Die vorstehenden detaillierten Ausführungen der Beklagten beziehen sich ausdrücklich nur auf Vertragselemente der Nachtragsvereinbarung zum Closing. Zu den entsprechenden Vertragselementen der Ursprungsvereinbarung, auf die es für die Beurteilung der darin enthaltenen technischen Klausel ankommt, hat die Beklagte hingegen keine vergleichbaren detaillierten Aussagen unter Darlegung des Wortlauts der einschlägigen Vorschriften gemacht, auch nicht im nachgelassenen Schriftsatz. Es ist nicht selbstverständlich und wird von der Beklagten auch nicht behauptet, dass die Vereinbarungen zum Closing in beiden Vertragswerken identisch sind. Im Gegenteil trägt die Beklagte zu den Voraussetzungen des Closings in der Ursprungsvereinbarung interpretatorisch vor, dass lediglich drei Vollzugshandlungen gefordert gewesen seien, nämlich die Bezahlung des Kaufpreises, die Übereignung der E-Aktien und die Protokollierung beider Vorgänge. Bei diesem Vortrag fällt schon auf, dass das Vollzugsdatum nach der Ursprungsvereinbarung nicht datumsmäßig bestimmt war, sondern von dem Eintritt diverser Bedingungen abhängig war. Daher war bei Abschluss der Ursprungsvereinbarung unklar, für welchen Zeitraum die technischen Klauseln wirksam sind.
479Dem steht nicht entgegen, das die Beklagte und die Post in ihren ad hoc-Mitteilungen einen Vollzug für das erste Quartal 2009 angekündigt haben. Denn diese Aussage bezieht sich nur auf das erworbene Aktienpaket i.H.v. 29,75 %. Das schließt aber gerade nicht aus, dass das gemeinsam vereinbarte und dokumentierte Verständnis des Closing Date der Ursprungsvereinbarung ein anderes war, nämlich bezogen war auf die gesamte Transaktion einschließlich der vereinbarten Optionen. Zudem kann es sich bei den ad hoc-Mitteilungen auch um Absichtserklärungen gehandelt haben. Auf der Grundlage des Vortrags der Beklagten können weder das Gericht noch die Kläger beurteilen, ob der ergebnisbezogene und interpretatorische Vortrag der Beklagten zum Closing der Ursprungsvereinbarung zutrifft. Die Kenntnis des genauen Wortlauts der Closing-Klauseln ist dazu zwingend erforderlich, wie bereits das OLG Köln in der Parallelsache zum Ausdruck gebracht hat.
480(e) Sekundäre Darlegungslast der Beklagten
481Die Beklagte hat im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast die Pflicht, zumindest den Wortlaut sämtlicher Vertragselemente zum Closing der Ursprungsvereinbarung darzulegen, wie es auch bezüglich der Nachtragsvereinbarung geschehen ist. Die Auferlegung einer sekundären Darlegungslast für die nicht beweisbelastete Partei findet ihre Rechtfertigung darin, dass der primär darlegungsbelastete Anspruchsteller außerhalb des von ihm vorzutragenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände besitzt, während der Anspruchsgegner die wesentlichen Tatsachen kennt oder unschwer in Erfahrung bringen kann und es ihm zumutbar ist, nähere Angaben hierzu zu machen. Eine sekundäre Darlegungslast besteht aber nicht, soweit für die primär beweisbelastete Partei eine weitere Sachaufklärung möglich und zumutbar ist (BGH, Beschluss vom 05. Januar 2017 – VII ZR 184/14 –, Rz. 19, juris). Ein Geheimhaltungsinteresse der nicht darlegungs- und beweisbelasteten Partei ist bei der Entscheidung, ob sie eine sekundäre Darlegungslast trifft, zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 19. Mai 2016 – III ZR 274/15 –, juris Rz. 40).
482(f) Keine Gründe für die Vorenthaltung des Wortlauts der Closing-Bestimmungen
483Vor diesem Hintergrund ist festzustellen, dass die Beklagte hinsichtlich des Wortlauts der vertraglichen Elemente in der Ursprungsvereinbarung zum Closing sekundär darlegungsbelastet ist und sie dieser prozessualen Pflicht nicht nachgekommen ist. Zwar hat die Beklagte bezüglich aller Vertragsbestandteile der Ursprungs- und Nachtragsvereinbarung dargelegt, dass diese geheimhaltungsbedürftige Tatsachen enthalten. Aus diesem Grund hat die Beklagte auch die gemäß § 142 ZPO beantragte Herausgabe sämtlicher vertraglicher Urkunden verweigert. Es muss nicht entschieden werden, ob die generelle Weigerung der Beklagten auf Herausgabe der Vertragsunterlagen wegen Geheimhaltungsbedürftigkeit berechtigt ist. Denn für die Kammer steht außer Frage, dass bezüglich der Vertragstexte zum Closing der Ursprungsvereinbarung keine Geschäftsgeheimnisse oder sonst geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, deren Offenlegung der Beklagten schaden könnte, betroffen sind. Die Beklagte hat das selbst nicht behauptet. Es ist auch nicht erkennbar, wie der Wortlaut der Absprachen zum Closing Geheimhaltungsinteressen der Beklagten berühren könnte. Die Preiskalkulation, die Bewertung der gekauften Anteile oder das Know how sind insofern nicht betroffen. Es geht um Klauseln technischer Natur. Dass der Beklagten die Darlegung des Wortlauts der Closing-Klauseln in der Ursprungsvereinbarung möglich und zumutbar war, ergibt sich zwangsläufig auch daraus, dass sie sich detailliert und prozessual ausreichend im nachgelassenen Schriftsatz zu dem Wortlaut der Closing-Klauseln in der Nachtragsvereinbarung geäußert hat. Dieser Vortrag wäre auch für die Closing-Klauseln der Ursprungsvereinbarung erforderlich und der Beklagten auch möglich und zumutbar gewesen.
484Kenntnis bzw. fahrlässige Unkenntnis von Kontrollerwerb
Die Beklagte kann nicht damit gehört werden, dass, soweit unzutreffend unterstellt würde, dass die Beklagte im Februar 2009 oder früher die Kontrolle über die E erworben hat, dies keine Pflicht zur Abgabe eines Übernahmeangebots gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG begründet hätte. Die Beklagte habe keine Kenntnis vom Kontrollerwerb im Sinne von § 29 Abs. 2 WpÜG gehabt und hätte diese auch nicht haben müssen.
487Vortrag der Parteien
(1) Beklagte – keine Kenntnis vom Kontrollerwerb
490Die Beklagte beruft sich darauf, dass sie im Zusammenhang mit der Vorlage eines Pflichtangebotes gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG schuldlos gehandelt habe, da sie zu den komplexen Zurechnungsvorschriften durch sorgfältig ausgewählte und von mit einschlägigen übernahmerechtlichen Fragestellungen ausreichend vertrauten rechtlichen Beiständen beraten worden sei. Ferner seien die Transaktionen mit der BaFin besprochen und von dieser geprüft worden. Aus diesem Grunde habe der Beklagten die Kenntnis eines etwaigen Kontrollerwerbs gefehlt. Dementsprechend habe sich auch nicht die kontrollrechtliche Gefahr verwirklicht, Stimmrechte Dritter auszuüben bzw. eine Änderung der Geschäftspolitik der Zielgesellschaft herbeizuführen.
491(2) Kläger - Verschulden der Beklagten
492Die Kläger sind der Auffassung, dass das Verschulden der Beklagten in Hinblick auf das versäumte Pflichtangebot gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG gemäß § 280 Abs. 1 S. 2 BGB zu vermuten sei. Unabhängig davon ergebe sich das Verschulden der Beklagten aus der Tatsache, dass ihr die Interessenschutzklauseln, die dem Bundesgerichtshof bei seiner Entscheidung nicht vorgelegen hätten, bekannt gewesen seien. Daraus ergebe sich eindeutig eine Zurechnung gemäß § 30 Abs. 2 WpÜG. Die Beklagte sei nicht unerfahren gewesen. Sie verfüge als größte Bank der Welt (nach der Bilanzsumme) über eine kompetente Rechtsabteilung, die in der Lage gewesen sei, die in Betracht kommenden Rechtsvorschriften zu verstehen und daraus zutreffende Schlüsse zu ziehen. Eine abweichende rechtliche Beratung durch Rechtsbeistände der Beklagten werde bestritten, sei aber auch unerheblich.
493Kenntnis des Kontrollerwerbs durch die Ursprungsvereinbarung
(1) Erforderlichkeit der Kenntnis fraglich
496Soweit sich die Beklagte auf die Prüfungsleistung der BaFin sowie auf die Rechtsberatung ihrer anwaltlichen Vertreter beruft, um ihre Kenntnis über die Kontrollerlangung im Sinne von § 29 Abs. 2 WpÜG zu leugnen, ist schon fraglich, ob es für den ergänzenden Erfüllungsanspruch gemäß § 31 Abs. 1 WpÜG im Ergebnis auf ein Verschulden des Bieters ankommt, so die Beklagte, oder ob insofern die Referenzzeiträume für das freiwillige Angebot rückwirkend verlängert werden aufgrund einer objektiv feststellbaren Kontrollerlangung gemäß § 29 Abs. 2 WpÜG, so die Kläger. Diese Frage muss im Ergebnis nicht beantwortet werden, da die Beklagte durch die BaFin-Prüfung sowie die anwaltliche Rechtsberatung in Bezug auf die Kenntnis des Kontrollerwerbs nicht entlastet wird.
497(2) Anforderungen an die Kenntnis bzw. Unkenntnis des Bieters
498Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Prüfung der tatsächlichen und rechtlichen Unkenntnis des Bieters zu dem Kontrollerwerb einem strengen Maßstab unterliegt, auch wenn es sich insoweit nicht um die Regelung eines Verbotsirrtums handelt. Bei der gebotenen strengen Prüfung ist die Behauptung der Beklagten, sie habe die technischen Klauseln trotz Kenntnis der Zustimmungsvorbehalte § 9.1a bzw. § 10.1a in rechtlicher Hinsicht nicht als kontrollbegründend im Sinne von § 29 Abs. 2 WpÜG gewertet, unerheblich, zumal die Beklagte, wie sie selbst eingeräumt hat, übernahmerechtlich nicht unerfahren ist.
499(3) Prüfung durch die BaFin
500Die Beklagte kann sich hinsichtlich der Kenntnis der Kontrollerlangung durch die Ursprungsvereinbarung nicht mit etwaigen Prüfungshandlungen der BaFin exkulpieren.
501Die Beklagte kann sich auf eine Abstimmung mit der BaFin schon deshalb nicht berufen, da deren Prüfung nicht dieselbe Tiefe hat wie die der Zivilgerichte im Rahmen eines Rechtsstreits. Die BaFin prüft das Übernahmeangebot nach § 14 Abs. 2 S. 1 2. Alt., S. 3, § 15 Abs. 1 Nr. 2 WpÜG in einem Zeitraum von 10-15 Werktagen lediglich auf offensichtliche Gesetzesverstöße (BGH, Urteil vom 29. Juli 2014 – II ZR 353/12 –, Juris Rz. 24, BGHZ 202, 180-202).
502Unabhängig davon hat die BaFin keine feststellende Verfügung getroffen, dass keine Kontrolle erlangt wurde. Zwar wird eine (negative) feststellende Verfügung durch die BaFin, dass keine Kontrolle erlangt wurde, für möglich gehalten. Gleichzeitig wird aber zu Recht darauf hingewiesen, dass eine solche Verfügung keine Wirkung inter omnes habe, sodass ein Zivilgericht im Rahmen einer Beschlussanfechtung wegen Verstoßes gegen § 59 WpÜG nicht daran gebunden sei (Steinmeyer in: Steinmeyer/Häger, WpÜG, § 35 Verpflichtung zur Veröffentlichung und zur Abgabe eines Angebots, Rz. 65).
503Da die Beklagte in diesem Rechtsstreit nicht sämtliche Vertragsunterlagen vorgelegt hat, ist schon nicht klar, welche Vertragsunterlagen der BaFin zur Prüfung vorlagen, auch wenn die Beklagte behauptet, dass ihr sämtliche Transaktionsunterlagen vorgelegt wurden einschließlich der Ursprungsvereinbarung. Der Wert der Prüfungsleistung der BaFin kann bei dieser Sachlage nicht beurteilt werden.
504(4) Prüfung durch rechtliche Berater
505Der Vortrag der Beklagten lässt nicht erkennen, dass sie ausdrücklich in der Weise beraten wurde, dass die Transaktionsunterlagen eine Zurechnung der von der Post gehaltenen E-Aktien und damit letztlich auch eine Kontrollerlangung ausschließen. Dies wurde auch nicht unter Beweis gestellt. Die Beklagte hat insofern unscharf formuliert, dass sie und ihre Rechtsberater davon ausgegangen seien, dass die Beklagte erst im Jahr 2012 die Kontrolle über die E erlangt. Es ist auch nicht zwingend und vor dem Hintergrund anwaltlicher Haftung fraglich, dass bzw. ob die anwaltlichen Berater die Beklagte ausdrücklich dahingehend beraten haben, dass die Transaktionsverträge eine Kontrollerlangung ausschließen. Alternativen sind denkbar, insbesondere könnten Hinweise – aus welchen Gründen auch immer – unterlassen bzw. unter Berücksichtigung anwaltlicher Vorsicht auch erteilt worden sein.
506(5) Rechtsabteilung der Beklagten kannte technische Klauseln
507Unstreitig ist folglich lediglich die Tatsache, dass sowohl die Beklagte als auch die Post von Rechtsanwaltskanzleien mit ausgeprägten Kenntnissen des Gesellschafts- und Übernahmerechts vertreten wurden. Allein dieses Faktum kann die Beklagte aber nicht exkulpieren. Die Beklagte verfügte und verfügt unstreitig über eine eigenständige Rechtsabteilung. Transaktionsprozesse, vergleichbar der E-Übernahme, sind der Rechtsabteilung der Beklagten nicht fremd. Die Beklagte hat erklärt, nicht behaupten zu wollen, dass ihre Rechtsabteilung im Übernahmerecht unerfahren sei. Die Beklagte kannte die ausgehandelten Verträge und damit auch die technischen Klauseln, die eine ostentative Absprache über die Ausübung von Stimmrechten der Post aus ihren E-Aktien vorsieht. Selbst wenn sich die Beklagte einschließlich ihrer Rechtsabteilung nicht zu einer klaren rechtlichen Bewertung der Stimmrechtsausübung in den technischen Vereinbarungen in der Lage sah, bestand für sie zumindest Veranlassung, diese Frage an die anwaltlichen Berater weiter zu reichen und deren verbindliche Stellungnahme einzuholen. Ein rechtlich erfahrener Bieter wie die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, blind den anwaltlichen Vertretern vertraut zu haben.
508(6) Eigene Kenntnis der Beklagten
509Die Richtigkeit dieses Standpunkts zeigt sich daran, dass die Beklagte allein schon aufgrund der Existenz der technischen Klauseln Kenntnis hatte bzw. haben musste, Kontrolle auszuüben. Dieses Wissen erfordert keine besondere rechtliche Expertise. Denn der Beklagten war bewusst bzw. musste bewusst sein, dass ihr die Zustimmungsvorbehalte bezüglich der Stimmrechtsausübungen der Post die Macht einräumen, über zahlreiche Beschlussgegenstände der E in unbestimmter Anzahl abschließend zu entscheiden. Damit war der Beklagten auch klar bzw. musste ihr klar sein, dass es sich um eine Vereinbarung über die Ausübung von Stimmrechten im Sinne von § 30 Abs. 2 S. 2 1. Alt. AktG handelt und eine Kontrolle der E möglich war.
510§ 5.1 der Verpfändungsvereinbarungen
512Vereinbarung über die Ausübung der Stimmrechte § 30 Abs. 2 S. 2 1. Alt. WpÜG
§ 5. 1 der Verpfändungsverträge führt ebenfalls zu einer Zurechnung der verpfändeten Aktien wegen eines abgestimmten Verhaltens gemäß § 30 Abs. 2 S. 2 1. Alt. WpÜG (Vereinbarung über die Ausübung von Stimmrechten). Folglich sind ihr die 60 Mio. verpfändeten E-Aktien zur Sicherung der Ansprüche aus der Pflichtumtauschanleihe sowie die weiteren 26.417.432 E-Aktien zur Sicherung der Ansprüche aus der Put-Option bzw. auf Rückzahlung des Cash Collaterals zuzurechnen. Damit hat die Beklagte auch mit Abschluss der Verpfändungsverträge die 30 %-Schwelle gemäß § 29 Abs. 2 WpÜG deutlich überschritten.
515Die Regelungen in § 5.1 der Verpfändungsverträge sind ähnlich formuliert wie die §§ 9.1a, 10.1a der Ursprungs- und Nachtragsvereinbarung. Allerdings sind sie in Hinblick auf die erfassten Beschlussgegenstände weiter gefasst und in Hinblick auf das Ausübungsermessen der Beklagten enger gefasst. Die Stimmrechtsausübung der Post darf danach einerseits nicht die Gültigkeit, Durchsetzbarkeit und die Existenz der Pfandrechte und andererseits nicht den Wert der verpfändeten Aktien wesentlich beeinträchtigen. Dividendenzahlungen sollen erlaubt sein. Beschränkungen auf einzelne Beschlussgegenstände, etwa bezüglich Satzungsänderungen, Strukturänderungen oder Dividendenbeschlüssen, finden sich in § 5.1 der Verpfändungsvereinbarungen hingegen nicht. Dort wird auch kein Zustimmungsvorbehalt formuliert, sondern eine Unterlassungspflicht.
516Im Ergebnis kommt es auf die Unterschiede von §§ 9.1a, 10.1a der Ursprungsvereinbarung und § 5.1 der Verpfändungsvereinbarungen aber nicht an. Denn § 5.1 der Pfandverträge umfasst eine Absprache zur Ausübung der Stimmrechte im Interesse der Beklagten. Sie ist damit in der Lage, ihre unternehmerischen Interessen bei der E zu artikulieren und in Absprache mit der Post zu verwirklichen.
517Umfang und Inhalt der zustimmungsbedürftigen Maßnahmen
519Keine inhaltliche Beschränkung der Beschlussgegenstände
Die Klausel umfasst sämtliche unternehmerischen und gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen, die die Existenz und Durchsetzung der Pfandrechte sowie den Wert der verpfändeten Aktien erheblich beeinträchtigen können. Von einer erheblichen Wertminderung kann bei einem Wertverlust von mehr als 10 % ausgegangen werden. Derartige Wertminderungen können durch zahlreiche Maßnahmen eintreten, etwa durch Kapitalerhöhungen, Kapitalherabsetzungen, Abschluss von Unternehmensverträgen, wichtige Satzungsänderungen, Verschmelzungen/Abspaltungen usw. Selbst die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat kann zu einer erheblichen Wertminderung führen, wenn dadurch zum Ausdruck gebracht würde, dass der Mehrheitsaktionär nicht mehr hinter der Verwaltung der Gesellschaft steht. Folglich umfasst die Klausel im Grundsatz alle wichtigen Stimmrechtsausübungen ohne Einschränkungen. Es ist selbstverständlich, dass auf dieser breiten Basis des Stimmrechtseinflusses die unternehmerische Ausrichtung der Zielgesellschaft dauerhaft erheblich verändert werden kann.
522Erfassung von Dividendenbeschlüssen
(1) Interessenschutzklausel scheitert nicht an etwaigem Dividendenrecht der Post
525Für die Beurteilung eines abgestimmten Verhaltens gemäß § 30 Abs. 2 S. 2 1. Alt. WpÜG kommt es nicht zwingend darauf an, dass nach der § 5.1 der Pfandverträge das Dividendenrecht bei der Post verblieben ist. Dieser Aspekt wäre lediglich von Bedeutung für eine Zurechnung nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 WpÜG (Halten für Rechnung des Bieters). Für ein abgestimmtes Verhalten kommt es jedoch nur auf die Einflussnahme auf die Stimmrechtsausübung eines Dritten an, die die Möglichkeit zur nachhaltigen Beeinflussung der Geschäftspolitik der Zielgesellschaft bietet.
526(2) Post war Dividendenberechtigung nur materiell zugewiesen
527In Übereinstimmung mit der Rechtsauffassung der Kläger ist davon auszugehen, dass § 5.1 der Verpfändungsverträge aber auch Dividendenbeschlüsse erfasst. Richtig ist allerdings, dass nach dem Wortlaut der Klausel Dividendenzahlungen gemäß § 4 der Verpfändungsvereinbarungen nicht untersagt sind. Gemäß § 4.1 der Verpfändungsverträge erstrecken sich die bestellten Pfandrechte auch auf die gegenwärtigen und zukünftigen Rechte zum Erhalt von Dividendenzahlungen, die den Aktien zuzuordnen sind. In § 4. 2 der Verpfändungsvereinbarungen wird klargestellt, dass ungeachtet des Umstandes, dass die Dividendenrechte und gegenwärtigen und zukünftigen Bezugsrechte im Rahmen dieses Vertrages verpfändet sind, die Verpfänderin das Recht hat, eine Dividendenzahlung bezüglich der verpfändeten Aktien zu erhalten und einzubehalten. Aus dem Wortlaut und der Systematik dieser vertraglichen Vereinbarungen folgt lediglich, dass Dividenden zwar grundsätzlich vom Pfandrecht erfasst sind, die Verpfänderin aber dennoch zum Empfang von Dividendenzahlungen materiell berechtigt ist. Das bedeutet aber nicht, dass sie auch in der Abstimmung zu Beschlüssen über Dividendenausschüttungen frei war, wie die Beklagte behauptet. Das bedeutet lediglich, dass der Post trotz der Verpfändung Dividendenzahlungen materiell zugeordnet sind, vorausgesetzt, dass formal entsprechende Dividendenbeschlüsse gefasst wurden. Diese Auslegung entspricht auch dem Sinn und Zweck von § 5.1 der Verpfändungsverträge. Denn die Klausel wollte sicherstellen, dass Wertminderungen der verpfändeten Aktien vermieden werden. Insofern sind die einzelnen Beschlussgegenstände auch nicht detailliert aufgeführt. Dass auch Dividendenbeschlüsse zu Wertminderungen führen können, dürfte unbestritten sein. Deshalb macht es keinen Sinn, dass gerade Dividendenbeschlüsse von § 5.1 der Verpfändungsverträge ausgenommen sein sollen. Folglich garantiert § 5.1 der Verpfändungsverträge der Post keine Entscheidungsfreiheit bei der Stimmausübung zu Dividendenbeschlüssen. Im Gegenteil ist davon auszugehen, dass Dividendenbeschlüsse auch von der Unterlassungsverpflichtung gemäß § 5.1 der Verpfändungsverträge erfasst werden.
528Aktive oder lediglich passive Einflussnahme
Rechtlich unerheblich ist der Einwand der Beklagten, dass § 5.1 der Pfandverträge der Beklagten keine „aktive“ Einflussnahme auf die Stimmrechtsausübung der Post bezüglich E-Aktien ermöglicht habe. Die Beklagte will damit offenbar zum Ausdruck bringen, dass es ihr aufgrund dieser Klausel nicht möglich gewesen wäre, die Geschäftspolitik der E durch ihren Stimmrechtseinfluss auf die Post positiv zu gestalten. Darauf kommt es jedoch nicht an. Denn letztlich kann Kontrolle im Sinne des WpÜG auch durch Verweigerung von Maßnahmen, die den positiven Vorstellungen des Bieters im Hinblick auf eigene Interessen widersprechen, ausgeübt werden.
531Wenn beispielsweise Umgestaltungsprozesse bei der E von der Beklagten als treuwidrige und wertbeeinträchtigende Maßnahmen beurteilt werden, kann und wird das im Zweifel dazu führen, dass sich entweder die Vorstellungen der Beklagten durchsetzen oder Kompromisse verhandelt werden. Entscheidend für eine zur Zurechnung führende Interessenschutzklausel muss sein, dass der Verkäufer bzw. Verpfänder der Aktien seine eigenen Interessen zurückgestellt und den Interessen des Bieters Vorrang einräumt mit der Folge, dass der Bieter Kontrolle über die Zielgesellschaft erhält. Das ist hier der Fall. Die Beklagte konnte zwar nicht schalten und walten wie sie wollte. Das konnte die Post angesichts von § 5.1 der Pfandverträge aber erst recht nicht. Denn ihr gesamtes unternehmerisches Denken bezüglich der E war auf die Werterhaltung der an die Beklagte verpfändeten E-Aktien ausgerichtet, hingegen nicht mehr auf die eigenen Interessen der Post. Die Post hatte bereits sämtliche Ansprüche aus der E-Übernahme realisiert. Es war zu erwarten, dass sich die Post bei allen wichtigen Hauptversammlungsbeschlüssen der E nach den mehr oder weniger artikulierten Interessen der Beklagten richtet, falls diese eine erhebliche Wertbeeinflussung der E-Aktien befürchtet. Die Behauptung, dass die konkrete unternehmerische Entscheidung bezüglich der verpfändeten Aktien bei der Post gelegen habe, kann jedenfalls nicht nachvollzogen werden.
532Nicht lediglich Missbrauchsschutz zwecks Erhaltung des Status quo
Nach diesem Wortlaut geht es entgegen der Darstellung der Beklagten nicht lediglich darum, Missbrauch der Post hinsichtlich der verwendeten E-Aktien abzuwenden, d.h. zu verhindern, dass die Post den Bestand der Pfandrechte in treuwidriger Weise gefährdet oder den Wert der verpfändeten Aktien in treuwidriger Weise erheblich beeinträchtigt. Der Wortlaut von § 5.1 der Pfandverträge geht weit darüber hinaus, treuwidrigen Missbrauch zu verhindern. Die Klausel zielt ab auf die Einräumung von Stimmrechtseinfluss für die Beklagte bezüglich der verpfändeten E-Aktien. Dieser Stimmrechtseinfluss zum Zwecke der Werterhaltung verpfändeter Aktien ergibt sich weder aus der allgemeinen Leistungstreuepflicht noch aus den Grundsätzen des Pfandrechts. Daraus folgt nicht, dass der Verpfänder eigene Interessen oder auch Interessen der Zielgesellschaft hinter denen des Pfandgläubigers zurückstellen muss, um das Fremdinteresse an dem Werterhalt der gekauften Aktien zu sichern. Wenn die Argumentation der Beklagten richtig wäre, hätte sie auf die entsprechenden Klauseln verzichten können.
535Pflichten des Verpfänders von Aktien
Der Verpfänder ist allenfalls zur ordnungsgemäßen Bewirtschaftung des Pfandgegenstandes verpflichtet, nicht aber zu einer optimalen und werterhaltenen Bewirtschaftung im Sinne des Pfandgläubigers. Für den Fall eines drohenden Verderbs bzw. einer erheblichen Wertminderung des Pfandgegenstandes kann der Verpfänder gemäß § 1218 BGB die Rückgabe des Pfandes gegen anderweitige Sicherheitsleistung verlangen. Nach § 1219 Abs. 1 BGB kann der Pfandgläubiger bei einem drohenden Verderb des Pfandes oder einer drohenden wesentlichen Wertminderung des Pfandes dieses öffentlich versteigern lassen. Keinesfalls verleiht das Pfandrecht an Aktien eine gesellschafterähnliche Stellung. Durch die Verpfändung eines Gesellschaftsanteils wird die Stellung des Gesellschafters nicht berührt. Der Pfandgläubiger rückt nicht in die Rechtsstellung des Gesellschafters ein. Durch die Verpfändung erhält der Pfandgläubiger nach § 1277 BGB nur das Recht, sich aus dem Gesellschaftsanteil durch dessen Verwertung nach dem für die Zwangsvollstreckung geltenden Vorschriften zu befriedigen. Der verpfändende Gesellschafter bleibt in der Regel in der Ausübung der Mitgliedschaftsrechte und insbesondere auch in der Ausübung des Stimmrechts frei. Das Pfandrecht gewährt damit dem Pfandgläubiger grundsätzlich keinen Einfluss auf die Gesellschafterstellung des Verpfänders (BGH, Beschluss vom 20. Mai 2016 – V ZB 142/15 –, juris Rz. 14; BGH, Urteil vom 13. Juli 1992 - II ZR 251/91, BGHZ 119, 191, 194 f. (für die GmbH)). Die Vorschrift des § 1258 Abs. 1 BGB, wonach bei einer Verpfändung eines Miteigentumsanteils der Gläubiger die Rechte ausübt, die sich aus der Gemeinschaft der Miteigentümer in Ansehung der Verwaltung der Sache und der Art ihrer Benutzung ergeben, gilt grundsätzlich nicht entsprechend für Gesellschaftsanteile (BGH, Beschluss vom 20. Mai 2016 – V ZB 142/15 –, juris Rz. 14). Eine weitergehende Nebenabrede, die dem Pfandgläubiger eine Position einräumt, die nach ihrer konkreten Ausgestaltung im wirtschaftlichen Ergebnis der Stellung eines Gesellschafters gleich oder jedenfalls nahe kommt, ist eine atypische, von dem gesetzlichen Leitbild der Verpfändung abweichende Ausgestaltung des Pfandrechts (BGH, Beschluss vom 20. Mai 2016 – V ZB 142/15 –, juris Rz. 23).
538Überschießender Charakter von § 5.1 der Verpfändungsverträge
Vor diesem Hintergrund kann § 5.1 der Verpfändungsvereinbarungen nicht als Verschriftlichung der pfandrechtlichen Pflichten der Post aufgefasst werden. Die Klausel ging weit über die Pflichten der Post als Verwenderin und die Rechte der Beklagten als Pfandgläubigerin hinaus und verlieh Letzterer wirtschaftlich die Stellung einer Gesellschafterin, die Einfluss auf die Stimmrechtsausübung der Gesellschaft hat. Die Beklagte hat erklärtermaßen im September 2008 die Übernahme der E bekannt gegeben und aktiv betrieben. Sämtliche Verträge zur Übernahme der E waren bereits abgeschlossen. Die Beklagte hatte ihrerseits bereits ihre Leistungen erbracht und sie trug auch die wesentlichen Chancen und Risiken der E. Vor diesem Hintergrund hatte die Beklagte ein evidentes Interesse, die Unternehmenspolitik der E nachhaltig zu beeinflussen, um den Wert der bereits schuldrechtlich erworbenen und bezahlten Aktien zu sichern. Offenbar gab es auch keine Anpassungs- oder Besserungsklauseln, d.h. die E-Übernahme war abschließend verhandelt. Dementsprechend weit und unbestimmt ist die Klausel gemäß § 5.1 der Pfandverträge gefasst. Es geht nicht um eine sachlich begrenzte Thematik, etwa die Besetzung des Aufsichtsrats, sondern um einen Einfluss auf sämtliche Beschlussgegenstände bei der E in den nächsten Jahren, soweit sie zu einer erheblichen Wertbeeinflussung führen können. Die Nachhaltigkeit der Einflussnahme ergibt sich aus der Tatsache, dass diese von 2009 bis mindestens 2012 andauerte und dann nahtlos in die Übernahme der E überging.
541Interessen der Post
Die Unterordnung der Interessen der Post bezüglich E-Aktien auf der Grundlage von § 5.1 der Verpfändungsvereinbarungen (Interessenschutzklausel) wird auch nicht durch den Umstand infrage gestellt, dass die Post auch nach der E-Übernahme durch die Beklagte noch Eigeninteressen verfolgte, wie sie von der Beklagten dargelegt worden sind. Zur Vermeidung von Wiederholungen kann auf die entsprechenden Ausführungen hinsichtlich der technischen Klauseln verwiesen werden.
544Keine Einzelfallregelung
Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten betrifft die Klausel zu § 5.1 der Pfandverträge auch nicht lediglich eine Abstimmung im Einzelfall im Sinne von § 30 Abs. 2 S. 1 HS. 2 WpÜG, was ein abgestimmtes Verhalten ausschließen würde.
547Der von der Beklagten geforderte langfristige Zusammenschluss zwischen ihr und der Post bezüglich E-Aktien liegt vor. Die Klausel zu Ziffer 5.1 der Pfandverträge ermöglichte eine nachhaltige Einflussnahme der Beklagten auf die E bis zum Jahr 2012. Dabei ist nicht erforderlich, dass bereits zu Beginn eine längerfristig angelegte Strategie von dem Bieter vorgegeben wird. Ausreichend ist insofern, dass eine nachhaltige Einflussnahme des Bieters möglich wird, soweit er diese für erforderlich hält.
548Nicht beizupflichten ist ferner der Auffassung der Beklagten, dass alle Vereinbarungen, die lediglich den Vollzug eines Vertrages über den Erwerb von Aktien sicherstellen sollen, als Vereinbarungen im Einzelfall zu qualifizieren sind. Insofern kann ebenfalls auf die entsprechenden Ausführungen zu den technischen Klauseln verwiesen werden.
549C. Zurechnung gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 2 WpÜG (Halten für Rechnung des Bieters)
Die Ursprungsvereinbarung begründet ferner eine Zurechnung der E-Anteile der Post zur Beklagten gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 2 WpÜG (Halten für Rechnung des Bieters). Denn die Post hielt nach Abschluss der Ursprungsvereinbarung vom 12. September 2008 ihre E-Aktien für Rechnung der Beklagten. Diese konnte insoweit Einfluss auf die Stimmrechtsausübung der Post hinsichtlich ihrer E-Aktien nehmen.
552Rechtliche Voraussetzungen
Nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 WpÜG sind dem Bieter Stimmrechte aus Aktien zuzurechnen, die einem Dritten gehören und von ihm für Rechnung des Bieters gehalten werden. Aus dem Merkmal „für Rechnung“ ergibt sich, dass der Bieter die wesentlichen Risiken und Chancen der betreffenden Aktien tragen muss. Relevant sind insoweit Veränderungen des Börsenkurses, die Aussicht auf Dividendenzahlungen und das Insolvenzrisiko der Zielgesellschaft. Hinzukommen muss die Möglichkeit, auf die Stimmrechtsausübung des Eigentümers der Aktien Einfluss zu nehmen (BGH, Urteil vom 29. Juli 2014 – II ZR 353/12 –, Juris Rz. 49 ff., BGHZ 202, 180-202).
555Übergang sämtlicher Risiken und Chancen auf die Beklagte
Nach dem Vortrag der Kläger sind mit Abschluss der Ursprungsvereinbarung sämtliche Chancen und Risiken aus der E-Beteiligung von der Post auf die Beklagte übergegangen. Das gilt insbesondere auch für die Dividendenzahlungen, die nach den technischen Klauseln von der Zustimmung der Beklagten abhängig waren.
558Beklagte trug sämtliche Risiken aus der E-Übernahme
Die Beklagte stellt nicht in Abrede, dass bereits mit dem Abschluss der Ursprungsvereinbarung sämtliche Risiken bezüglich der E-Beteiligung auf die Beklagte übergehen sollten. Die Beklagte trug das Risiko einer Wertveränderung der Bank-Aktien. Die insoweit vereinbarten Preise für die E-Aktien des Aktienpaketes i.H.v. 29,75 % und der Optionen waren abschließend verhandelt. Anpassungsklauseln waren nicht vorgesehen. Zudem ging die Beklagte in Vorleistung für die vertraglich vereinbarten Transaktionen. Damit trug die Beklagte, vergleichbar einem Mehrheitsaktionär, sowohl das Kapitalmarktrisiko als auch das Insolvenzrisiko bezüglich der E.
561Beklagte trug sämtliche Chancen aus der E-Übernahme
Die mit einer Beteiligung an der E verbundenen wirtschaftlichen Chancen waren mit Abschluss der Ursprungsvereinbarung der Beklagten zugewiesen. Das gilt insbesondere bezüglich etwaiger Steigerungen des Unternehmenswertes oder der Ausschüttung von Unternehmensgewinnen. Die Post war daran nicht mehr beteiligt. Nachbesserungsklauseln zugunsten der Post gab es nicht. Mit Dividendenzahlungen an die Post aus E-Aktien war aufgrund der ausgehandelten Verträge zwischen der Beklagten der Post auch nicht mehr zu rechnen.
564Unabhängig davon waren der Beklagten auf der Grundlage der technischen Klauseln (Interessenschutzklauseln) auch die Dividenden aus der E-Beteiligung der Post zugewiesen. In der Parallelsache war dem Bundesgerichtshof diese Feststellung nicht möglich, so dass er eine Zurechnung gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 2 WpÜG mangels rechtsverbindlicher Absprache über die Dividendenberechtigung der Beklagten nicht festzustellen vermochte. Diese Beurteilung ist nun möglich. Der rechtsverbindliche Zustimmungsvorbehalt der Beklagten zu dividendenbezogenen Stimmrechtsausübungen der Post erlaubten der Beklagten, mit den Stimmrechten der Post aus E-Aktien sowohl Beschlüsse über Dividendenausschüttungen herbeizuführen oder diese zu vermeiden. Ersteres war natürlich nicht im Interesse der Beklagten, da Gewinnauszahlungen den Wert des Unternehmens und damit auch den Wert der erworbenen und preislich ausgehandelten Anteile negativ beeinträchtigen konnten. Aufgrund des ausgehandelten Anteilskaufvertrages bestand ihr Interesse darin, Dividendenzahlungen zu verhindern, um Gewinne im Unternehmen zu halten. Dadurch konnte erreicht werden, dass Gewinne zum Ausbau des Geschäfts der E verwendet werden können oder ggf. später, nach der Übernahme der E durch die Beklagte, ausgeschüttet werden. Auf diese Weise war ihr die Chance auf die Zahlung von Dividenden zugewiesen.
565In zeitlicher Hinsicht ist darauf zu verweisen, dass die Vereinbarung über die Ausübung von Stimmrechten bezüglich Dividendenbeschlüssen bis zum Vollzug aller Transaktionen der Ursprungsvereinbarung galt, einschließlich der vereinbarten Optionen. Insofern kann auf die diesbezüglichen Ausführungen der Kammer verwiesen werden. Damit war klar, dass der Beklagten die Dividendenchance bis zu der abschließenden Mehrheitsübernahme zugewiesen war.
566Einfluss auf die Stimmrechtsausübung der Post
Die durch den Ursprungsvertrag bewirkte Zuweisung der Chancen und Risiken aus E-Aktien war begleitet von der Möglichkeit der Beklagten, auf die Stimmrechtsausübung der Post Einfluss zu nehmen. Die Möglichkeiten der Einflussnahme auf Satzungsänderungen, Strukturänderungen, Dividendenbeschlüssen und sonstigen Maßnahmen gemäß den technischen Klauseln sind bereits hinreichend erläutert worden müssen an dieser Stelle nicht wiederholt werden.
569D. Aneignungsrecht gemäß 30 Abs. 1 Nr. 5 WpÜG fraglich
Bei der geschilderten Rechtslage kann im Ergebnis offen bleiben, ob der Beklagten die von den Verpfändungsverträgen erfassten ca. 85 Mio. E-Aktien gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 5 WpÜG zuzurechnen sind. Die nachfolgenden Ausführungen sprechen eher dagegen.
572Aneignungsrecht nach § 1259 BGB
Zwar spricht einiges dafür, dass die Beklagte unmittelbar gemäß § 1259 BGB zur Aneignung der verpfändeten Aktien bei Fälligkeit der Ansprüche aus der Pflichtumtauschanleihe und den Optionen berechtigt war. Die rechtlichen Ausführungen der Beklagten zu den Möglichkeiten der Aneignung des Pfandgegenstandes gemäß § 1259 BGB überzeugen nicht. Nach § 1259 S. 1 BGB kann vereinbart werden, dass der Pfandgläubiger das Eigentum an der Sache bei Fälligkeit der Forderung zufallen soll. Gemäß § 1259 S. 3 BGB sind die §§ 1229 und 1233 bis 1239 BGB in diesem Fall nicht anzuwenden. Das bedeutet, dass das Verbot einer Verfallvereinbarung gemäß § 1229 BGB sowie die Vorschriften über die Ausführung des Verkaufs des Pfandgegenstandes gemäß den §§ 1233-1239 BGB nicht gelten. Wenn folglich § 8.2 der Pfandverträge zwischen der Beklagten und der Post vorsieht, dass der Pfandgläubiger berechtigt ist, sich die Aktien gemäß § 1259 BGB anzueignen, hatte die Beklagte damit die Möglichkeit, sich die Aktien bei Fälligkeit der Pflichtumtauschanleihe und der Optionen anzueignen.
575Aneignung erst im Jahr 2012 möglich
Selbst wenn ein dingliches Erwerbsrecht der Beklagten im Jahr 2012 unterstellt würde, führt das nicht zwangsläufig zu einer Zurechnung gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 5 WpÜG. Insofern ist der Rechtsauffassung der Beklagten zuzustimmen, dass das dingliche Erwerbsrecht nur dann zur Zurechnung führt, wenn es auch ausgeübt werden kann. In diesem Fall hat der Bieter eine dem Eigentum vergleichbare Rechtsposition erlangt. Falls aber das dingliche Anwartschaftsrecht erst Jahre später ausgeübt werden kann, hier im Jahr 2012, begründet dies keine Kontrolle. Das gilt selbst dann, wenn keine Zweifel bestehen, dass Jahre später, hier im Jahr 2012, das Eigentum an den verpfändeten Aktien auf den Pfandgläubiger übertragen wird.
578E. Verjährung der Ansprüche
Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten sind die Klageforderungen, soweit sie auf § 31 Abs. 1 WpÜG gestützt werden, nicht aufgrund entsprechender Anwendung von § 12 Abs. 4 WpÜG verjährt. Die Ansprüche verjähren vielmehr gemäß den §§ 195 ff. BGB innerhalb von 3 Jahren ab Kenntniserlangung der haftungsbegründenden Umstände. Die Kammer hat sich in dem Beschluss vom 4. Dezember 2015 bereits ausführlich zu dieser Rechtsfrage in vorstehendem Sinne geäußert. Daran ist festzuhalten.
581Analoge Anwendung von § 12 Abs. 4 WpÜG
§ 12 Abs. 4 WpÜG ist entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten auf die streitgegenständlichen Erfüllungsansprüche gemäß § 31 Abs. 1 WpÜG nicht direkt oder analog anwendbar.
584Gemäß § 12 Abs. 4 WpÜG verjährt der Schadensersatzanspruch aus § 12 Abs. 1 WpÜG in einem Jahr seit dem Zeitpunkt, zu dem derjenige, der das Angebot angenommen hat, von der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben der Angebotsunterlage Kenntnis erlangt hat, spätestens jedoch in drei Jahren seit der Veröffentlichung der Angebotsunterlage.
585Meinungsstand zur Anwendung von § 12 Abs. 4 WpÜG
In der Rechtsprechung finden sich keine Entscheidungen zu der Frage, ob die Verjährungsvorschrift gemäß § 12 Abs. 4 WpÜG auf den zivilrechtlichen Zahlungsanspruch auf angemessene Gegenleistung gemäß § 31 Abs. 1 S. 1 WpÜG entsprechend anwendbar ist. Der Bundesgerichtshof hat dies anlässlich seiner Grundsatzentscheidung (BGH, Urteil vom 29. Juli 2014 – II ZR 353/12 –, juris Rz. 25, BHZ 202, 180-202) nicht entscheiden, da keine Veranlassung dazu bestand.
588In der Literatur ist streitig, ob für Ansprüche auf ergänzende Zahlung gemäß § 31 Abs. 1 S. 1 WpÜG die Vorschrift des § 12 Abs. 4 WpÜG analog anwendbar ist (pro: Löhdefink/Jaspers, ZIP 2014, 2261, 2268 f.). Begründet wird die analoge Anwendung von § 12 Abs. 4 WpÜG im Rahmen der Ansprüche von § 31 Abs. 1 S. 1 WpÜG mit dem Regelungsanliegen von § 12 Abs. 4 WpÜG, zeitnah Rechtssicherheit für alle Beteiligten einer öffentlichen Übernahme zu schaffen. Ferner sei die Auslobung einer nicht angemessenen Gegenleistung letztlich ein Unterfall der fehlerhaften Angebotsunterlage gemäß § 12 Abs. 1 WpÜG (Löhdefink/Jaspers, ZIP 2014, 2261, 2268).
589Im Übrigen geht das Schrifttum von der Anwendung der §§ 195 ff. BGB auf den ergänzenden Zahlungsanspruch nach § 31 Abs. 1 S. 1 WpÜG aus. Es stützt sich dabei insbesondere auf die Ausführungen des Bundesgerichtshofs zur Rechtsnatur des Anspruchs gemäß § 31 Abs. 1 S. 1 WpÜG sowie zu den unterschiedlichen Schutzrichtungen und Tatbestandsvoraussetzungen von § 12 Abs. 1 WpÜG einerseits und § 31 Abs. 1 S. 1 WpÜG andererseits (vgl. Wessels, BB, Die erste Seite, 2014, Nr. 39; Kremer/Oesterhaus, in: KK-WpÜG, 2. Auflage 2010, § 31 Rz. 108; Verse, ZIP 2004, 199, 207).
590Ablehnung der entsprechenden Anwendung von § 12 Abs. 4 WpÜG
Unter Abwägung dieser Stellungnahmen und der Argumente der Parteien ist § 12 Abs. 4 WpÜG auf den vorliegenden Sachverhalt nicht analog anzuwenden. Es bestehen grundsätzliche Bedenken, den streitgegenständlichen Anspruch gemäß § 31 Abs. 1 S. 1 WpÜG der Verjährung nach § 12 Abs. 4 WpÜG zu unterwerfen.
593Gesetzliche Regelungslücke fraglich
Dabei kann offen bleiben, ob hinsichtlich des Anspruchs gemäß § 31 Abs. 1 S. 1 WpÜG eine gesetzliche Regelungslücke besteht. Insofern ist schon zu bedenken, dass der Gesetzgeber für die im Zusammenhang zu dem hier streitigen Anspruch stehenden ergänzenden Zahlungsansprüche gemäß § 31 Abs. 4 und Abs. 5 WpÜG (Differenzzahlungsansprüche bei Parallel- und Nacherwerben) keine von der Regelverjährung nach den §§ 195 ff. BGB abweichende Verjährung bestimmt hat.
596Sachverhalte nicht vergleichbar
Jedenfalls sind die gesetzlich geregelten Sachverhalte gemäß § 12 Abs. 1 WpÜG und § 31 Abs. 1 S. 1 WpÜG nicht vergleichbar, so dass eine analoge Anwendung von § 12 Abs. 4 WpÜG auf den hier relevanten Anspruch ausscheidet.
599(1) Interessenlage der Bieter identisch
600Richtig ist zwar, dass nach der Ratio von § 12 Abs. 4 WpÜG Ansprüche aus öffentlichen Übernahmen im Gleichklang mit anderen Verjährungsfristen der börsengesetzlichen und investmentrechtlichen Prospekthaftung innerhalb kurzer und überschaubarer Frist rechtssicher geregelt werden sollen (BT-Drucksache 14/7034, S. 27 und 43; BGH, Urteil vom 29. Juli 2014 – II ZR 353/12 –, juris Rz. 25, BHZ 202, 180-202). Auch der hier relevante Anspruch gemäß § 31 Abs. 1 S. 1 WpÜG wird von dieser gesetzgeberischen Intention trotz diverser Unterschiede im Einzelnen erfasst. Dem stehen jedoch teleologische und systematische Erwägungen der betroffenen Ansprüche gemäß den §§ 12 Abs. 1, 31 Abs. 1 S. 1 WpÜG entgegen.
601(2) Unteilbarer vertraglicher Anspruch auf angemessene Gegenleistung
602Zunächst ist zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Anspruch nach § 31 Abs. 1 S. 1 WpÜG um einen ergänzenden Zahlungsanspruch bis zur Höhe der angemessenen Gegenleistung handelt. Letztlich ist davon auszugehen, dass es sich um einen einheitlichen zivilrechtlichen Primäranspruch auf vertraglicher Grundlage i.V.m. § 31 Abs. 1 S. 1 WpÜG handelt, hingegen nicht um einen Schadensersatzanspruch im Sinne von § 12 Abs. 1 WpÜG wegen falscher Angebotsunterlage. Das hat der Bundesgerichtshof ausdrücklich klargestellt. Eine Aufspaltung dieses Anspruchs in zwei in ihrer Rechtsnatur unterschiedliche Teilansprüche, und zwar in einen Teilanspruch auf Zahlung der angebotenen Gegenleistung und einen Teilanspruch auf Zahlung der Differenz bis zur angemessenen Gegenleistung, ist kaum begründbar. Nicht erklärbar wäre insbesondere, die vorgenannten Ansprüche unterschiedlichen Verjährungsregimen zu unterwerfen, d. h. auf den Teilanspruch auf Zahlung der angebotenen Gegenleistung die Regelverjährung nach den §§ 195 ff. BGB anzuwenden, auf den Teilanspruch auf ergänzende angemessene Gegenleistung aber die Sonderverjährung nach § 12 Abs. 4 WpÜG entsprechend anzuwenden.
603(3) Tatbestandliche Unterschiede der Ansprüche gemäß § 12 Abs. 1 und § 31 Abs. 1 WpÜG
604Darüber hinaus schließt sich die Kammer den Erwägungen des Bundesgerichtshofs zu den weiteren Unterschieden der Ansprüche nach § 12 Abs. 1 WpÜG und § 31 Abs. 1 S. 1 WpÜG an. Danach unterscheidet sich die Schutzrichtung des § 12 WpÜG von der des § 31 WpÜG. In dem einen Fall soll gewährleistet werden, dass die Aktionäre der Zielgesellschaft angemessen informiert werden, in dem anderen Fall soll ihnen ein zumutbarer Ausstieg aus der Gesellschaft bei einem drohenden oder schon eingetretenen Kontrollerwerb ermöglicht werden. Im Übrigen erfordert der Schadensersatzanspruch nach § 12 Abs. 2 WpÜG Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit und ist nach § 12 Abs. 3 Nr. 2 WpÜG ausgeschlossen, wenn der Anspruchsteller die Unrichtigkeit der Angaben der Angebotsunterlage bei der Abgabe der Annahmeerklärung kannte. Das wären aber keine Gründe, dem Aktionär die angemessene Gegenleistung vorzuenthalten (BGH, Urteil vom 29. Juli 2014 – II ZR 353/12 –, juris Rz. 24, BHZ 202, 180-202), d. h. der Anspruch nach § 31 Abs. 1 S. 1 WpÜG besteht auch dann, wenn der Bieter das Angebot einer unangemessenen Gegenleistung nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig verschuldet hat oder wenn die Aktionäre wussten oder wissen konnten, dass die angebotene Gegenleistung nicht angemessen ist.
605(4) Unterschiedliche Rechtsfolgen der Ansprüche gemäß den §§ 12 Abs. 1, 31 Abs. 1 WpÜG
606Hinzu kommt, dass sich die Ansprüche gemäß den §§ 12 Abs. 1, 31 Abs. 1 S. 1 WpÜG auch hinsichtlich der Rechtsfolge unterscheiden. § 12 Abs. 1 WpÜG spricht vom Ersatz des „aus der Annahme des Angebots entstandenen Schadens”. Der Aktionär soll – so die Amtliche Begründung – so gestellt werden, als hätte er die wahre Sachlage gekannt. Herzustellen ist mithin der Zustand, der bestehen würde, wäre das schädigende Ereignis in Gestalt der fehlerhaften Angebotsunterlage nicht eingetreten wäre (negatives Interesse). Dagegen kann der Schadensersatzberechtigte nicht die Herstellung eines den fehlerhaften Angaben entsprechenden Zustands verlangen (positives Interesse) (vgl. Assmann in: Assmann/Pötzsch/ Schneider, WpÜG, § 12 WpÜG Rz. 57 mwN.). Richtigerweise wird man daher aus § 12 WpÜG, anders als bei § 31 Abs. 1 S. 1 WpÜG, einen Anspruch auf Zahlung des Differenzbetrags nur herleiten können, wenn feststeht, dass der Aktionär bei Kenntnis der wahren Sachlage die Annahme des Angebots von einer höheren Gegenleistung abhängig gemacht hätte und der Bieter hierauf eingegangen wäre. Insbesondere Letzteres wird zumindest im Fall des freiwilligen Übernahmeangebots schwer festzustellen sein (Verse, ZIP 2004, 199, 205).
607Verjährung gemäß den §§ 195 ff. BGB
Die streitgegenständlichen Ansprüche gemäß § 31 Abs. 1 S. 1 WpÜG sind nicht gemäß den §§ 195 ff. BGB verjährt.
610Gesetzliche Voraussetzungen
Der Verjährungsbeginn setzt gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB ebenso wie gemäß § 852 Abs. 1 BGB a.F. grundsätzlich nur die Kenntnis der den Anspruch begründenden Tatsachen voraus. Erforderlich und genügend ist dafür im Allgemeinen die Kenntnis der tatsächlichen Umstände, aus denen sich der Schaden und die Person des Schädigers ergeben. Nicht vorausgesetzt wird die zutreffende rechtliche Würdigung des bekannten Sachverhalts. Daher kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob der Geschädigte die Rechtswidrigkeit des Geschehens, das Verschulden des Schädigers und den in Betracht kommenden Kausalverlauf richtig einschätzt (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 25. Februar 1999 – IX ZR 30/98 –, Rz. 19, juris, mit weiteren Nachweisen). Rechtlich fehlerhafte Vorstellungen des Geschädigten beeinflussen den Beginn der Verjährung in der Regel nicht, weil er die Möglichkeit hat, sich beraten zu lassen.
613Verzögerter Verjährungsbeginn bei unverschuldeter Rechtsunkenntnis
Ist die Rechtslage dagegen unübersichtlich oder zweifelhaft, so dass sie selbst ein rechtskundiger Dritter nicht einzuschätzen vermag, kann der Verjährungsbeginn auch wegen Rechtsunkenntnis hinausgeschoben sein, weil es an der Zumutbarkeit der Klageerhebung als übergreifender Voraussetzung für den Verjährungsbeginn fehlt (BGH, Urteil vom 25. Februar 1999 – IX ZR 30/98 –, Rz. 19, juris, mit weiteren Nachweisen).
616Grob fahrlässige Unkenntnis liegt vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis fehlt, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich grobem Maße verletzt und auch ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt oder das nicht beachtet hat, was jedem hätte einleuchten müssen (vgl. BGH, Urteil vom 23. September 2008 – XI ZR 262/07 –, Rz. 17, juris, mit weiteren Nachweisen). Die Frage, wann eine für den Beginn der Verjährung hinreichende Kenntnis vorhanden ist, ist nicht ausschließlich Tatfrage, sondern wird maßgeblich durch den Begriff der Zumutbarkeit der Klageerhebung geprägt (BGH, Urteil vom 23. September 2008 – XI ZR 262/07 –, Rz. 18, juris, mit weiteren Nachweisen). In der Regel wird von einer Kenntnis der Rechtslage bzw. der anspruchsbegründenden Tatsachen auszugehen sein, wenn das klärende höchstrichterliche Urteil in einer bekannten und verbreiteten Fachzeitschrift (z.B. NJW) veröffentlicht worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 23. September 2008 – XI ZR 262/07 –, Rz. 19, juris).
617Rechtskenntnis ab Veröffentlichung des BGH-E-Urteils
Bei dieser Rechtslage ist davon auszugehen, dass die subjektiven Voraussetzungen des Verjährungsbeginns gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB bis zum 31. Dezember 2010 nicht erfüllt waren, obwohl zuvor das freiwillige Übernahmeangebot der Beklagten vorgelegt worden war, sondern erst ab der Veröffentlichung des Urteils des BGH vom 29. Juli 2014 (II ZR 353/12). Die Rechtslage war und ist schwierig und war im Jahr 2010 nicht geklärt.
620Beispielsweise hat erst das Urteil des BGH vom 11. Juni 2013 (II ZR 80/12, juris) Klärung gebracht, dass ein Zahlungsanspruch gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG oder gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 35 Abs. 2 WpÜG nicht besteht, selbst wenn der Bieter verpflichtet gewesen sein sollte, ein Pflichtangebot gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG zu veröffentlichen. Dazu hat sich der Bundesgerichtshof auch in der Entscheidung zu der Parallelsache (BGH, Urteil vom 29. Juli 2014 — II ZR 353/12, juris Rz. 19, BGHZ 202, 180-202) geäußert und die Unterbreitung eines Pflichtangebots gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG im Ergebnis erneut abgelehnt.
621Im dem BGH-E-Urteil (BGH, Urteil vom 29. Juli 2014 – II ZR 353/12 –, juris Rz. 25, BHZ 202, 180-202) werden die juristischen Grundlagen eines Zahlungsanspruchs aus Vertrag i.V.m. § 31 Abs. 1 S. 1 WpÜG erörtert. Aus dem Urteil ergibt sich, dass die dogmatischen Grundlagen streitig waren. Bis zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs wurde vertreten, dass sich der Zahlungsanspruch aus § 12 WpÜG, aus § 31 Abs. 1 S. 1 WpÜG, aus § 35 WpÜG, aus Vertrag i.V.m. § 31 WpÜG oder generell aus dem WpÜG ohne genaue dogmatische Festlegung ergibt (BGH, Urteil vom 29. Juli 2014 – II ZR 353/12 –, juris Rz. 21, BHZ 202, 180-202). Der Bundesgerichtshof hat sich für die herrschende Meinung entschieden, das heißt für einen unmittelbaren Ergänzungsanspruch aus § 31 Abs. 1 WpÜG im Falle einer angebotenen unangemessenen Gegenleistung. Begründet wurde dies insbesondere mit systematischen Erwägungen, etwa Zahlungsansprüchen nach § 31 Abs. 4 und 5 WpÜG, der lediglich eingeschränkten Überprüfung des Übernahmeangebotes durch die BaFin sowie der Ungeeignetheit von § 12 WpÜG für unangemessene Übernahmeangebote. Insbesondere hat der Bundesgerichtshof erstmalig entschieden, dass sich die Referenzzeiträume der §§ 4, 5 WpÜG-AngVO abweichend vom Wortlaut (Zeitpunkt der Veröffentlichung des Angebots) entsprechend verlängern, wenn der Bieter bereits vor der Veröffentlichung seines Übernahmeangebots 30 % oder mehr der Stimmrechte der Zielgesellschaft und damit die Kontrolle im Sinne des § 29 Abs. 2 WpÜG erworben und in der Folgezeit unterlassen hat, ein Pflichtangebot vorzulegen (BGH, Urteil vom 29. Juli 2014 – II ZR 353/12 –, juris Rz. 34, BHZ 202, 180-202).
622Schließlich hat die Entscheidung des Bundesgerichtshofs insoweit Klärung gebracht, dass die Aktionäre der E mit der unter Beweis gestellten pauschalen Behauptung, dass die von der Post gehaltenen E-Aktien der Beklagten gemäß § 30 Abs. 2 WpÜG wegen eines abgestimmten Verhaltens (Interessenschutzklausel) zuzurechnen sind, nicht zurückgewiesen werden können.
623Verjährungseintritt frühestens im Jahr 2017
Vor diesem rechtlichen Hintergrund sind die Klagen der Kläger zu 1-12 und 15-16 nicht gemäß den §§ 195 ff. BGB verjährt, da bei ihnen Kenntnis der haftungsbegründenden Umstände gemäß § 199 BGB erst im Jahr 2014 vorlag. Sämtliche Klagen sind bis zum Ablauf der Verjährungsfrist im Jahr 2017 bei Gericht eingegangen.
626Für die Minderheitsaktionäre der E war nicht nur die Tatsachengrundlage des streitgegenständlichen Anspruchs gemäß § 31 Abs. 1 S. 1 WpÜG unklar, da sie die Vertragsunterlagen sowie sonstige Absprachen der Post und der Beklagten nicht kannten, sondern auch die Rechtslage zur Anspruchsgrundlage und die tatbestandlichen Voraussetzungen zur Berechnung des Referenzzeitraums waren streitig und höchstrichterlich nicht geklärt. Selbst ein rechtskundiger Dritter konnte vor der Veröffentlichung des BGH-E-Urteils kaum verlässlich beurteilen, ob die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen eines ergänzenden Zahlungsanspruchs gemäß § 31 Abs. 1 S. 1 WpÜG erfüllt sind.
627Dieser Befund wird nicht infrage gestellt durch die Tatsache, dass ein Aktionär der E bereits Anfang 2011 Klage gegen die Beklagte wegen eines gleichgelagerten Anspruchs erhoben hat. Daraus folgt aufgrund der geschilderten Rechtsunsicherheit nicht für alle Aktionäre, dass auch für sie die Klageerhebung zumutbar war. Offensichtlich war die Klägerin des Parallelverfahrens bereit, die mit der Klage verbundenen erheblichen Risiken einzugehen und den Sachverhalt und die Rechtslage auf eigenes Risiko klären zu lassen. Das bedeutet aber nicht, dass damit auch allen anderen Aktionären die gerichtliche Verfolgung der Ansprüche zumutbar war.
628Aufgrund der geschilderten Rechtsunsicherheit kann es insbesondere auch nicht darauf ankommen, dass bereits die dem Urteil des Bundesgerichtshofs vorausgegangenen Entscheidungen des LG Köln, 82 O 28/11, und des OLG Köln, 13 I-U 166/11, eine gewisse Klärung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht geliefert hatten. Nicht entscheidend kann auch sein, dass bereits in der juristischen Literatur die Übernahme der E durch die Beklagte kritisch gesehen und Nachzahlungsansprüche für berechtigt erachtet wurden (vgl. Meilicke/Meilicke, Die E-Übernahme durch die E2 – eine Gestaltung zur Vermeidung von Pflichtangeboten nach § 35 WpÜG?, ZIP 2010, 558-566). Denn letztlich haben weder die Entscheidungen des LG Köln bzw. OLG Köln noch die divergierenden Äußerungen des Schrifttums zu der Art und dem Umfang des hier streitgegenständlichen Anspruchs eine hinreichend verlässliche Basis geliefert, um den Aktionären die gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs zuzumuten.
629F. Berechnung der angemessenen Gegenleistung gemäß § 31 Abs. 1 WpÜG
Die angemessene Gegenleistung für die von den Klägern im Rahmen des freiwilligen Angebots veräußerten E-Aktien beträgt EUR 57,25 je E-Aktie. Aufgrund der von der Beklagten bereits gezahlten EUR 25,00 je Aktie beträgt die Differenz zur angemessenen Gegenleistung EUR 32,25 je Aktie. Insofern sind die Zahlungsansprüche der Kläger, die das freiwillige Übernahmeangebot der Beklagten angenommen haben, begründet.
632Grundlagen der Berechnung
Die Referenzzeiträume der §§ 4, 5 WpÜG AngVO verlängern sich rückwirkend bis zum Zeitpunkt der Kontrollerlangung, zu dem ein Pflichtangebot gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG hätte vorgelegt werden müssen (BGH, Urteil vom 29. Juli 2014 – II ZR 353/12 –, Juris Rz. 34, BGHZ 202, 180-202). Nach § 4 WpÜG AngVO muss die angemessene Gegenleistung für die Aktien der Zielgesellschaft mindestens dem Wert der höchsten vom Bieter, eine mit ihm gemeinsam handelnde Personen oder deren Tochterunternehmen gewährten oder vereinbarten Gegenleistung für den Erwerb von Aktien der Zielgesellschaft innerhalb der letzten sechs Monate vor der Veröffentlichung nach § 14 Abs. 2 S. 1 oder § 35 Abs. 2 S. 1 WpÜG entsprechen. Anknüpfungspunkt für den vorbezeichneten Zeitraum ist folglich die Veröffentlichung des freiwilligen Angebots oder des Pflichtangebotes gemäß §§ 14 Abs. 2 S. 1, 35 Abs. 2 S. 1 WpÜG. Wird, wie vorliegend, kein Pflichtangebot unterbreitet, so tritt an die Stelle des tatsächlichen Angebots der Zeitpunkt, zu dem ein Angebot hätte veröffentlicht werden müssen (Wackerbarth, in: Münchener Kommentar AktG, 3. Aufl., § 31 WpÜG Rz. 31). Ein Pflichtangebot ist gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG vier Wochen nach Veröffentlichung des Kontrollerwerbs vorzulegen. Der Kontrollerwerb ist gemäß § 35 Abs. 1 WpÜG sieben Kalendertage nach dem Zeitpunkt zu veröffentlichen, zu dem der Bieter Kenntnis von dem Kontrollerwerb hatte oder nach den Umständen haben musste.
635Vorerwerbszeitraum 10. April bis 10. Oktober 2008
Die Beklagte hat, wie ausgeführt worden ist, auf der Grundlage der technischen Klausel gemäß § 9.1a des Ursprungsvertrages mit dessen Abschluss am 12. September 2008 Kontrolle im Sinne von § 29 Abs. 2 WpÜG erlangt, da ihr sämtliche E-Aktien der Post aufgrund eines abgestimmten Verhaltens gemäß § 30 Abs. 2 S. 2 1. Alt. WpÜG zugerechnet werden. Die Beklagte hatte daher aufgrund ihrer Kenntnis des zurechnungsbegründenden Sachverhaltes bis zum 19. September 2008 die Kontrollerlangung gemäß § 35 Abs. 1 WpÜG anzuzeigen. Das Pflichtangebot gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG war folglich bis zum 10. Oktober 2008 vorzulegen. Der gemäß § 4 WpÜG-AngVO relevante sechsmonatige Vorerwerbszeitraum lag folglich zwischen dem 10. April 2008 und dem 10. Oktober 2008. In diesen Zeitraum fiel der Abschluss der Ursprungsvereinbarung, in der die Beklagte der Post die Zahlung in Höhe von EUR 57,25 je E-Aktie zusagte.
638Berechnung der Zahlungen
Unter Berücksichtigung der von den Klägern an die Beklagte im Rahmen des freiwilligen Übernahmeangebotes verkauften und übertragenen E-Aktien ergeben sich folgende berechtigte Forderungen in der Hauptsache:
641Kläger zu 1: EUR 267.675,00 (8.300 E-Aktien);
Kläger zu 2: EUR 112.875,00 (3.500 E-Aktien);
Klägerin 3: EUR 56.276,25 (1.745 E-Aktien);
Kläger zu 4: EUR 1.128.750,00 (35.000 E-Aktien);
Kläger zu 5: EUR 129.000,00 (4.000 E-Aktien);
Klägerin zu 6: EUR 370.875,00 (11.500 Stück E- Aktien);
Klägerin zu 7: EUR 645.000,00 (20.000 E-Aktien);
Kläger zu 8: EUR 177.052,50 (5.490 E-Aktien);
Kläger zu 9: EUR 122.550,00 (3.800 E-Aktien);
Kläger zu 10: EUR 258.000,00 (8.000 E-Aktien);
Klägerin zu 11: EUR 451.500,00 (14.000 E-Aktien);
Kläger zu 12: EUR 2.426.812,50 (75.250 E-Aktien);
Kläger zu 15: EUR 30.008.625,00 (insgesamt 930.500 E-Aktien);
Klägerin zu 16: EUR 11.287.500,00 (350.000 E-Aktien).
Die eingeklagten Beträge decken sich mit den vorstehenden Beträgen mit Ausnahme der Anträge des Klägers zu 9. Insoweit ist ein Betrag i.H.v. EUR 122.550,00 berechtigt. Eingeklagt worden sind aber lediglich EUR 90.630,00. An diesen Antrag ist das Gericht gemäß § 308 ZPO gebunden.
657Der Aktienbesitz der Kläger in vorstehendem Umfang und die Veräußerungen an die Beklagte im Rahmen des freiwilligen Übernahmeangebotes sind entweder unstreitig oder von den Klägern durch Bankbescheinigungen nachgewiesen worden. Die Beklagte hat den Vortrag des Klägers zu 15, dass die zur K-Gruppe gehörenden Gesellschaften ihre streitgegenständlichen Forderungen gegen die Beklagte erneut schriftlich an den Kläger zu 15 abgetreten haben, nicht mehr bestritten. Der Vortrag gilt damit als zugestanden.
658G. Nebenforderungen
Die geltend gemachten Nebenforderungen in Form von Zinsen und Anwaltskosten sind weitgehend berechtigt und im Übrigen abzuweisen.
661Zinsen
Die Kläger können auf ihre berechtigten Hauptforderungen Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 38 WpÜG verlangen. Soweit einige der Kläger beantragt haben, Zinsen i.H.v. 5 % über dem Basiszinssatz zuzusprechen, ist dieser Antrag interessengerecht dahin auszulegen, dass Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz verlangt werden. Es handelt sich insoweit lediglich um eine sprachliche Ungenauigkeit, die im Gerichtsalltag ständig anzutreffen ist.
664Anwendbarkeit von § 38 WpÜG
§ 38 WpÜG ist vorliegend einschlägig, obwohl der Zinsanspruch nach zutreffender Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht selbständig geltend gemacht werden kann, sondern erst nach Vorlage eines Pflichtangebotes (BGH, Urteil vom 11. Juni 2013 – II ZR 80/12 –, Rz. 28, juris). Das hat die Beklagte unstreitig bislang nicht vorgelegt. Allerdings hat die Beklagte im Jahr 2010 ein freiwilliges Übernahmeangebot vorgelegt. In diesem Fall ist es gerechtfertigt, die Zinspflicht auf den Zeitpunkt vorzuverlegen, zu dem das Pflichtangebot hätte vorgelegt werden müssen.
667Rechtslage wie bei Vorlage eines Pflichtangebotes
Das entspricht der vom Bundesgerichtshof gebilligten Vorverlegung der Referenzzeiträume zur Berechnung der angemessenen Gegenleistung (BGH, Urteil vom 29. Juli 2014 – II ZR 353/12 –, Juris Rz. 34 ff., BGHZ 202, 180-202). Damit werden die Aktionäre, die das freiwillige Übernahmeangebot der Beklagten angenommen haben, im Ergebnis so gestellt, als wäre ihnen ein Pflichtangebot vorgelegt worden. Aus diesem Grunde ist es auch gerechtfertigt, sie in Bezug auf die Zinsen so zu behandeln, als wäre ihnen ein Pflichtangebot vorgelegt worden.
670Anwendung von § 38 WpÜG interessengerecht
Diese Vorverlegung der Zinspflicht gemäß § 38 WpÜG ist aufgrund der Interessenlage berechtigt. Denn der Bieter hat ein Übernahmeangebot veröffentlicht, dass die Vorlage eines Pflichtangebotes gemäß § 35 Abs. 3 WpÜG entbehrlich machen kann. Es kann offen bleiben, ob das freiwillige Übernahmeangebot der Beklagten hier tatsächlich zum Wegfall des Pflichtangebotes führte. Falls das der Fall wäre, wäre die Anwendung von § 38 WpÜG mit einem vorverlagerten Zinsbeginn ohne weiteres gerechtfertigt. Aber selbst in dem Fall, dass das freiwillige Übernahmeangebot nicht die Wirkung nach § 35 Abs. 3 WpÜG hatte, sollte es aber nach Absicht der Beklagten ein Pflichtangebot substituieren. Deshalb wurde später auch kein Pflichtangebot vorgelegt, selbst nachdem die Beklagte nach der Durchführung des freiwilligen Übernahmeangebotes und dem Erwerb weiterer Aktien unzweifelhaft die Kontrolle über die E erlangt hatte. Soweit unterstellt würde, dass die Beklagte auch nach der Vorlage des freiwilligen Übernahmeangebotes zur Vorlage eines Pflichtangebotes verpflichtet war, hätte sich dieses Pflichtangebot aber unmittelbar nur an die Aktionäre gewendet, die das freiwillige Übernahmeangebot der Beklagten nicht angenommen haben, hingegen nicht an die Kläger dieses Verfahrens. Hinzu kommt, dass die Aktionäre der E, die das freiwillige Übernahmeangebot angenommen hatten, nachfolgend auch keine rechtliche Handhabe mehr hatten, das Pflichtangebot zu erzwingen. Das Pflichtangebot ist von Aktionären der Zielgesellschaft nicht einklagbar (BGH, Urteil vom 11. Juni 2013 – II ZR 80/12 –, juris, DB 2013, 1776-1779). Für die Aktionäre, die das freiwillige Übernahmeangebot angenommen haben, wäre ohnehin das Rechtsschutzbedürfnis für eine derartige Klage fraglich, wenn sie zuvor schon einen Anspruch gemäß § 31 Abs. 1 WpÜG durchgesetzt hätten oder durchsetzen könnten. Andere Möglichkeiten zur Erzwingung eines Pflichtangebotes, etwa in Form der Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen i.V.m. § 59 WpÜG, scheiden ebenfalls aus, da sie nicht mehr Aktionäre der Zielgesellschaft sind. Bei dieser Interessenlage ist es gerechtfertigt, den Zinsanspruch gemäß § 38 WpÜG zu gewähren.
673Zinsbeginn 20. September 2008
Die Zinspflicht trat zum 20. September 2008 ein. Die Beklagte ist gemäß § 38 WpÜG zur Zahlung von Zinsen auf die angemessene Gegenleistung i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz verpflichtet, da sie entgegen § 35 Abs. 1 S. 1 WpÜG die Kontrollerlangung nicht gemäß § 10 Abs. 3 S. 1 WpÜG anzeigte und entgegen § 35 Abs. 2 S. 1 WpÜG kein Angebot gemäß § 14 Abs. 3 S. 1 WpÜG abgab. Werden beide Tatbestände gemäß § 30 Abs. 1, 2 WpÜG verwirklicht, ist für den Zinsbeginn auf die früheste Zuwiderhandlung abzustellen. Da die Anzeige des Kontrollerwerbs bis zum Ablauf des 19. September 2008 vorzunehmen war, trat die Zinspflicht zum 20. September 2008 ein. Lediglich die Kläger zu 1, 2 und 16 haben eine frühere Zinszahlung ab dem 12. September 2008 verlangt. Insofern sind ihre Nebenanträge teilweise abzuweisen.
676Höhere Zinsforderung des Klägers zu 15
Ebenso zurückzuweisen ist der Zinsanspruch des Klägers zu 15, soweit Zinsen i.H.v. 8 Prozentpunkten gemäß § 288 Abs. 2 BGB verlangt werden. Der Zinsanspruch nach § 38 WpÜG i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz wird für Kaufleute nicht gemäß § 288 Abs. 2 BGB auf 8 Prozentpunkte über Basiszinssatz erhöht. Der höhere Zinssatz kann nur dann verlangt werden, wenn die Verzugsvoraussetzungen gemäß § 286 BGB vorliegen. Der Kläger zu 15 hat aber nicht erläutert, dass die Beklagte zur Zahlung der streitgegenständlichen Beträge verzugsbegründend aufgefordert worden ist.
679Rechtsanwaltskosten
Die zusätzlich geltend gemachten Rechtsanwaltskosten sind ebenfalls als Verzugsschaden berechtigt, soweit die Zahlungsaufforderungen durch die anwaltlichen Vertreter nach Verzugseintritt erfolgten. Es kann offen bleiben, ob Verzug mit der Hauptleistungspflicht vorliegend bereits aufgrund datumsmäßiger Bestimmtheit zum 19. Oktober 2008 eintrat. Nach dem Gesetz musste das Pflichtangebot mit einer angemessenen Gegenleistung bis spätestens zum 18. Oktober 2008 vorgelegt werden. Verzug wurde aber jedenfalls durch die Zahlungsaufforderungen der Kläger, die Rechtsanwaltskosten geltend gemacht haben, begründet. Die Kläger zu 1 und 2 forderten die Beklagte mit Schreiben vom 10. Dezember 2010 (Kläger zu 1) und 17. Dezember 2010 (Kläger zu 2) zur Zahlung des von ihnen eingeforderten Klagebetrages auf. Es folgten weitere anwaltliche Mahnungen vom 4. November 2013 (Kläger zu 1) und 12. November 2013 (Kläger zu 2).
682Die Rechtsanwaltskosten berechnen sich dabei auf der Grundlage einer 1,3- Geschäftsgebühr, bezogen auf die berechtigte Hauptforderung. Maßgebend sind dabei die Nettoforderungen, soweit die Partei vorsteuerabzugsberechtigt ist. Ansonsten ist der Bruttobetrag maßgebend. Daraus ergeben sich folgende Ansprüche auf Erstattung von Rechtsanwaltskosten:
683Daraus ergibt sich, dass die geltend gemachten Rechtsanwaltskosten der Kläger zu 1 und 2 in voller Höhe berechtigt sind. Die Beträge liegen jeweils noch unter den Nettogebühren. Die übrigen Kläger zu 3-12 und 15-16 haben keinen Antrag gestellt. Insofern können unter Berücksichtigung von § 308 ZPO auch keine Anwaltskosten zugesprochen werden.
684
Kläger |
Gegenstandswert |
Nettogebühr |
Bruttogebühr |
1 |
267.675,00 € |
3.084,90 € |
3.694,83 € |
2 |
112.875,00 € |
2.064,40 € |
2.480,44 € |
H. Klagen der Kläger zu 13, 14 und 17
Die Klagen der Kläger zu 13, 14 und 17 sind unbegründet.
688Den Klagen fehlt die Anspruchsgrundlage.
689Die Kläger zu 13, 14 und 17 haben zunächst den Anspruch auf angemessene Gegenleistung gemäß § 31 WpÜG geltend gemacht. Nachfolgend haben sie den Anspruch auch damit begründet, dass sie das freiwillige Übernahmeangebot der Beklagten angenommen hätten, wenn diese darin eine angemessene Gegenleistung angeboten hätte. Es handele sich um einen vorvertraglichen Erfüllungsanspruch wegen Verschuldens bei oder vor Vertragsschluss, denn der Vertrag wäre zu dem angemessenen Preis i.H.v. EUR 57,25 zustande gekommen, wenn die Beklagte diesen angeboten hätte. Das Erfüllungsinteresse sei zu ersetzen, wenn der Vertrag mit dem Schädiger ohne die culpa in contrahendo zu günstigeren Bedingungen zustande gekommen wäre. Die Kläger zu 13, 14 und 17 fordern ausdrücklich keinen Schadensersatz für ein nicht unterbreitetes Pflichtangebot.
690Fehlende Aktivlegitimation
Den geltend gemachten Ansprüchen steht bereits entgegen, dass die Kläger bereits bei Klageerhebung nicht mehr Inhaber der Aktien waren. Die Kläger zu 13, 14 und 17 hatten ihre Aktien bereits vor der Klageerhebung veräußert. Sie sind daher für die Klage nicht aktivlegitimiert.
693Vortrag der Kläger zu 13, 14 und 17 zur Veräußerung der Aktien
Der Kläger zu 13 klagt aus abgetretenem Recht der Firma Q Limited, Gibraltar. Alleiniger Gesellschafter sei die Q Foundation, Vaduz. Hinter dieser stehe der Kläger zu 13 als wirtschaftlich Berechtigter. In den Jahren 2008-2009 habe die Q Limited insgesamt 20.000 E Aktien erworben (Anlage K 14 bis K 14 B zu Bd. XV, Teil 2). Das Übernahmeangebot der Beklagten vom 7. Oktober 2010 habe die Q Limited nicht angenommen. Am 16. Mai 2011 habe die Q Limited 10.000 E-Aktien zum Kurs von EUR 21,852 je Stück verkauft (Anlage K 14 C zu Bd. XV, Teil 2). Nachdem der Kläger zu 13 zwischenzeitlich die verbliebenen 10.000 E-Aktien vom Konto seiner Firma Q Limited auf sein persönliches Konto übertragen gehabt habe, habe er die restlichen 10.000 E-Aktien im Jahr 2014, und zwar 5.000 Aktien am 13. März 2014 zum Kurs von EUR 37,226 je Stück, weitere 1.500 E-Aktien am 2. Mai 2014 zum Kurs von EUR 36,505 je Stück und schließlich weitere 3.500 E-Aktien am 30. Juni 2014 zum Kurs von EUR 37,251 je Stück verkauft (Anlagen K 14 D bis K 14 F zu Bd. XV, Teil 2 ) Die Beklagte hat die vorstehenden Behauptungen im Einzelnen bestritten.
696Die Klägerin zu 14 hat E-Aktien nach ihrem Vortrag im Juli 2011, und damit nach dem Ablauf der Annahmefrist für das freiwillige Übernahmeangebot der Beklagten am 24. November 2010 von ihrem Vater geerbt. Im September 2012 habe sie die E-Aktien über die Wertpapierbörsen Xetra wieder verkauft. Insoweit hat die Klägerin zu 14 Verkaufsabrechnungen von 3. September 2012 vorgelegt (Anlage K14b bis K14c). Die Beklagte hat diese Angaben mit Nichtwissen bestritten. Zudem hat sie bestritten, dass der Vater der Klägerin die streitgegenständliche E-Aktien vor dem Ablauf der Annahmefrist für das freiwillige Übernahmeangebot der Beklagten am 24. November 2010 erworben hat.
697Der Kläger zu 17 hat nach eigenem Vortrag am 24. Mai 2007 200 Aktien der E erworben (Anlage K14a). Am 18. Oktober 2010 habe der Kläger seine E-Aktien zum Kurs von EUR 24,985 je Aktie verkauft. Insofern hat der Kläger zu 17 die Verkaufsabrechnungen vorgelegt (Anlage K 14 B).
698Verlust der Ansprüche der Verkauf der Aktien
Nach dem eigenen Vortrag der Kläger zu 13, 14 und 17 steht damit fest, dass sie das freiwillige Übernahmeangebot der Beklagten aus dem Jahr 2010 nicht angenommen haben, sondern sie ihre Aktien anschließend über die Börse veräußert haben. Mit dem Verkauf der Aktien sind aber auch etwaige streitgegenständliche Ansprüche auf die Erwerber übergegangen. Das gilt insbesondere für den Handel an den Börsen. Bei dem Handel mit Inhaberaktien wäre eine Rechtszuordnung von Ansprüchen aus der Aktie an unterschiedliche Personen kaum machbar. Zwar sind abweichende Vereinbarungen auch beim Verkauf von Aktien denkbar. Abweichende Vereinbarungen sind vorliegend aber nicht vorgetragen worden, etwa derart, dass sich die Kläger zu 13, 14 und 17 beim Verkauf der E-Aktien etwaige Ansprüche im Zusammenhang mit dem freiwilligen Angebot/Pflichtangebot der Beklagten vorbehalten haben.
701Ansprüche gemäß § 31 Abs. 1 S. 1 WpÜG
Unabhängig davon scheidet § 31 Abs. 1 WpÜG als Anspruchsgrundlage der Klagen aus. Denn die Kläger zu 13, 14 und 17 haben das Übernahmeangebot der Beklagten unstreitig nicht angenommen.
704Nach der Dogmatik handelt es sich bei dem Anspruch auf Zahlung des Differenzbetrages zwischen der angebotenen und der angemessenen Gegenleistung um einen ergänzenden Vertragsanspruch (BGH, Urteil vom 29. Juli 2014 – II ZR 353/12 –, Juris Rz. 22 ff., BGHZ 202, 180-202). Aktivlegitimiert sind daher nur Aktionäre, die das freiwillige Angebot angenommen haben. Die übrigen Aktionäre können den Anspruch nicht geltend machen, selbst wenn die Beklagte zur Vorlage eines Pflichtangebotes verpflichtet war. Denn diese Aktionäre sind auch nach Abschluss des freiwilligen Übernahmeangebotes Aktionäre der E geblieben, mit allen Rechten und Pflichten. Sie haben sich gegen das Übernahmeangebot entschieden. Sie können dann nicht zusätzlich verlangen, Aktionären gleichgestellt zu werden, die ihre Aktien abgegeben haben.
705Vorvertraglicher Zahlungsanspruch
Der ausdrücklich von den Klägern zu 13, 14 und 17 geltend gemachte vorvertragliche Zahlungsanspruch aus dem Übernahmevertrag besteht ebenfalls nicht.
708Voraussetzungen des Anspruchs
Die von den Klägern geltend gemachte Haftung aus culpa in contrahendo ist kodifiziert in § 311 Abs. 2 und 3 BGB. Danach entsteht ein Schuldverhältnis mit den Pflichten gemäß § 241 Abs. 2 BGB bereits durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen und die Anbahnung eines Vertrags und ähnliche geschäftliche Kontakte. Die Verletzung dieser Pflichten kann gemäß § 280 Abs. 1 S. 1, 249 BGB zum Schadensersatz verpflichten. Der Geschädigte kann verlangen, so gestellt zu werden, wie er ohne das schädigende Verhalten des anderen Teils gestanden hätte. In der Regel ist der Vertrauensschaden zu ersetzen, der etwa nutzlose Aufwendungen und sonstige Kosten umfasst, die im Vertrauen auf den Abschluss des Vertrages gemacht wurden. Das Erfüllungsinteresse ist zu ersetzen, wenn der Vertrag ohne die culpa in contrahendo mit dem Schädiger zu günstigeren Bedingungen zu Stande gekommen wäre. Der Geschädigte hat dann das Recht, am Vertrag festzuhalten und den entstandenen Vertrauensschaden zu verlangen (vgl. Grüneberg, in: Palandt, BGB, 30. Aufl. 2014, § 311 Rz. 54 ff. mit weiteren Nachweisen).
711Tatbestandliche Voraussetzungen sind nicht erfüllt
713Keine vorvertraglichen Verhandlungen
Die Kläger zu 13, 14 und 17 haben mit der Beklagten schon keine vorvertraglichen Verhandlungen geführt, in deren Rahmen die Beklagte Nebenpflichten verletzt haben könnte. Es bestand kein vorvertragliches Schuldverhältnis gemäß § 241 Abs. 2 BGB zwischen den Klägern zu 13, 14 und 17 und der Beklagten.
716Kein Anspruch auf freiwilliges Übernahmeangebot i.H.v. EUR 57,25 pro E Aktie
Zudem war die Beklagte auch nicht verpflichtet, ein freiwilliges Übernahmeangebot in Höhe von EUR 57,25 pro E-Aktie vorzulegen. Sie war allenfalls verpflichtet, bereits ab dem Jahr 2008 ein Pflichtangebot gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG i.H.v. EUR 57,25 pro E-Aktie zu präsentieren. Die Vorlage eines Pflichtangebotes bzw. Zahlung der daraus resultierenden angemessenen Gegenleistung kann der Aktionär aber nicht einklagen (BGH, Urteil vom 11. Juni 2013 – II ZR 80/12 –, juris = DB 2013, 1776-1779, ZIP 2013, 1565-1568, NZG 2013, 939-942, MDR 2013, 1050-1051). Dann besteht aber auch kein einklagbarer Anspruch auf Vorlage eines freiwilligen Angebotes nach Maßgabe eines Pflichtangebotes mit entsprechender Gegenleistung.
719Kein Vertragsschluss auf der Grundlage von EUR 57,25 je E-Aktie
Darüber hinaus kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein Vertrag zwischen den Klägern zu 13, 14 und 17 und der Beklagten auf der Grundlage eines freiwilligen Übernahmeangebotes zu je EUR 57,25 je E Aktie zu Stande gekommen wäre. Die Kläger unterstellen, dass sie selbst ein entsprechendes Angebot angenommen hätten und der Vertrag folglich auf der Basis von EUR 57,25 je E-Aktie abgeschlossen worden wäre. Gleiches kann aber nicht für die Beklagte unterstellt werden. Selbst wenn die Beklagte den Kontrollerwerb ab September 2008 kannte bzw. kennen musste, ist unter Berücksichtigung ihrer Gesamtstrategie nicht ersichtlich, dass sie im Oktober 2010 oder später ein freiwilliges Angebot in vorgenannter Höhe vorgelegt hätte. Das ist in rechtlicher und wirtschaftlicher Sicht unplausibel. Denkbar wäre, dass dann früher oder später ein entsprechendes Pflichtangebot vorgelegt worden wäre. Insofern können die Kläger daraus aber keine Ansprüche in Bezug auf das freiwillige Übernahmeangebot herleiten, wie bereits ausgeführt worden ist.
722§ 12 Abs. 1 WpÜG
Ungeachtet der Erklärung der Kläger zu 13, 14 und 17, keine Schadensersatzansprüche geltend machen zu wollen, ist ein Schadensersatzanspruch gemäß § 12 Abs. 1 WpÜG nicht begründet. Denn Voraussetzung für den Anspruch ist nach § 12 Abs. 1 S. 1 WpÜG, dass der Aktionär das vermeintlich fehlerhafte Angebot angenommen hat. Dieser Tatbestandsanforderung ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Unabhängig davon wären etwaige Ansprüche wohl auch gemäß § 12 Abs. 4 WpÜG verjährt. Das muss aber nicht entschieden werden.
725§ 35 Abs. 2 WpÜG
Die Kläger zu 13, 14 und 17 können ihre streitgegenständlichen Zahlungsansprüche auch nicht auf § 35 Abs. 2 WpÜG stützen. Wie bereits erläutert, haben Aktionäre der Zielgesellschaft keinen einklagbaren Anspruch auf die Vorlage eines Pflichtangebotes gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG und auf die Zahlung der daraus folgenden angemessenen Gegenleistung (BGH, Urteil vom 11. Juni 2013 – II ZR 80/12 –, Rz. 9 ff., juris, DB 2013, 1776-1779).
728§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 35 Abs. 1, 2 WpÜG
Ein Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 35 WpÜG kommt ebenfalls nicht in Betracht. Denn nach der zutreffenden BGH-Rechtsprechung besteht ein derartiger Anspruch nicht. § 35 Abs. 2 WpÜG ist kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB (BGH, Urteil vom 11. Juni 2013 – II ZR 80/12 –Rz. 33, juris, DB 2013, 1776-1779).
731§ 826 BGB
Auch § 826 BGB scheidet als Anspruchsgrundlage aus. Zwar werden Minderheitsaktionäre mittelbar geschädigt, wenn ein nach dem Gesetz geforderten Pflichtangebot nicht vorgelegt wird. Allerdings ist nicht jeder Gesetzesverstoß als vorsätzliche Schadenszufügung gegen die guten Sitten im Sinne von § 826 BGB zu qualifizieren. Bei Gesetzesverletzungen, hier bei einem Verstoß gegen § 35 Abs. 2 WpÜG, kommt es ebenso wie bei § 823 BGB darauf an, ob Personen gegen derartige Schädigungen geschützt werden sollen. Das gilt für § 35 Abs. 1, 2 WpÜG nicht, da danach die Anzeige des Kontrollerwerbs und die Vorlage eines Übernahmeangebotes primär im öffentlichen Interesse gefordert werden (BGH, Urteil vom 11. Juni 2013 – II ZR 80/12 – Rz. 20, juris, DB 2013, 1776-1779).
734I. Prozessuale Nebenentscheidungen
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1, 709 S. 1 ZPO. Danach haben die Kläger zu 13, 14 und 17 sowie die Beklagte entsprechend ihrer Unterliegensquote die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Die übrigen Kläger sind daran nicht zu beteiligen. Ferner können sie aufgrund ihres Obsiegens die Erstattung ihrer außergerichtlichen Kosten von der Beklagten verlangen. Die Kläger zu 13, 14 und 17 haben ihre außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen und einen Teil der außergerichtlichen Kosten der Beklagten. Auch die Beklagte hat ihre außergerichtlichen Kosten ganz überwiegend selbst zu tragen.
737Der Kläger zu 10 ist nicht an den Gerichtskosten bzw. außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu beteiligen. Seine Antragsanpassung ist nicht als Klagerücknahme im Sinne von § 269 ZPO zu werten. Zwar hatte der Kläger zu 10 zunächst einen weit höheren Betrag geltend gemacht, als er nachfolgend beantragt hat und ihm zugesprochen worden ist. Insofern liegt aber ein offensichtlicher Rechenfehler vor. Das ergibt sich aus den zeitgleich eingerichteten Klageanträgen der Kläger zu 11 und 12 und ihren späteren Anpassungen der Klageanträge. Die Klagen dieser Kläger und die zugrunde liegenden Berechnungen sind nachvollziehbar und zutreffend. Dann ist es naheliegend, dass auch die Klage des Klägers zu 10 auf dieser Basis erhoben werden sollte, denn der zugrunde liegende Vortrag der Kläger zu 10-12 zur Begründung höherer Forderungen ist identisch.
738Der Streitwert wird auf EUR 48.020.909,80 festgesetzt. Die Einzelstreitwerte der Klagen ergeben sich aus den Klageforderungen in der Hauptsache nach Maßgabe der im Termin vom 27. Januar 2017 gestellten Anträge.